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Fordern, dass ihre Fahrradstraße endlich auch eine Fahrradstraße wird: Demonstranten in der Prinzregentenstraße.

© Stefan Jacobs

Radfahren in Berlin: Demo für eine "echte Fahrradstraße"

Täglich fahren Hunderte Autos illegal durch die Prinzregentenstraße. Anwohner und Aktivisten demonstrieren dafür, dass sich das endlich ändert.

Im Demo-Aufruf war von gemütlichem Picknick ab 14 Uhr die Rede, aber um 14.02 Uhr kündigt der Fahrer eines dunklen Renault laut an, gleich jemandem das Genick zu brechen. Er will nämlich auch an diesem Sonntag unbehelligt durch die Prinzregentenstraße fahren, wie es jeden Tag Hunderte Autofahrer tun. Werktags spart es ihnen den Ampelstau vor der Bundesallee und ist auch sonst praktisch. Verboten ist es allerdings auch: Die Prinzregentenstraße verbindet Friedenau mit der City-West und ist zwischen Wexstraße und Prager Platz seit 2010 eine Fahrradstraße.

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An jeder Kreuzung steht, dass außer Radlern nur Anlieger fahren dürfen. Abkürzen ist kein Anliegen im Sinne der StVO. Nachdem das Netzwerk fahrradfreundliches Charlottenburg-Wilmersdorf – ein lokaler Ableger des Fahrradvolksentscheids – für den südlichen Abschnitt 97 Prozent illegalen Durchgangsverkehr ermittelt hat, war die Demo für eine echte Fahrradstraße fällig. Zumal die Situation in den knapp 20 anderen Berliner Fahrradstraßen teils ähnlich ist.

Ein zur Absicherung angereister Polizist verlässt wegen des Geschreis seinen Streifenwagen. Eine spontane Verkehrskontrolle käme jetzt super an, aber er schafft dann doch erst mal den Regelbrechern freie Bahn. Zehn Minuten später dürfen die Picknicker dann endlich auf die Fahrbahn – für eine Viertelstunde. 50 Teilnehmer waren avisiert; gekommen sind mindestens doppelt so viele. Und dann biegen mit großem Hallo noch mal 60 oder 70 um die Ecke, die mit dem Schöneberger ADFC auf Kieztour sind.

„Mit dem Radverkehrsgesetz ist das große Ziel erreicht, aber jetzt muss es lokal umgesetzt werden“, sagt Sina Arndt vom lokalen Netzwerk. Angesichts des Status quo sehe sie die Gefahr, dass die Prinzregentenstraße als gescheitertes Exempel statuiert wird nach dem Motto: Fahrradstraßen funktionieren nicht.

Qualität statt Placebo

Zumindest funktionieren sie in der bisherigen Variante nicht. Sina Arndt schlägt für den nördlichen Teil Richtung Prager Platz von Kreuzung zu Kreuzung wechselnde, für Radler freigegebene Einbahnstraßen vor, um Durchgangsverkehr fernzuhalten. Im Südteil, nahe der Stadtautobahn, helfen wohl nur Barrieren, sagen sie und andere Anwohner. Viele von ihnen sind mit ihren Kindern gekommen, mit denen sie sich auf den täglichen Wegen zu Kita und Schule drangsaliert und gefährdet fühlen. „Zumal die Straße den Volkspark Wilmersdorf kreuzt, wo viele mit Kindern hinwollen“, sagt ein Vater.

Anfang 2016 ergab eine Grünen-Anfrage, dass Fahrradstraßen für elf Euro pro Meter zu bekommen sind. Das war ein schöner Aha-Effekt, erst recht im Verhältnis zu den 150.000 Euro pro Meter für die Verlängerung der Stadtautobahn. Aber es waren eben auch Äpfel und Birnen, und für die elf Euro pro Meter bekommt man nur Schilder und Piktogramme. Deshalb wollen sie in Wilmersdorf nun Qualität statt des billigen Placebos. Und nicht nur hier: Auch in anderen Bezirken sind Netzwerke entstanden, ein besonders aktives in Neukölln.

Eine wissenschaftliche Studie bestätigt ihre Kritik: 2016 hat die Unfallforschung der Versicherer (UdV) Fahrradstraßen untersuchen lassen – und kam zum Schluss, dass die Durchfahrt für Autos konsequenter unterbunden und Verstöße auch geahndet werden müssen. Die Untersuchung hatte auch ergeben, dass viele deutlich schneller fuhren als die erlaubten 30 km/h und die Hälfte der befragten Rad- und Autofahrer gar nicht wusste, dass in Fahrradstraßen auch nebeneinander geradelt werden darf.

In Wilmersdorf wird es dann doch gemütlich: Mundgeblasene Musik schwebt in der Luft, Picknickdecken liegen auf der Straße. Angesichts der vielen Teilnehmer gewährt die Polizei eine Stunde Verlängerung. Und Sina Arndt überlegt, ob man die Aktion werktags wiederholen sollte, wenn es die Autofahrer wirklich stört.

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