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Nachruf

© Doris Spiekermann-Klaas

Nachruf auf Fabrizio Frangelico (Geb. 1964): Traum und Lüge

Er liebte alle, alle liebten ihn. Eine Lüge? Selbstverständlich, aber eine süße. Gut fürs Geschäft und für die Stimmung, auf die Dauer aber viel zu anstrengend für den süßen Lügner. Der Nachruf auf einen überforderten Strahlemann.

Von David Ensikat

Es gibt viele, die ihn gemocht, vielleicht sogar geliebt haben, die diesem Mann, der so jäh und mysteriös aus dem Leben gerissen wurde, nichts mehr gönnen würden als einen Nachruf, über dem sein Name steht. Wir aber nennen ihn Fabrizio. Warum sein wahrer Name hier nicht steht, wird im Lauf der Geschichte wohl verständlich. Es hat mit seiner Eigenart zu tun, alles zu machen, um gemocht, geliebt zu werden, von jedermann. Aber everybody’s darling – so etwas gibt es nicht.

Seine Eltern in Rom haben ihn geliebt und verwöhnt, natürlich haben sie das, italienische Familie, einziger Sohn, drei Schwestern. Er erkannte früh, dass er die Männer begehrte und nicht die Frauen. Na was? Soll er doch. Man muss es ja nicht an die große Glocke hängen. Dass er ein kluger Kerl war, hat er auch nur jene wissen lassen, die es wissen mussten. Viele Lehrer hielten ihn für beschränkt, während er Mitschülern für Geld die Hausaufgaben machte. Beim Abitur war er der Beste seiner Schule.

Während des Militärdienstes hatte er seinen ersten Freund

Während des Militärdienstes hatte er seinen ersten festen Freund, großartiger Kerl, von dem er später schwärmte: „eine Bombe“. Er studierte Mathematik, und brachte das nicht zu Ende, weil eine seiner Schwestern krank wurde und er sich um die Pflege kümmerte.

Statt das Studium wieder aufzunehmen, ging er nach Deutschland. Da war er Mitte 20 und dort angelangt, wo er nie wieder wegkam: auf der Suche nach dem echten Leben, dem unverstellten, ungespielten, in dem es einen gibt, der einen liebt, und wo man sein kann, der man ist. Vielleicht, so mochte er gedacht haben, ist es in der Ferne leichter, den einen und sich selbst zu finden.

Der Italiener lernte Deutsch und brachte Deutschen Italienisch bei und merkte, was die Deutschen mögen. Italiener, die sich verhalten, wie sich die Deutschen Italiener vorstellen: überschwänglich, beste Laune, große Geste, laaange Vokaaale.

Die Freiheit, offen schwul zu sein

Was er fand? Die Freiheit, offen schwul zu sein. Geliebte Männer, hin und wieder währte die Beziehung über Jahre. Aber den einen? Und sich selbst?

Wer kann das schon sagen? Man sucht nur mehr oder weniger danach. Fabrizio suchte mehr.

Die ersten Jahre in Hamburg, seit 2000 in Berlin. In Hamburg hatte er mit einem Freund eine Bar betrieben, in Berlin machte er mit einer Freundin ein Restaurant auf, das seinen Namen trug. Der klang schön italienisch, und er, der Chef und Italiener, verhielt sich entsprechend. Ciao! Eh, wie geht's?! Mein Liiiieber, willst du uns wirklich schon verlassen!

So ging er mit den lieben Gästen um, und mit den lieben Angestellten auch. Schaaaatzi! Die Rollen waren gut verteilt: Die Frau, mit der er das Restaurant betrieb, trug die Konflikte aus. Fabrizio war für die gute Laune zuständig. Er umarmte Geschäftspartner, er vergab herzlich-unverschämte Spitznamen. Eine Angestellte, die die Modelmaße ein wenig überschritt, nannte er „Titania“, und selbst „Titania“ lachte nur und freute sich mit ihm.

Fabrizio liebte alle, alle liebten Fabrizio

Das Geschäft lief prächtig, Leute aus der Nachbarschaft kannten ihn, und er kannte die Leute. Ob Kunde oder Angestellter, alles Freunde, alles Schätze. Fabrizio liebte alle, alle liebten Fabrizio. Eine Lüge? Selbstverständlich, aber eine süße. Gut fürs Geschäft und für die Stimmung; auf die Dauer aber viel zu anstrengend für den süßen Lügner.

Er merkte ja, wenn jemand seine Güte und seine Hilfsbereitschaft schamlos ausnutzte. Nie hat er etwas gesagt. Kein böses Wort. In solchen Fällen setzte Fabrizio auf Geheimdiplomatie. Wenn du mich hintergehst, hintergehe ich dich, und niemand soll davon erfahren. Wir lächeln und wir lieben uns. Seelenakrobatik.

Nach vier Jahren konnte Fabrizio nicht mehr. Er wurde still, kam nur noch in den Laden, wenn es gar nicht anders ging, und wenn er kam, dann durch die Hintertür. Bloß niemandem begegnen, der ihn nach seinem Befinden fragen würde.

Eifersucht, Vorwürfe, Missgunst - keiner lächelt das weg

Nachruf
Nachruf

© Doris Spiekermann-Klaas

Wenn er doch hätte leiden können wie Maria Callas. Bei der klang das Leid so unendlich, so schön. Oder die sechste Mahler-Symphonie, „Die Tragische“. Größe durch Leid. Fabrizio liebte das – und fühlte sich selbst klein und suchte Hilfe.

Kein Freund sollte helfen, kein Geschäftspartner. Die sollten wissen, dass er Opern mochte und Mahler-Symphonien. Von seiner Anstrengung und seinem Leid drang nichts nach außen. Fabrizio ging zum Therapeuten, in manchen Wochen drei Mal.

Die Hoffnung, ein Familienleben aufzubauen

Und versuchte außerhalb der Praxis die Fassade aufrechtzuerhalten. Das schien möglich, weil er sich verliebt hatte und weil es eine Idee gab, aus dem anstrengenden Gastronomiebetrieb herauszukommen, und weil er die Hoffnung hegte, so etwas wie ein Familienleben aufbauen zu können. Das hing alles irgendwie zusammen, ein schöner Traum, und mit genug Ausdauer und Zuneigung doch auch möglich …

Den Mann, den er liebte, hatte er im Restaurant kennen gelernt. Ein Stammgast, tätig im Baugewerbe mit einem vorübergehenden Engpass auf der Einnahmeseite. Dem war doch zu helfen. Und warum sollten sie nicht gemeinsam etwas aufbauen? Fabrizio, der eine Hand fürs Geschäftliche und Kredit bei der Bank hatte, kaufte Wohnungen. Der Mann, den er liebte, baute sie aus. Die Wohnungen verkauften sie. Voilà.

Der Mann, den er liebte, hatte zwei Kinder. Er trennte sich von seiner Frau. Um die Kinder konnte sich Fabrizio immer kümmern, wenn Vater und Mutter es nicht konnten. Er tat das gern. Bei Kindern ist das alles so bedingungslos. Wenn sich auch alle anderen lieb haben, sollte das doch eine wunderbare Familienkonstellation ergeben – warum denn nicht?

Schwierig, wenn Liebes- und Geschäftsdinge zusammengehen

Weil es nicht anders lief als anderswo. Eifersucht, Vorwürfe, Missgunst, alles was so vorkommt und was noch keiner weggelächelt hat. Dazu kamen die Zweifel, was es mit der Beziehung auf sich hatte. Und irgendwann das Wissen, dass die Sache keine gute war. Schwierig, wenn ein Mann in einer Männerbeziehung sagt, er sei doch gar nicht schwul. Schwierig, wenn Liebes- und Geschäftsdinge zusammengehen. Es war ein Spiel um Sehnsucht und Abhängigkeit, die Rollen gut verteilt, und irgendwann war alles Spielerische fort.

Dann gab es noch die andere Baustelle. Fabrizio hatte seinen Anteil an dem Restaurant, das seinen Namen trug, verkauft und mit einem anderen Geschäftspartner ein anderes Restaurant eröffnet. Das hatte sich halt so ergeben, gute Lage, sichere Sache, Fabrizio wollte sich auch nicht so tief hineinhängen. Abgesehen vom Geld, davon gab er reichlich.

Ein Knäuel aus Misstrauen und Halbwahrheiten

Der Geschäftspartner erwies sich als deutlich weniger kooperativ, als Fabrizio geschworen hätte, dass er es sei. Es gab Streit um den Pachtvertrag, ein Knäuel aus doppelten Absprachen, Misstrauen und Halbwahrheiten.

Die Sache kam vor Gericht, und was sich da abspielte, war wieder so eine Fabrizio-Geschichte. Vor der Verhandlung lief er auf den Geschäftspartner, der jetzt Gegner war, zu und umarmte ihn mit großer Geste. Dass wir uns hier zanken müssen! Wir sind doch Freunde, du und ich! Fabrizios Anwältin war entsetzt: Wenn das der Richter sieht! Der denkt sofort, der ganze Streit sei nur Fassade. In der Verhandlung flogen dann die Fetzen.

Es lief auf den Showdown zu

Im vergangenen Jahr spielte sich das ab, und es lief auf den Showdown zu. Der Konflikt ums Restaurant, das Beziehungs- und Geschäftswirrwarr und die Erkenntnis, dass Fabrizio sein Leben ganz grundsätzlich ändern musste. Er wollte einen Schnitt machen, ein Ende der verkorksten Geschäftsbeziehungen, neue Liebe, neue Ufer, neue Suche.

Er hatte Briefe an die Geschäftspartner geschrieben. Anfang Dezember standen die Aussprachen an.

Am ersten Dezember-Montag fand man ihn tot auf seinem Bett. Fabrizio war 51 Jahre alt und laut Untersuchungen, die nicht lange zurücklagen, kerngesund. Der Verdacht, dass dieser Tod zu diesem Zeitpunkt nicht von selbst gekommen war, lag nah. Die Kriminalpolizei ordnete die Obduktion an. Die ergab als Todesursache: eine Lungenembolie.

Gerade hatte er neuen Mut gefasst

Fabrizio, der anders hieß, hatte gerade neuen Mut gefasst. Er würde Männer kennen lernen und ihre Zuneigung einordnen. Er würde für eine Opernzeitschrift das Programm zusammenstellen. Er würde sich die Schulden zurückzahlen lassen, würde Reisen unternehmen. Und wenn er doch noch mal ein Café eröffnen würde, dann eins, in dem Liebe und Leid allein in der Interpretation von Maria Callas vorkämen.

Der Text ist auf der Nachrufeseite im Freitags-Tagesspiegel erschienen. Mehr Nachrufe können Sie hier lesen.

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