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Ein Gewinn. Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen (l.), gratulierte den mit dem Anne-Klein-Frauenpreis ausgezeichneten Ärztinnen Natascha Nicklaus, Nora Szász und Kristina Hänel. Auch die frauen- und queerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, erinnerte an die Namensgeberin als Motivatorin.

© Stephan Röhl

Recht auf Schwangerschaftsabbruch: Ärztinnen erhalten Anne-Klein-Frauenpreis

Gegen Kristina Hänel, Nora Szász und Natascha Nicklaus gibt es Strafanzeigen, weil sie über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Was sie dazu sagen

Es ein Satz wie dieser auf der Homepage der Frauenärztin Bettina Gaber in Steglitz, der einen juristischen Streit entfachte, der wohl bis vors Bundesverfassungsgericht gehen wird: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber“. Diese Information betrachten Abtreibungsgegner als Werbung für einen Abbruch, was wiederum gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches verstoßen würde. Es ist ein Paragraf, der 1933 eingeführt wurde und „Werbung“ für Abtreibungen „des Vermögensvorteils wegen“ verbietet.

Heute können sich Frauen und Männer online Listen der Frauenärztinnen ergoogeln, die Abtreibungen vornehmen. Menschen, die sich wiederum für ein Recht des ungeborenen Lebens einsetzen, haben Bettina Gaber sowie viele andere Frauenärztinnen verklagt. Gaber prüft, das Wort „medikamentöser“ zu streichen, darum gehe es im Rechtsstreit. Ihre Kolleginnen Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász empfinden, dass sie kriminalisiert werden. Den drei Ärztinnen wurde am Freitag der Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung in Mitte verliehen – als „Frauen-, Motivations- und Demokratiepreis“. Hier die Reden in Auszügen.

Kristina Hänel: Täter sexualisierter Gewalt sollten zur Rechenschaft gezogen werden

Neulich fuhr ich in den Urlaub, um abzuschalten. Ich packte drei meiner Enkel und meinen Sohn ins Auto und wir fuhren in die Berge. „Oma, was ist eigentlich eine Lawine?“ Ja, das kann Schnee sein oder auch Erde. Zum Beispiel wirft jemand einen Stein und bringt damit andere Steine ins Rollen. Das kann sogar einen Erdrutsch geben. Oma, aber warum bringt der Stein die anderen ins Rollen? Tja, vermutlich waren die vorher schon ein wenig locker, sonst würde das ja nicht passieren. Schönes Bild – und mir fällt ein, wie es losging: Yannic Hendricks hatte zig Ärzte und Ärztinnen angezeigt, ausgerechnet bei mir brachte er den Staatsanwalt dazu, das Verfahren wieder aufzunehmen, obwohl der es bereits eingestellt hatte. Er warf den ersten Stein. Ich muss schon lose gewesen sein, sonst hätte ich mich nicht entschieden, mit meinem Verfahren an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann kamen die nächsten losen Steine: eine Mail aus Kassel: Frau Hänel, wir haben auch eine Strafanzeige erhalten und wir werden das Wort Schwangerschaftsabbruch nicht von der Homepage nehmen.

Ich weiß noch, dass ich völlig gerührt war, jetzt war ich nicht mehr allein. So lernte ich Nora Szász und Natascha Nicklaus kennen. Ich kann nicht alle Steine aufzählen, die ins Rollen kamen: Eines Abends brachte mein Musikerfreund 400 Euro zur Probe mit: „Von meiner Mama, für dich zur Unterstützung. 400 Euro, so viel Geld! Irgendwann das „taz“-Titelblatt: 30 Ärzte und Ärztinnen waren bereit, mit ihrem Gesicht an die Öffentlichkeit zu gehen: Wir machen Schwangerschaftsabbrüche! Als ich davon erfuhr, habe ich zum ersten Mal seit der Ladung zum Gericht geheult. Und so ging es weiter, ein Stein kam zum anderen.

Heute werden wir geehrt, drei Ärztinnen, die Abtreibungen machen. Und mit uns erhalten auch die Frauen, deren Würde ständig verletzt wird beim Thema Abtreibung, einen Teil ihrer Ehre zurück. Am 22. März werde ich auf der Leipziger Buchmesse mein Buch „Das Politische ist persönlich: Tagebuch einer ,Abtreibungsärztin’“ vorstellen. Darin beschäftige ich mich auch mit Erfahrungen mit dem Thema sexualisierte Gewalt, etwa bei der Institution katholische Kirche. Es ist entscheidend, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen und die Opfer rehabilitiert werden, nicht die Täter.

Auf einem Kongress der Organisation „FIAPAC“ in Frankreich lernte ich die internationale Gruppe „Catholics for Choice“ kennen. Am meisten beeindruckte mich die Geschichte eines südafrikanischen Arztes, der vom Pro Lifer zum überzeugten Pro Choicer wurde, nachdem er den Tod einer Kollegin miterleben musste. Ich werde die Geschichte nicht los, den Satz „She was young, tall and pretty – then she died“ wird im Kopf zur immer wiederkehrenden Melodie. Kristina Hänel

Nora Szász: Es gibt viel zu beklagen

Am Anfang war ein „Nein“. „Nein“ zu der Anzeige, die Natascha Nicklaus und mich an einem Sommertag Ende August 2017 in der Praxis erreichte. Mitten in der Sprechstunde. Eine Anzeige wegen unerlaubter Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch nach §219a. Ein kurzer Austausch. „Nein“, das lassen wir uns nicht bieten. Alles was dann folgte bis heute war – um Hans von Dohnanyi, zu zitieren – der zwangsmäßige Gang eines anständigen Menschen.

Es ist uns eine große Ehre, gerade diesen Preis entgegenzunehmen, der Anne Klein und ihr Lebenswerk als kämpferische Juristin und lesbische Feministin würdigt. Und deshalb freuen wir uns ganz besonders über diese Anerkennung, für uns alle, für unsere Bewegung, unseren gemeinsamen Kampf. Aber nun frage ich euch: Wie viel Grund zum Feiern haben wir eigentlich?

Es gibt so viel zu beklagen: Wir haben nicht erreicht, was wir erreichen wollten. Der Bundestag hat gerade für eine Neufassung des § 219a des Strafgesetzbuches gestimmt. Damit werden Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland weiter kriminalisiert, Frauen in ihren Grundrechten massiv beschnitten und uns Ärztinnenwird misstraut und verboten, eigenverantwortlich zu informieren. Das verabschiedete Reformpaket ist ein Zugeständnis an fundamentale Abtreibungsgegner. Sie diffamieren und beleidigen uns als „Kindsmörderinnen“, die ein „Tötungshandwerk“ ausüben. Leider wurden keinerlei Schutzmaßnahmen – wie gefordert – in der Reform beschlossen, schwangere Frauen und wir Ärztinnen können ungehindert weiter bedroht und belästigt werden. Beklemmend ist die hautnahe Erfahrung, wie die SPD sich und ihre politischen Ziele unter dem Primat der Regierungsbeteiligung verkauft hat.

Dennoch haben wir mit dieser Mut machenden Auszeichnung noch mehr zu feiern. Etwas, was stark und groß geworden ist: Unsere Bewegung, mit dem Arbeitskreis Frauengesundheit, ist zu einem stetig wachsenden bundesweiten Solidaritätsbündnis aus unzähligen lokalen und bundesweiten Initiativen und Organisationen geworden. Politisch motivierte Strafanzeigen – wie die nach §219a, die wir Ärztinnen erleiden müssen – haben zum Ziel, einen einzelnen Menschen zum Opfer zu machen und ihm Angst einzuflößen. Diesen Gefallen tun wir den Abtreibungsgegnern nicht. Und die Kraft dazu haben wir, weil wir Teil eines Ganzen sind, getragen von so viel Solidarität, Wärme, fachlichem Austausch und unermüdlichem Engagement. Ich habe die Vision, dass wir eines Tages auch das letzte uns zustehende Frauenrecht in Deutschland, das Recht über unseren eigenen Körper entscheiden zu können, erstreiten werden.

„Ich selbst war noch nie schwanger und weiß nicht einmal ansatzweise, wie es sich anfühlt, sich in solch einer ,Notlage’ zu befinden“, schrieb mir eine 19-Jährige in einer E-Mail. „Ich mache gerade eine Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten, wir haben das Thema im Politikunterricht meiner Berufsschule. Ich wollte einfach nur ,Danke’ sagen und dass Sie bitte niemals aufhören sollen, für das zu stehen, was Sie machen. Es ist unser Körper, wir sollen darüber selbst entscheiden. Dank Ärztinnen und Assistenzen wie in Ihrer Praxis, können junge Frauen selbst entscheiden. Danke, danke, danke! Never give up!“

Ja. „Never give up“. Danke, Du junge Frau aus Hamburg, für diese wunderbare Ermutigung. Sie ist mehr wert als jedes politische Programm. Trust women, trust doctors. Nora Szász

Natascha Nicklaus: Das Vorenthalten von Informationen verhindert keinen Schwangerschaftsabbruch

Ich fühle mich sehr geehrt, zusammen mit Nora und Kristina den Anne-Klein-Frauenpreis verliehen zu bekommen. Ganz besonders berührt und bewegt es mich, als Lesbe den Preis einer lesbischen Stifterin, einer Vorkämpferin zu erhalten. Meine Praxispartnerin Nora und ich sind beide in der feministischen Frauenbewegung verwurzelt. Es war einfach keine Option, auf das Angebot der Staatsanwaltschaft einzugehen, das Verfahren einzustellen, wenn wir nur den Eintrag von der Website nähmen.

Wir wollen nicht, dass es zwei einzelnen Männern gelingt, selbstverständliche Inhalte im Internet dauerhaft zu verhindern. Und damit Frauen Informationen vorzuenthalten – durch vielfache Anzeigen, unter Ausnutzung eines aus der Zeit gefallenen deutschen Gesetzes. Und das alles, weil der §219a StGB aus der Zeit vor dem Internet als gängiges Informationsmedium stammt. Weil Gerichte finden, dass eine Information im Internet, die naturgemäß öffentlich zugänglich ist, dem Paragraphen entspricht, der öffentliches Ankündigen unter Strafe stellt.

Heutzutage wissen ungewollt Schwangere, dass Abbrüche möglich sind. Sie recherchieren als Erstes im Internet. Sie müssen schon sehr findig sein, um wenigstens ein paar Antworten auf ihre Fragen zu finden. Da werden auch die angekündigten Listen der Bundesärztekammer nur bedingt helfen. Listen gibt es schon in Berlin und Hamburg – aber wie komisch ist das? Da stehen Ärztinnen und Ärzte auf der Liste, mit Adresse und Telefonnummer. Und wenn frau dann die Internet-Seite der Praxis gefunden hat, steht da kein Wort von Schwangerschaftsabbruch? Oder nur ein Hinweis, aber keine detailliertere Information? Wie oft versuchen Frauen, an Infos zu kommen, bis sie ahnen, dass das System hat? Eine Frau, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss innerhalb kurzer Zeit vier bis fünf Termine organisieren: in der Beratungsstelle, bei einer Frauenärztin, gegebenenfalls der Gang zur Krankenkasse, um die Kostenübernahme zu beantragen, den Abbruch selber und eine Kontrolluntersuchung.

Das alles womöglich in einer psychischen Ausnahmesituation und in einem System, das Informationen vorenthält, und in einem Land, in dem der Weg zu einer Ärztin auch mal über 100 Kilometer weit sein kann. Nicht akzeptieren kann ich Schwangerschaftsabbrüche in späteren Wochen aufgrund systemimmanenter Hürden. Das Vorenthalten von Informationen verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch! Es erhöht nur die medizinischen Risiken – und die Kosten für Komplikationen für die Kassen. Dabei möchte ich betonen, dass eine Frau, die Zeit für ihre persönliche Entscheidungsfindung braucht, sie sich nehmen soll. Natascha Nicklaus

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