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Berlin: Radikalkur gegen das Marlene-Syndrom

Mehr als 500 Mal spielte Judy Winter die Dietrich. Jetzt hört sie auf

Eine Schnapszahl ist es nicht, mit der „Marlene“ am 14. Januar Abschied von Berlin nimmt. Zum 533. Mal und letztmalig steht an diesem Tag Judy Winter in dem gleichnamigen Stück von Pam Gems auf der Bühne. Dessen Erfolgsstory ist einmalig in der Geschichte des Renaissance-Theaters. Vor mehr als sieben Jahren – am 28. Juni 1998 – bejubelte das Publikum in der Knesebeckstraße erstmals die Actrice in der Rolle ihres Lebens. Und ginge es nach dem Willen der Fans von Winter und Marlene Dietrich – die auf der Bühne längst niemand mehr auseinander hält –, könnte das endlos immer so weiter gehen. Zu verblüffend ist allabendlich die Verwandlung der Berliner Schauspielerin in den Weltstar Dietrich, in deren Haut die Winter förmlich hineingekrochen ist – in jeder Vorstellung scheinbar ein Stückchen mehr.

In 62 Städten in sieben Ländern wurde Judy Winter in den vergangenen sieben Jahren gefeiert – von Deutschland über Italien, Luxemburg, Liechtenstein, die Schweiz und Österreich bis nach Japan verlief ihr Siegeszug als „Marlene“. Daheim in Berlin steht sie seit dem ersten Weihnachtsfeiertag schon wieder im berühmten Schwanenmantel der Dietrich en suite auf der Bühne – am Silvestertag war es das 525. Mal. In der 533. Vorstellung am 14. Januar um 20 Uhr zieht sie den Mantel und das auf den Leib geschneiderte legendäre Glitzerkleid der „Marlene“ nun zum letzten Mal an. Darum hatte Judy Winter eigentlich schon 2004 „ihr Haus-Theater“ gebeten. „Einmal muss Schluss sein“, hatte sie sich gesagt. Sie wollte auf Dauer künstlerisch nicht als „Marlene“ abgestempelt sein und befürchtete, mit der Rolle wie einst Romy Schneider einem Sissi-Syndrom zu erliegen.

2004 war es im Renaissance-Theater Intendant Horst Filohn doch nochmals gelungen, sein Kassen-Zugpferd zum Weitermachen zu überreden – bis eben jetzt. Letzte „Marlene“-Karten gibt es unter der Rufnummer: 312 4202. Der laut Judy Winter „wirklich allerletzte“ Abschied von „Marlene“ wird viele Fans schmerzen – von der Darstellerin müssen sie sich dabei nicht sehr lange verabschieden. Schon am 14. März kann man sie wiedersehen – in der Komödie am Kurfürstendamm gibt es eine „Schöne Überraschung“, so der Titel eines neuen Stückes mit Judy Winter in einer Hauptrolle.

Geschrieben hat das Stück mit Musikeinlagen Francis C. Winter – der Adoptivsohn der Schauspielerin. Zur Premiere wird sich der junge Mann nicht nur als Autor vorstellen, sondern neben Judy Winter als Schauspieler auf der Bühne stehen. „Schöne Überraschung“ erzählt von einem Elternpaar (Judy Winter spielt die Mutter), das den Freund der Tochter, gespielt vom Autor, erst am Verlobungstag kennen lernt – und überrascht feststellt, dass es sich um einen Schwarzen handelt, was die vermeintliche Liberalität der Eltern arg erschüttert. hema

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