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Autor und Theatermacher P. Carl ist Stipendiat der American Academy am Wannsee.

© Annette Hornischer

Trans Autor und Wissenschaftler P. Carl: „Als weißer Mann bin ich auf einmal so viel mächtiger“

Als seine Umwelt ihn als weißen Mann wahrnimmt, merkt er, wie privilegiert die Position wirklich ist: Ein Treffen mit trans Autor P. Carl, gerade Gast in Berlin.

Am 16. März 2017 hat P. Carl eine unsichtbare Linie überschritten. Er ist für die Welt nicht mehr zwei Dinge gleichzeitig. Sieben Monate vorher hatte er angefangen, Testosteron zu nehmen. An diesem Märztag, kurz vor seinem 51. Geburtstag, ist P. Carl zum weißen Mann geworden.

Mit der neuen Identität kommen neue Herausforderungen und neue Verantwortung. Was bedeutet es, in Zeiten von Donald Trump, Harvey Weinstein & Co. ein weißer Mann zu sein? P. Carl hat die lange Reise seiner Geschlechtsangleichung und die Fragen, die sie in ihm aufgewirbelt hat, aufgeschrieben. Für das Projekt hat der US-amerikanische Theatermacher, Autor und Wissenschaftler das Holtzbrinck-Stipendium der American Academy Berlin erhalten. Hier, in der schicken Villa im Südwesten Berlins, will P. Carl sein Buch fertigstellen. Er ist der erste trans Stipendiat, den die 1994 gegründete Akademie beherbergt.

In den altehrwürdigen Räumen des Hauses wirkt P. Carl mit seinen Tattoos, Goldketten und der hippen Hornbrille fast fehl am Platz. Betont lässig sitzt er auf dem Sessel und erzählt von seinem Buch, während im Hintergrund Segelschiffe auf dem Wannsee herumschippern. Mit seiner autobiografischen Erzählung will er Menschen aus der Trans- Community Mut machen, sagt er. Er will aber auch explizit weiße Männer ansprechen.

Einzigartige Perspektive auf Privilegien und Diskriminierung

Als weißer Mann, der jahrzehntelang als queere Frau lebte, hat P. Carl eine einzigartige Perspektive auf Privilegien und Diskriminierung. Im Zentrum seines Buches steht dieses „doppelte Bewusstsein“, ein Ausdruck, den er von dem afroamerikanischen Soziologen W.E.B. Du Bois übernommen hat. „Wir trans Menschen können unser doppeltes Bewusstsein und unsere doppelte Sichtweise nutzen, um zu zeigen, wie Geschlecht in unserer Gesellschaft funktioniert und wie es uns trennt“, sagt P. Carl. Erst als seine Umwelt ihn als weißen Mann wahrnahm, wurde ihm bewusst, wie privilegiert diese Position wirklich ist, erklärt er.

„Du bist so viel mobiler, so viel mächtiger, so viel sichtbarer“, versucht P. Carl das Gefühl zu beschreiben. Er kann sich nun überall frei bewegen, muss keine Angst mehr haben. Wie schlecht die meisten Männer Frauen immer noch behandeln, wurde ihm bewusst, als er selbst nicht mehr als Frau wahrgenommen wurde. Während P. Carl einerseits seine Männlichkeit genießt, will er deshalb gleichzeitig seine Diskriminierungserfahrung als queere Frau immer im Gedächtnis behalten. Um nicht zu werden wie „sie“, die Repräsentanten toxischer weißer Männlichkeit, die derzeit weltweit wieder an Macht gewinnen.

Einer davon ist auch P. Carls Vater, der in seinem Buch eine wichtige Rolle spielt. P. Carl wuchs in einfachen Verhältnissen in Indiana auf. Im Mittleren Westen der USA, wo es außer kilometerweiten Maisfeldern nicht viel zu sehen gibt. Während ihn ein enges Verhältnis zu seiner Mutter verband, war die Beziehung zu seinem Vater schwierig. Er habe sein Verständnis von weißer Männlichkeit geprägt, sagt P. Carl heute. Davon, wie bedrohlich sie sein kann. Seinen Lebensunterhalt verdiente sein Vater früher damit, schwule Männer im US-Militär zu outen. „Das Buch ist voll mit traurigen Geschichten über weiße Männer in meinem Leben“, sagt der Autor.

Als queere Frau zu leben war die hippere Subjektposition

Dass er nun selbst einer ist, ist kein leichter Weg gewesen. P. Carl hat sein Leben lang viel über Geschlecht nachgedacht, hat Judith Butler gelesen und sich in Theaterstücken und seiner Doktorarbeit mit Identität beschäftigt. Dass seine Männlichkeit für ihn ein biologisches Faktum ist, passt nicht in die Vorstellung von Geschlecht als gesellschaftlich konstruiert. „Auf intellektueller Ebene finde ich die Mann-Frau-Binarität repressiv und nicht nuanciert und flexibel genug“, sagt P. Carl. „Gleichzeitig fühlt sich eine Version dieser Binarität für mich gut an.“

Als queere Frau zu leben war in vieler Hinsicht die hippere Subjektposition, meint P. Carl. „Wer will schon ein weißer Mann sein?“, fragt er lachend. Trotzdem fühlte er immer die Gewissheit, die aus seinem tiefsten Inneren kam. Dass er ein Junge, ein Mann ist. „Als ich anfing, Testosteron zu nehmen, fühlte ich mich zum ersten Mal wirklich in meinem Körper zu Hause.“ Das Hormon betrachtet er als notwendige Medizin, wie Insulin für einen Diabetiker.

Seine Frau und er gehen seit der Transition als Hetero-Paar durch

Seine neue Identität als weißer, heterosexueller Mann habe viele seiner queeren Freundinnen verstört. Auch die Ehe zu seiner Frau Lynette, mit der er seit über zwanzig Jahren zusammen ist, hat gelitten. Eine Geschlechtsangleichung verursache eine enorme Spannung, da die Emotionen der Ehepartner so verschieden sind. „Meine Frau betrauerte etwas, von dem ich mich so schnell wie möglich entfernen wollte“, sagt er. Er verstehe jetzt, warum viele Beziehungen von trans Menschen während der Geschlechtsangleichung scheitern. Dabei gehe es vor allem um die Frage, wie man mit gemeinsamer Geschichte und Erinnerungen umgeht. Doch natürlich verändert sich auch die Identität der beiden als Lesben. „Meine Frau und ich gehen jetzt als heterosexuelles Paar durch die Welt. Das ist so bizarr“, sagt er und schüttelt den Kopf.

P. Carls Buch soll 2019 in den USA erscheinen. Dort hat sich die Situation von trans Menschen seit der Wahl Donald Trumps dramatisch verschlechtert. Die Trump-Regierung plant offenbar ein Gesetz, das Geschlechtsidentität strikt auf das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht reduzieren soll. Die Nachricht hat auch P. Carl erschüttert. „Dass diese Regierung mir meine Rechte wegnehmen möchte, überrascht mich nicht. Aber, dass eine gesamte Identität ausgelöscht werden soll, hätte ich nicht erwartet.“ Besonders habe er Angst um junge trans Menschen, die nicht so privilegiert sind wie er, die mit Armut und Gewalt zu kämpfen haben.

Momentan hat eine trans Frau of Colour in den USA eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 Jahren. „Wir sind noch weit davon entfernt, dass trans Menschen lebenswerte Leben haben“, sagt P. Carl und blickt durchs Fenster auf den See. Dort drehen die weißen Schiffchen weiter ihre Runden.

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