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Fast zu schick für den Schlamm: der neue Range Rover Evoque

© Thomas Starck/promo

Range Rover Evoque: Wenn Churchill das noch erlebt hätte

Immer schicker, immer digitaler: Fürs Gelände ist der neue Range Rover Evoque eigentlich fast zu schade.

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen – oder in diesem Fall zum Autofahrer. Kein Hügelchen weit und breit, an dem sich die Geländetauglichkeit des neuen Range Rover Evoque vorführen ließe, nur der Parkplatz der ehemaligen, zur Event Location mutierten Brückenmeisterei nahe dem Berliner Westhafen. Macht nichts, es gibt ja mobilen Ersatz: ein Anhänger mit künstlicher, aus Metallrohren und -gittern zusammengeschraubter Erhebung. Sieht harmlos aus, nur laufen die beiden „Reifenspuren“ zwar parallel, doch als gegenläufige Wellen über den silbrigen Huckel. Für den Off-Road-Anfänger wird das schnell zum Problem. Immerhin, das Gas war richtig dosiert, die Räder haben beim Aufstieg nicht durchgedreht. Aber jetzt schwebt das linke Hinterrad abenteuerlich in der Luft, der Wagen scheint aus der Spur zu geraten. „Gegenlenken!“ rät sein Gefühl dem Laien, „Lenkrad gerade!“ drängt, nun doch etwas nervös, der Profi-Beifahrer – ein kurzer Moment von Ratlosigkeit, dann sind wir drüber. Nicht jedermanns Sache, dieses Off-Road-Geschaukel.

Hoch das Rad: den neue Range Rover Evoque im schweren "Gelände".
Hoch das Rad: den neue Range Rover Evoque im schweren "Gelände".

© Andreas Conrad

Also ab auf die platte Straße, hinein in den Berliner Berufsverkehr, einmal Falkensee und zurück, rund 35 Kilometer Innenstadt und ein bisschen Wald. Nicht gerade ideal, um die Fähigkeiten der zweiten Generation des Range Rover Evoque auszuprobieren, des neuesten, am 6. April in den Verkauf gehenden Produkts aus dem Oberklasse-Segment des britischen Herstellers Land Rover. Die 249 PS unter der Motorhaube sind immerhin zu ahnen, wird das Gaspedal mal versehentlich zu unsensibel bedient – sofort macht der Wagen einen Satz nach vorn. Aber dafür ist an den vielen Ampeln die Mild-Hybrid-Technik um so besser zu erleben, die dem neuen Evoque als ersten Schritt in Richtung E-Mobility verpasst wurde. Für sie braucht man keine Steckdose, vielmehr wird die Energie, die beim Bremsen oder Verzögern sonst verloren ginge, zurückgewonnen und in einen Akku im Unterboden eingespeist. Fährt der Wagen langsamer als 17 km/h und tritt der Fahrer auf die Bremse, schaltet sich der Verbrennungsmotor automatisch ab, und ein dort montierter Riemen-Starter-Generator kommt zum Einsatz, der ihn auch bei erneutem Anfahren und Beschleunigen unterstützt. Eine für den Evoque neue technische Finesse, deren genaue Funktionsweise den Durchschnittsfahrer nicht interessieren dürfte, das Ergebnis aber schon: Sechs Prozent weniger Spritverbrauch soll das bringen.

Dezente Formensprache. Schon das Design des Vorgängers wurde vielfach gelobt und ausgezeichnet.
Dezente Formensprache. Schon das Design des Vorgängers wurde vielfach gelobt und ausgezeichnet.

© Andreas Conrad

Beim Cruisen durch die Berliner Stadtlandschaft und später den Spandauer Forst kommen noch weitere vom Hersteller Land Rover besonders herausgestellte Neuheiten sehr viel besser zur Geltung als beim Rasen über Landstraßen und Autobahn. Zum Beispiel die Technik mit dem schönen Namen „ClearSight Smart View“: Durch einen Schalter am Innenrückspiegel wird eine Kamera in der Dachantenne angeknipst, und der Spiegel ist plötzlich ein Bildschirm mit erweitertem, nun sogar 50 Grad erfassenden Sichtfeld – sehr nützlich, wenn Gepäckstücke oder zu breit geratene Fond-Passagiere den Blick nach hinten stören. Und wenn wir jetzt anhielten, uns beim Einparken voller Sorge um die hübschen Felgen vorsichtig an den hohen Bordstein herantasteten oder sogar – aber wer macht das schon – mit dem schicken Evoque tatsächlich mal in den Modder abgelegener Pisten wagten, käme uns, ebenfalls optional, die „ClearSight Ground View“, die „durchsichtige Motorhaube“, zu Hilfe: aufs obere Touchscreen geschickte Kamerabilder, die einen 180-Grad-Blick unter den Vorderwagen erlauben.

Mehr Platz für Hinterbänkler

Der seit 2010 in 800.000 Exemplaren verkaufte Evoque hat eben mit der zweiten Generation noch einmal einen deutlichen Sprung nach vorn gemacht, in der Technik wie im Design. Winston Churchills vernichtende Kritik, nachdem er 1948 mit einem der ersten Land Rover Probe gefahren war, ist da nicht mehr als eine amüsante Anekdote aus der Frühgeschichte der Marke: „Ich habe mich gefühlt wie in einer verrückt gewordenen Waschmaschine. Wenn das alles ist, was das Empire hervorzubringen vermag, dann sehe ich schwarz.“ Gegen einen Kompakt-SUV der Premiumklasse wie den neuen Range Rover Evoque dürfte Churchill keine Einwände mehr einfallen, vielleicht würde er sich darin sogar noch als Hinterbänkler wohlfühlen, ist doch dank vergrößertem Radstand der Platz dort in der zweiten Reihe um zwei Zentimeter mehr Beinfreiheit gewachsen und der Kofferraum gleich mit, ohne dass sich an den Außenmaßen viel verändert hätte.

Ohne Schnörkel. Auch das Innenleben des neuen Range Rover Evoque wurde stilsicher gestaltet.
Ohne Schnörkel. Auch das Innenleben des neuen Range Rover Evoque wurde stilsicher gestaltet.

© promo

Am vielgelobten Design des Evoque aber schon: Es ist schicker geworden, die Scheinwerfer gerieten schmaler, die ehemals klobigen Lufteinlässe darunter wirken nun überaus dezent, die Linien sind klarer, ohne dass die coupéhafte Anmutung mit fallender Dach- und steigender Gürtellinie verlorengegangen wäre. Nicht mal die Türgriffe sollen sich dem Fahrtwind entgegenstemmen: Wenige Sekunden nach dem Starten werden sie automatisch eingezogen. Verschwunden sind auch die Kunststoffeinfassungen der Radkästen, ehemals weniger ein Schutz der Karosserie als der Verweis auf die robuste Geländegängigkeit – ein mehr demonstratives Detail, das bei der neuen Version als entbehrlich galt. Obwohl sie sich, nun mehr durch Leistung als durch Optik, zu ihren Off-Road-Genen bekennt: Der Fahrer kann zwischen den Fahrprogrammen „Komfort“, „Sand“, „Gras/Schotter/Schnee“ und „Schlamm“ wählen – oder er überlässt einer Automatik die Wahl. Und die Watfähigkeit wurde noch einmal auf 60 Zentimeter gesteigert. Durch Jahrhundertregen überflutete Unterführungen müssen den Evoque-Fahrer nicht schrecken, zumal wenn Ultraschallsensoren an den Außenspiegeln vor Abgründen warnen.

Auf Knopfdruck wird der Innenrückspiegel zum Bildschirm. Die Kamera sitzt auf dem Dach.
Auf Knopfdruck wird der Innenrückspiegel zum Bildschirm. Die Kamera sitzt auf dem Dach.

© promo

Die Reduktion der Formen auf das Wesentliche, die dezente Schlichtheit findet sich auch im Wageninneren wieder, kombiniert mit einem Trend zur Nachhaltigkeit. Ledersitze? Kann, muss nicht. Als Alternative gibt es beispielsweise ein hochwertiges Spezialgewebe, bei dessen Herstellung pro Fahrzeug 53 Halbliterflaschen aus Kunststoff recycelt werden. Und in einem zweiten als nachhaltig angepriesenen Stoff wird ein Hightech-Gewebe aus nicht tierischen Quellen mit einem aus Eukalyptus-Naturfasern kombiniert. Dagegen könnten allenfalls Koalabären etwas haben. Selbstverständlich wurde auch die Digitalisierung vorangetrieben, sichtbar schon an den beiden übereinander platzierten Touchsreeens, dem Display für die Instrumentenanzeige und dem Head-up-Display in der Windschutzscheibe, erlebbar in den diversen Assistenzsystemen, seien sie, wie manches andere am Evoque, nun serienmäßig oder optional. Der Wagen ist durch die „Smart Settings“-Technologie sogar lernfähig, erkennt über den Schlüssel oder das Smartphone den jeweiligen Fahrer, stellt ihm Lenkrad und Sitz individuell ein, verwertet Informationen über bevorzugte Innentemperatur, mediale Vorlieben, häufig gewählte Telefonnummern und sogar die liebste Massagefunktion seines Sitzes, alles dank künstlicher Intelligenz. Nur lenken muss man den Evoque noch selbst, daran hat sich seit Churchill nichts geändert. Aber es geht leichter. Viel leichter.

Technische Details
Abmessungen
4,37 m (L), 2,10 m (B), 1,65 m (H)
Gepäckvolumen
472 Liter, mit umgelegter Fondlehne 1156 Liter
Antrieb
Drei Diesel-Motoren mit 150, 180, und 240 PS, drei Benziner mit 200, 249 und 300 PS; jeweils mit 48-Volt-Mild-Hybrid-Technik, Automatikgetriebe, Allradantrieb; ein weiterer 150-PS-Diesel (Frontantrieb, Schaltgetriebe) folgt in Kürze, etwas später ein Plug-in-Hybrid.
Getestet wurde ein Wagen der Ausstattungslinie „First Edition“ mit dem 249-PS-Benzinmotor (max. Drehmoment 365 Nm, 230 km/ Spitze, von 0 auf 100 in 7,5 Sekunden, Verbrauch 8-7,9 Liter/100 km).

Preis
Der neue Range Rover Evoque startet bei 37.350 Euro, der Testwagen bei 68.850 Euro.

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