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© Anna Schmidt/Tsp

Weihnachtstipps: Queere Geschenke fürs Fest

Immer noch nichts zu Weihnachten besorgt? Das Queerspiegel-Team gibt Buchtipps, die alle unterm Regenbogen erfreuen.

Streng genommen ist natürlich nicht Weihnachten, sondern der CSD der höchste Feiertag für alle Menschen unterm Regenbogen. Beschenkt werden macht trotzdem immer Spaß. Der Queerspiegel, der LGBTI-Blog des Tagesspiegels, stellt Geschenketipps für die queere Gemeinde zusammen.

Verliebt in den Mitspieler: Aravind Adigas Cricketroman

Cricket ist in Indien, was für uns Fußball ist: Der Sport, über den sich die Nation definiert, eine Milliardenindustrie - und ein Aufstiegsversprechen für unzählige Jugendliche. Und so wollen auch in „Golden Boy“, dem neuen Roman des indischen Autors Aravind Adiga, zwei Brüder aus der Unterschicht Mumbais die nächsten Superstars des Nationalsports des Subkontinents werden. Angetrieben vom überehrgeizigen Vater gibt vor allem der Jüngere Anlass zu besten Hoffnungen, bricht die Rekorde seiner Altersklassen. Bis er merkt, dass sich sein Begehren auf einen Mitspieler richtet. Die Sehnsucht nach dem Erfolg kollidiert mit der Angst vor dem Anderssein. Wofür wird er sich entscheiden?

Aravind Adiga ist ein Meister, die krassen Disparitäten der indischen Gesellschaft zu literarisieren, ohne dass dabei die Moralkeule geschwungen wird. Schon für seinen Erstling „Der weiße Tiger“ wurde er 2008 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Ähnlich kraftvoll ist auch „Golden Boy“. Zwar mögen sich kontinentaleuropäische Leser*innen erst einmal an die Welt des Crickets gewöhnen müssen. Doch die inneren Kämpfe der Hauptfigur berühren genauso wie die Einblicke in die unbarmherzige Welt der Cricketscouts. Im hiesigen Fußballgeschäft dürfte es kaum anders aussehen - zu wünschen wäre, dass darüber bald ein ähnlich starker Roman erscheint. Tilmann Warnecke

Aravind Adiga: Golden Boy. Verlag C.H. Beck, München 2016. 338 S., 21,95 €.

Im Iran ist Homosexualität verboten.
Im Iran ist Homosexualität verboten.

© AFP

 Verbotene Liebe im Iran: Jugendroman von Deborah Ellis

Solche schöne und zarte Santur-Klänge hat Farrin hier noch nie gehört. Sie ist wie elektrisiert. Wer traut sich in der Schule diese verbotene Musik zu spielen, wo doch in jedem Moment die Aufseherin um die Ecke kommen kann? Als Farrin auch noch in die grünen Augen ihrer neuen Mitschülerin blickt, ist es gänzlich um sie geschehen. Farrin ist fasziniert von Sadira, obwohl sie beide aus komplett verschiedenen Welten kommen. 

Die 15-jährige Farrin stammt aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater ist Bauunternehmer, ihre Mutter feiert in den zu Hause Partys mit viel Alkohol. Es ist 1988. Seit acht Jahren herrscht zwischen dem Irak unter Saddam Hussein und dem Iran der Ayatollahs Krieg. Für Farrins Mutter, eine überzeugte Schah-Anhängerin, sind die Chomeini-Anhänger ein "Mob von Slumbewohnern". In dieser gewalttätigen und verlogenen Welt wächst Farrin mit zwei Gesichtern auf - einem öffentlichen und einem privaten. Sadira muss sich hingegen um ihren religiösen Vater kümmern. Bei einem Bombenangriff sind ihre Mutter, ihre Brüder und ihre Großeltern ums Leben gekommen.

Obwohl sie ihre Worte abwägen müssen, fühlen sich die beiden Teenager immer mehr zueinander hingezogen. Sie lernen zusammen, verbringen die Nachmittag miteinander, besuchen gemeinsam Verwandte auf dem Land. "Es gab nur das Leben, den Mond und ihre Freundschaft." Sadira und Farrin wissen um ihre Gefühle füreinander und sie wissen um die Gefahr: Homosexualität ist im Iran strafbar, es droht die Todesstrafe.

Jede Berührung kann Sadira und Farrin zum Verhängnis werden

Als sie sich das erste Mal in der Schule küssen, fühlt es sich für beide wie der Himmel auf Erden an. Doch die verhasste Aufseherin Pargol hat nur auf solch einen unbedachten Moment gewartet. "Ich habe alles gesehen", tönt sie triumphierend. Ab jetzt stehen Sadira und Farrin unter strenger Beobachtung. Jedes weitere Wort, jede Berührung kann ihnen zum Verhängnis werden. Sie sehen nur einen Ausweg, um gemeinsam glücklich zu werden: die Flucht.

Der Roman "Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an Dich" der kanadischen Schriftstellerin und Psychotherapeutin Deborah Ellis beruht auf den Erlebnissen einer Iranerin. Ellis beschreibt ohne Kitsch und Pathos die bezaubernden Momente der ersten Liebe. Sie konfrontiert das Publikum aber auch mit der Brutalität des iranischen Regimes.

Mit dem Roman will Ellis auf die Diskriminierung von Homosexuellen im Iran aufmerksam machen. Seit den 80er Jahren hat sich unter dem Mullah-Regime an der Situation von Homosexuellen nicht viel geändert. Es drohen Peitschenhiebe, im schlimmsten Fall der Tod. Nach Angaben einer iranischen Menschenrechtsorganisation sind mindestens 4000 Schwule und Lesben wegen ihrer sexuellen Orientierung getötet worden. Erst im August wurde in 19-Jähriger wohl wegen seiner Homosexualität gehängt. Jana Demnitz

Deborah Ellis: Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an Dich. cbj Kinder- und Jugendbuchverlag, München 2015, 256 S., 14,99 €.

Der Autor und Philosoph Didier Eribon.
Der Autor und Philosoph Didier Eribon.

© imago/Ulli Winkler

Französische Klassengesellschaft: Didier Eribons Autobiografie

Mit 20 flieht Didier Eribon aus Reims, einer tristen Stadt im Nordosten Frankreichs. Er hat genug von der „sexuellen Scham“, wie er es nennt: den ständigen Demütigungen, die er wegen seines Schwulseins erleidet. Und er hat genug von seiner Arbeiterfamilie (sein Vater ist Hilfsarbeiter, seine Mutter Putzfrau) und ihrem Milieu: Als einziger hat er er aufs Gymnasium und an die Uni geschafft, er befindet er in einem ständigen Abgrenzungskampf zu seiner sozialen Herkunft.

Erst Jahrzehnte später, nach dem Tod seines Vaters, wird Eribon seine Heimatstadt und seine Mutter wieder besuchen. Die soziale Leiter ist er längst aufgestiegen: Als Philosoph und Autor, international bekannt durch seine Biografie Michel Foucaults. Die „Rückkehr nach Reims“ (so der Titel des Buches) nimmt er zum Anlass, eine Autobiografie zu schreiben. Vor neun Jahren bereits in Frankreich veröffentlicht, ist sie dieses Jahr endlich auch auf Deutsch erschienen.

Ein Werk, das aktueller nicht sein könnte: Geht Eribon darin doch nicht nur der Frage nach, was schwule Identität konstituiert - sondern auch, wie es passieren konnte, dass seine einst überzeugt kommunistischen Verwandten und deren gesamtes Umfeld heute zu großen Teilen den stramm rechten Front National von Marine LePen wählen. Dass Eribon hier soziologische Analyse mit seiner sehr bewegenden Familiengeschichte verwebt, macht das Buch zu einer fesselnden Lektüre. Tilmann Warnecke

Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Suhrkamp, Berlin 2016, 240 S., 18 €

Die Londoner Rapperin und Autorin Kate Tempest.
Die Londoner Rapperin und Autorin Kate Tempest.

© Promo

Butchige Heldin: Kate Tempests packender Debütroman

„Ich kenne viele tolle queere Frauen, aber gelesen habe ich selten über solche Frauen“, sagt die britische Rapperin, Dichterin und Autorin Kate Tempest. Diesem Defizit entgegenzuwirken, sei eines der Ziele beim Schreiben ihres ersten Romans „Worauf du dich verlassen kannst“ gewesen.

Hat geklappt: Harry, eine ihrer drei jungen Londoner Protagonist/innen, ist eine starke, anziehende, butchige Heldin mit hohem Identifikationspotenzial für die lesbische Leser*innenschaft. Sie arbeitet als Dealerin und verliebt sich in die Tänzerin Becky, die allerdings erstmal eine Affäre mit Harrys Bruder Pete hat.

Der packende, toll geschriebene Roman ist eine Art Langversion von Tempests fantastischem Debütalbum „Everybody Down“ (2014), in dem bereits die gleichen Figuren auftraten und eine ähnliche Geschichte erlebten. Dort war Harry allerdings noch ein Mann. Das hat ebenfalls funktioniert, aber noch schicker ist das queere Update. Nadine Lange

Kate Tempest: Worauf du dich verlassen kannst. Rowohlt Verlag. Reinbek 2016, 400 S., 14,99 €.

Die Berliner Autorin Magarete Stokowski.
Die Berliner Autorin Magarete Stokowski.

© Rowohlt Verlag

Kluge Feministin: Margarete Stokowskis Plädoyer für sexuelle Freiheit

Als Fünfjährige beim Ausflug in Berlins Britzer Garten klettert Margarete Stokowski „auf alles, was geht“. Damit klar ist, dass sie trotzdem kein Junge ist, spricht sie extrem hoch: „Ich piepe wie eine Prinzessin.“ Sie ist streng zu sich, wenn es um die Geschlechterrollen geht, will sich keine Abweichung erlauben. Noch Jahre vergehen, bis ihre Lust auf (Über-) Anpassung an die Norm nachlässt und immer neue Fragen aufkommen: Warum hat der Bruder einen Computer, nicht aber die Schwestern? Warum unterliegen Frauen einem so brutalen Schönheitsdiktat, dass sie ihre Körper schließlich hassen? Und warum raten Frauenmagazine, weiblicher Sex habe nicht der eigenen Lust, sondern der Befriedigung des Mannes zu dienen?

Es kommt, wie es kommen muss: Gegen anfängliche innere Widerstände hat Stokowski schließlich ihr Coming out als Feministin. Da hat sie sich schon selbst ein großes Stück weit emanzipiert: von Rollenvorschriften, von den herrschenden Erwartungen an Beziehungen (die bei ihr nicht immer hetero und monogam sind) und von der Macht, die (sexuell) gewalttätige Männer über Frauen ausüben.

Margarete Stokowskis Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung ist humorvoll und spritzig geschrieben und darum auch für (queer-)feministische Anfänger*innen bestens geeignet. Anja Kühne

Margarete Stokowski: Untenrum frei. Rowohlt Verlag. Reinbek 2016, 256 Seiten; 19,95 €.

Ach ja, und wer queere Fest- und Feierkarten zu allen möglichen Anlässen braucht: Ganz tolle bietet die Papeterie „Pabuku“ an. Dahinter stecken die Designerin Ulla Klopf und die Künstlerin Ute Baurecker aus Österreicherin, die ihr Label im vergangenen Jahr gegründet haben. Da gibt es unter anderem stilvolle Drag-Grüße zu Weihnachten oder Einhorn-Wünsche zum Geburtstag. In Berlin unter anderem erhältlich bei Ararat in der Kreuzberger Bergmannstraße oder im Shop des Schwulen Museums* in der Lützowstraße. Weitere Standorte in Berlin und bundesweit und mehr Informationen unter www.queer-pabuku.com.

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