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Berlin: Raupe gegen Molch und Käfer

Für die Verlängerung der Stadtautobahn werden Gärten planiert – und mit ihnen auch manches Getier.

Es ist kein Molchwetter an diesem Donnerstagmorgen. Verkehrspolitiker, Umweltfreunde und Bürgerinitiativler stehen an Teebecher geklammert im verrumpelten Neuköllner Hinterland jenseits des Estrel-Hotels. Hier wollen sie zeigen, wie der Senat bei den Vorbereitungen für den Weiterbau der A 100 gegen geltendes Recht und seine eigenen Vorgaben verstößt. Aus aktuellem Anlass, wie Grünen-Verkehrsexperte Harald Moritz betont: Noch im Februar sollten drei weitere Kleingartenanlagen mit mehr als 600 Bäumen planiert werden. Ab März dürfe wegen der Vegetations- und Brutperiode jedenfalls nicht mehr gerodet werden. Im Februar aber dürften Molche und vermutete Amphibien in ihrer Winterruhe nicht gestört werden. Von denen gebe es hier viel mehr, als man glaube.

Die Stadtentwicklungsverwaltung bestätigte, dass im Februar die Planierraupen anrücken sollen. Zugleich stellte eine Sprecherin klar, dass die Kleintiere bereits im vergangenen Jahr in Eimern gesammelt und „nach allen Regeln der Kunst“ in die Nachbarschaft verfrachtet worden seien und selbstverständlich alle Vorschriften eingehalten würden. Ein anerkanntes Büro überwache die Arbeiten.

Andrea Gerbode, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bezirk Treptow-Köpenick und aktiv in der Bürgerinitiative gegen die Autobahn, führt durch die Kolonie Helmutstal, vor deren bereits ausgeweideten Lauben sich Müll in den Gärten türmt: Bauschutt, Farbeimer, Fernseher. Hier sollen noch immer Tiere wohnen, die auf der Roten Liste stehen: Molche, Frösche, Kröten. Und Fluchtläufer, eine in Berlin als ausgestorben und in Brandenburg als „sehr selten“ geltende Käferart.

Hat der Fluchtläufer gar Juchtenkäferpotenzial und kann das ganze Projekt aufhalten wie sein entfernter Verwandter im Stuttgart-21-Schlossgarten? Die Versammelten sind skeptisch.

Als handfestere Hoffnung gelten ihnen die laufenden Klagen gegen das Projekt, über die im Laufe dieses Jahres entschieden werden soll. Erst danach darf gebaut werden. Wenn nun die Planierraupe zur „Baufeldfreimachung“ anrückt, erzeugt sie bei den Gegnern das Gefühl, dass der Senat hier mit Steuergeld vorauseilenden Vandalismus betreibt. Jutta Matuschek, Verkehrspolitikerin der Linken im Abgeordnetenhaus, bezweifelt weiter, dass der Bund den Bau finanzieren wird: Das 420 Millionen Euro teure Projekt stehe nur „als Merkposten“ auf einer Liste mit teils viel länger geplanten und überregional wichtigen Vorhaben in anderen Ländern. Im aktuellen Bundeshaushalt sei gar kein Geld für die A 100 vorgesehen. Laut Genehmigung „ist nach Baufeldfreimachung zügig mit der Baudurchführung zu beginnen“, damit sich nicht wieder neues Getier ansiedelt. Matuschek warnt, dass Käfer & Co. später erneut teuer umquartiert werden müssen.

Die Planierraupe wird nicht nur die Natur beiseite räumen, sondern auch den Müll, den auch Auswärtige nach Aufgabe der Gärten vor einem Jahr in der Kolonie abgekippt haben müssen. Als Abhilfe hat der Senat messerscharfen Nato-Draht ausrollen lassen. In Minden hat ein Gericht einer Grundstücksbesitzerin solchen Draht allerdings verboten, weil sich spielende Kinder an ihm schwer verletzen können. Immerhin ist er für den Fluchtlaufkäfer gefahrlos passierbar. Sofern es ihn hier überhaupt gibt.

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