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Untröstlich. Noch immer bringen Zoobesucher Blumen, Kerzen und Karten mit zum Eisbärengehege, in dem Knut vor einigen Tagen gestorben ist.

© dapd / Gottschalk

Raubtier-Chef: Der Witwentröster im Zoo

Heiner Klös ist im Zoo aufgewachsen und Chef der Raubtiere. Der Tod des Eisbären hat ihn getroffen – aber andere noch sehr viel mehr.

Knut ist weg, aber sein Felsen ist noch da. Eine Frau knipst den Fels ohne Eisbär und wendet sich ab. Zu lange erträgt sie diesen Anblick nicht. Heiner Klös, der Chef der Zoobären, bleibt respektvoll auf Distanz. Das Eisbärgehege ist ein Ort der Trauer geworden. Wie geht man nun damit um? Einfach saubermachen und einen anderen Bären reinsetzen? Klös überlegt. Er hat das Verhalten von Tieren studiert, jahrelang.

Menschen sind eine andere Spezies.

Alle drei Minuten klingelt das Handy. Zeitungen, Radiosender, das australische Fernsehen, ein Reporter von den Fidschi-Inseln, 350 Interviews habe er seit Knuts Tod gegeben, sagt Klös. Der Hype sei noch verrückter als zu Lebzeiten des Superstars. Früher erklärte er, dass Eisbären, die aussehen wie Kuscheltiere, trotzdem Raubtiere bleiben. Und dass der Berliner Zoo nicht die Vorzüge der Arktis bieten kann. Das klappte noch einigermaßen. Jetzt ist das Erklären unmöglich geworden.

Auf einer Wegkreuzung im Zoo prescht eine ältere Dame in weißer Steppjacke auf ihn zu. „Herr Klös!“, ruft sie, gibt ihm die Hand, und kommt gleich zum Thema. „Man hätte ihn rausnehmen müssen.“ Das Mobbing der älteren Eisbären habe ihm furchtbares Leid zugefügt. „Daran ist er nicht gestorben“, sagt Klös und spricht von vier guten Jahren, Klimaschutz, Ökologie, dass er ein starker Bär gewesen sei, aber auch ein sanfter. Die Dame stöhnt, schaut schmerzverzerrt zur Seite, sie scheint die Worte gar nicht zu hören. „Herr Klös, ich bin so traurig.“

Nun ist der Bärenkurator Witwentröster geworden. Viele ältere Damen unter den Knutfans kennt er schon lange. Manche kamen fast täglich in den Zoo. „Viele haben auch meine Handynummer.“ Klös gab ihnen Aufgaben, baute ein Netzwerk aus Helferinnen auf, die am Gehege Wache schoben. „Einige haben sogar abgesprochen, welche Schichten sie übernehmen.“ Der Zoo als Familienersatz, als sinnstiftender Treffpunkt alleinstehender Menschen.

Heiner Klös kennt die Zoofamilie, seit er selbst darin aufwuchs. Sein Vater Heinz-Georg Klös war von 1956 bis 1991 Zoodirektor und wohnte auf dem Gelände. Der kleine Heiner half den Tierpflegern beim Futtermachen und Ausmisten, schrubbte das Robbenbecken, gab dem Zebrababy die Flasche, lauschte der sonoren Stimme von Fernsehzoologe Bernhard Grzimek, wenn er auf Besuch kam und kannte die Hausfrau, die morgens im Zoo ihre Kartoffeln schälte. Nach dem Mittagessen war sie wieder da, um nach ihren Tieren zu schauen.

„Das ist mein Zuhause“, sagt Klös, und seine Stimme wird dringlich, warnend. Kritiker haben ihm schon vor Jahren mangelnde Qualifikation vorgeworfen, weil er nicht promoviert ist. Der Biologe wollte im Jahr 2000 Zoodirektor werden, am Vizechef vorbei. Der Betriebsrat schlug Alarm, die Presse schrieb von Vetternwirtschaft, und der Coup war verdorben. „Damals konnte ich mich nicht wehren“, sagt Klös. Das Ziel, Zoochef zu werden, verfolgt er immer noch.

Dynastische Erbfolgen gab es schon unter den Zoodirektoren Ludwig und Lutz Heck, die bis 1945 im Amt waren. Klös junior ist zwar ein gewandter Kommunikator, eine Aura als jovialer Zoopatriarch und kantige Persönlichkeit allerdings ist bislang kaum zu erkennen. 52 Lenze zählt er, wirkt aber deutlich jünger, wenn er in Outdoorjacke und Jeans in seinem Revier unterwegs ist. Er könne jederzeit mit anpacken, wenn es Stress gäbe im Käfig. Zuständig ist Klös für alle Raubtiere, kleine Affen und Nachttiere. Der Titel „Bärenkurator“ sei eine Erfindung der Presse.

Also Raubtierkurator, einer, der den gefährlichen Katzen ihre Sanftheit entlockt. Kein Schmiss, keine Schramme verunziert sein gebräuntes Gesicht. Klös hat Biologie studiert, zuerst Botanik, später Verhaltensforschung bei Kleintieren, Spezialgebiet „Sozialverhalten von Meerschweinchen“. Konzentriertes Beobachten, stundenlang, das hat seine Wahrnehmung geschärft. Auf seinen Runden durch den Zoo, per Rad, erkenne er schon im Augenwinkel, ob etwas nicht stimmt, bei den Löwen oder Antilopen. Bei Knut bemerkte er nichts. Umso größer war der Schock. „Sein Tod ist mir auch nahe gegangen“, trotz der „mentalen Bremse“, die sein Intellekt bei Knut angezogen habe.

Nach dem Eisbärende werde der Zoo nicht einfach auf das Vor-Knut-Besucherniveau absinken, meint Klös. Der Gedenktourismus könne noch Jahre andauern. Doch die Anhängerschar empört sich schon jetzt über die Zukunft ihres Lieblingsbären als ausgestopftes Ausstellungsstück im Naturkundemuseum. Das wäre „makaber“, schimpft eine Frau am Trauerfelsen. Auch im Knut-Gedenkbuch, das der Zoo eingerichtet hat, gibt es viele Stimmen gegen das Ausstopfen. Indizien für die grassierende Vermenschlichung eines einzelnen Bären, sagt Klös, das widerspreche seinem Weltbild als „praktizierender Christ“. Früher seien solche Vorbehalte als Gefühlsduselei abgetan worden.

Letztlich denkt Klös wie sein Chef, der raubeinige Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz. Kritik von selbsternannten Tierexperten und „Pseudowissenschaftlern“ nehme er nicht ernst. Der Zoo dürfe nicht auf ein Tier reduziert werden. Ein Bär, im digitalen Universum zum Weltstar getwittert, bleibe doch nur ein Bär, ohne Ansprüche auf einen Luxusfelsen mit Spielecke. Viele Tierpfleger seien „stinksauer“ gewesen, als nur noch Knuts Pflegevater Thomas Dörflein für die Außenwelt von Interesse war. Vor Dörflein war es der „Affenpapa“ Reimon Opitz. Beide sind überraschend gestorben. Genau wie Knut. Der Berliner Zoo ist nun wieder ein ganz normaler, weitgehend glamourfreier Tierpark. Ein Phänomen wie Knut, glaubt Klös, das werde nie wieder kommen.

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