zum Hauptinhalt

Rainer Maria Woelki: Kardinal auf neuen Wegen

Vor einem Jahr kam Rainer Maria Woelki ins Amt als Erzbischof von Berlin. Das anfängliche Misstrauen, mit dem er in der Stadt empfangen wurde, hat er inzwischen zerstreut.

Fast hätte es den Dreck von der Kuppel der St.-Hedwigs-Kathedrale gesprengt, so leidenschaftlich sprach Rainer Maria Woelki vom „Unfassbaren“, vom „Geheimnis“ des Glaubens. Das war vor einem Jahr, als Woelki am 27. August mit einem Festgottesdienst in sein Amt als Erzbischof von Berlin eingeführt wurde.

Seitdem war der „Neue“ in der Öffentlichkeit oft präsent, mal gab es kirchliche Anlässe wie seine Erhebung in den Kardinalsrang, mal setzte er eigene Akzente, etwa indem er Roma und Sinti in Neukölln besuchte, Pläne für ein Abschiebegefängnis auf dem neuen Flughafen verurteilte oder den Regierenden Bürgermeister verteidigte, als viele wegen des Flughafendesasters über ihn herfielen. Das anfängliche Misstrauen, mit dem Woelki in Berlin empfangen wurde, hat er zerstreut. Seine rheinisch-selbstironische Art hat viel dazu beigetragen. Außerdem wirken seine tiefe Frömmigkeit und das, was er sagt und tut, authentisch und wahrhaftig. Das kommt an.

Durch Äußerungen über Homosexuelle hat er deutlich gemacht, dass er theologisch nicht zu den Engstirnigen gehört. Auf dem Katholikentag in Mannheim hatte er über homosexuelle Partnerschaften gesagt: „Ich halte es für vorstellbar, dass dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, wo sie in einer dauerhaften homosexuellen Beziehung leben, dass das in ähnlicher Weise zu heterosexuellen Partnerschaften anzusehen ist.“ Die Online-Plattform „kreuz.net“, die Eiferer am rechten Rand des Katholizismus versammelt, verhöhnt Woelki seitdem als „Homo-Kardinal“, der „das Böse“ verteidigt. Denn der Katechismus der katholischen Kirche verurteilt praktizierte Homosexualität als „Verstoß gegen das natürliche Gesetz“. Trotz des Ärgers, den ihm seine Äußerung eingebracht hat, steht er zu seiner Position und hat sie in Interviews verteidigt. Öffentlichkeitswirksame Auftritte mit dem bekennend schwul lebenden Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit meidet er jetzt allerdings.

Sehen Sie hier Bilder von Woelkis Amtseinführung:

Nachdem er im ersten Jahr viel in der Öffentlichkeit stand, wolle sich der Kardinal nun mehr den inneren Angelegenheiten des Erzbistums zuwenden, sagt sein Sprecher. Da wartet viel Arbeit. Von dem finanziellen Desaster vor zehn Jahren hat sich das Bistum einigermaßen erholt, die Schulden sind abgebaut, die Gläubigen haben sich mit den Kürzungen arrangiert. Nun drohen neue Gemeindefusionen aufgrund des Priestermangels. 2008 standen 141 Priester im Dienst des Erzbistums, jetzt sind es 137. Das ist noch kein dramatischer Rückgang, doch viele der aktiven Pfarrer gehen in den nächsten Jahren in Ruhestand; es fehlt der Nachwuchs. 2012 wurde in Berlin kein Priester geweiht – während die Zahl der Gläubigen wächst: von 395 000 im Jahr 2008 auf knapp 397 000 in diesem Jahr.

Die katholische Welt wird bunter

„Von manchem werden wir uns verabschieden müssen, was bisher getragen hat, um Neuem Raum zu geben“, kündigte der Kardinal jetzt in einem Interview der Zeitschrift des Seelsorge-Dekanats an. „Bisher selbstständige Pfarreien werden sich mit anderen bisher selbstständigen Pfarreien zusammenschließen müssen, um im größer gewordenen pastoralen Raum dem Evangelium eine konkrete Gestalt zu geben.“ Woelki will Schwerpunkte setzen, nicht jede Gemeinde werde alle pastoralen Bereiche abdecken können.

Bedingt durch die Überschuldung wurden in den vergangenen Jahren kleinere Gemeinden mit einer oder zwei anderen fusioniert. Jetzt zählt das Bistum 100 Gemeinden. In den westdeutschen Bistümern Paderborn, Essen oder Münster wurden Pfarrverbände mit fünf und sechs Gemeinden etabliert mit bis zu 30 000 Gläubigen. Kardinal Woelki ist mit der Situation dort vertraut, bevor er nach Berlin berufen wurde, war er Weihbischof in Köln. Dieses Modell auf Berlin übertragen würde bedeuten, dass zehn Großgemeinden übrig bleiben.

Katholiken in Paderborn und Münster fremdeln mit der Situation, erzählt ein Berliner, der dort Verwandte hat. Man wisse nie, welcher Pfarrer an welchem Sonntag wo Messe halte. Darauf angesprochen, antwortete der Kardinal der Zeitschrift des Seelsorge-Dekanats: „Gut möglich, dass es in Zukunft von uns größere Anstrengungen erfordert, um an der sonntäglichen Eucharistiefeier teilnehmen zu können. Doch zeigt dies, wie wichtig und kostbar uns die Eucharistie und die Teilnahme an ihr in Wirklichkeit sind.“

Dass ein Laie den Sonntagsgottesdienst leitet oder dass man das Abendmahl, die katholische Eucharistiefeier, weglässt, kommt für Woelki nicht in Frage: „Sicherlich kann keine andere Gottesdienstform an die Stelle der sonntäglichen Eucharistie treten. Sie ist Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens.“

Das bedeutet aber nicht, dass die Kirche der Zukunft eine Kleriker-Kirche sein wird. Im Gegenteil: Woelki prophezeit, dass die Bedeutung der Laien zunehmen werde. „In den Ländern des Südens können wir schon heute verschiedene Pastoralzentren beobachten, die nicht klassische Pfarreien sind, aber sehr stark durch die Hilfe von Laien getragen werden.“ So viel ist jedenfalls klar: Die traditionelle Pfarrei wird es nicht mehr lange geben. Sie wird einer Vielfalt von Gemeindeformen weichen. Die katholische Welt gerade auch im Erzbistum Berlin wird bunter werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false