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Berlin: Rätsel der Stadtgeschichte

Fast an jeder Ecke hängt in Berlin eine Gedenktafel, 2820 sind es – und es werden immer mehr Ab Sonntag können Sie in der Reihe „Schauplatz Berlin“ im Tagesspiegel viele von ihnen kennenlernen.

Als anno 1893 die erste Übersicht zu „Berliner Gedenktafeln“ erschien, ein 20-seitiger Sonderdruck aus der Zeitschrift „Bär“, gab es erst rund 50 solcher Erinnerungszeichen in der Stadt. Doch könne „bei den heut vorherrschenden materiellen Regungen,“ so mahnte der Verfasser Paul Schmidt-Neuhaus, „gar nicht eindringlich genug auf das erhabene Beispiel jener Männer des Wortes und der That, der Wissenschaft und der Kunst hingewiesen werden“. Außerdem, meinte er, schmückten doch solche Tafeln auch die betreffenden Häuser „und heben dieselben aus der Reihe der Mietskasernen heraus und umweben sie mit dem Glorienscheine pietätvoller Erinnerung“. Selbst wo das Original-Gebäude nicht mehr vorhanden sei, solle man so verfahren: „Die Stätte, wo ein hervorragender Mensch gelebt und Großes geschaffen hat,“ bleibe „immerhin der Erinnerung wert, auch wenn ihre äußere Beschaffenheit längst eine andere geworden ist.“ Deshalb dürfe man durchaus „Gedenktafeln und Denksteine den Standbildern und Büsten berühmter Männer und Frauen an die Seite stellen“.

Zwar kommt die Sprache in Constanze Döhrers gerade erschienenem Wälzer „Spuren der Geschichte. Neue Gedenktafeln in Berlins Mitte“, nicht so pathetisch daher wie der Stadthistoriker vor 119 Jahren. Das Buch dokumentiert ausführlich 196 zwischen 1993 und 2011 in Mitte, Wedding und Tiergarten realisierte Denkzeichen. Aber die Faszination und das Anliegen des damaligen Projekts haben sich bis heute erhalten: „Gedenktafeln“, heißt es im Editorial, „sind manifestierte Erinnerungen. Sie sind ein Stück Gedächtnis der Stadt.“ Schon im 17. Jahrhundert habe das Tafel- Wesen mit einem Memorial für den Kurfürsten Johann Sigismund angefangen. Erst mit der Emanzipation des Bürgertums im 19. Jahrhundert sei jedoch der Trend entstanden, auch das eigene, bürgerschaftliche Engagement öffentlich der Nachwelt zu überliefern. Seitdem weitete sich das Sujet der Gedenkobjekte noch einmal aus: Neben den Prominenten werden unbekannte Helden verewigt, literarisch konnotierte Pappeln, berühmte Sportvereine, Orte wichtiger Vertragsunterzeichnungen, verdiente Institutionen, zerstörte Gotteshäuser, abgerissene Stadtviertel, berühmte Familien, staatsterroristische Büros, epochale verkehrstechnische Gründungen und historische Treffpunkte umwälzender Demonstrationen.

Steinerne und metallene Gedenktafeln gibt es in Berlin, ganz kleine und zwei Meter breite, zahlreiche aus der Porzellan- Serie von der Königlichen Porzellan Manufaktur (KPM), inhaltlich betreut durch die Historische Kommission, gesponsort von der Gasag. Augenfällige gibt es, aber auch in Hinterhöfen verborgene. Derzeit insgesamt 2820, sagt Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Die erarbeitet gerade – gemeinsam mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand e.V. – das erste umfassende Verzeichnis der Berliner Gedenktafeln als Online-Präsentation.

Tatsächlich ist ein ziemlich großer Teil der Markierungen des öffentlichen Raumes Gegnern und Opfern des „Dritten Reiches“ wie auch Antifaschisten der Nachkriegsjahre gewidmet. Dennoch geht das Ziel der Gedenkstätte und des Vereins über deren ureigenes Thema hinaus. Der komplette Ist-Stand soll versammelt werden, obwohl fast wöchentlich Tafeln hinzukommen – was die Unternehmung zu einem Work-in-progress-Projekt macht. Die Internet-Seite, auf der das Verzeichnis im Spätherbst (Adresse folgt) einsehbar sein soll, verfügt deshalb auch über eine Funktion zur Meldung von Neulingen. Verschwundene Tafeln sind dort ebenso aufzurufen wie Berlins Erinnerungspfade nach Bezirken, Straßen, Personen: ein Navi durch den topografischen Geschichtsdschungel all jener Erzählungen, die für viele Fans dieser Stadt das einzigartige Berlin-Gefühl ausmachen.

Der Tagesspiegel beteiligt sich an diesen Exkursionen zur Stadt-Erkundung ab dem morgigen Sonntag mit der Reihe „Schauplatz Berlin“: Auf diesen Seiten der Zeitung gibt es ab morgen jeden Sonntag ein Rätsel zur Gedenktafel der Woche. Sie dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen, um das es geht. Für Berlin-Kenner vielleicht ein Kinderspiel oder ein Test; für Berlin-Frischlinge eine Wegbahnung durch die Schichten und Geschichten ihrer neuen Heimat; für Touristen und andere Berlin-Entdecker ein Story-Panorama der Anekdoten und Abenteuer. Falls das Rätsel einmal für Sie ungelöst bleibt und es Ihnen zu lang dauert, auf die Auflösung am folgenden Sonntag zu warten, finden Sie den Klartext zur Frage bereits am Mittwoch darauf im Internet auf Tagesspiegel Online. Bis morgen also: bei Schauplatz Berlin!

Constanze Döhrers: „Spuren der Geschichte. Neue Gedenktafeln in Berlins Mitte“, Hg. Volker Hobrack / Angelika Keune, Berlin Story Verlag, 480 S., 19,80 €

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