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Rechte Gewalt: Nazi-Attacken verunsichern Kreuzberger Kiez

Mindestens acht Anschläge auf linke Projekte, Kneipen und Geschäfte sind in dieser Woche in der Nacht von Montag auf Dienstag verübt worden. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele fordert mehr Mittel gegen rechte Gewalt - und er fordert noch mehr.

In der Fensterfront der Buchhandlung „Anti-Quariat“ in der Oranienstraße prangt ein hässliches Loch. Es ist notdürftig mit Folie abgedeckt. Daneben klebt ein dezenter Zettel mit dem Hinweis: „Ein feiger rechtsradikaler Anschlag.“ Es ist der stumme Protest des Besitzers gegen rechte Gewalt, die nun vermehrt auch Kreuzberg zu erreichen scheint.

In seinem Kiez ist Udo Koch alteingesessen. Seit 25 Jahren leitet er schon das Anti-Quariat. In seinem Geschäft stehen neben ganz normalen Werken auch Bücher zur Arbeiterbewegung und einige antifaschistische Titel. „Mein Herz schlägt links!“, sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs. Besonders radikal sieht der ältere Herr zwischen dem Labyrinth aus Regalen und Papierstapeln allerdings nicht aus. Dennoch wurde er das Opfer rechter Gewalt. Unbekannte warfen mit einem Pflasterstein seine Scheibe ein, verklebten das Türschloss. Und er ist nicht der einzige. Mindestens acht Anschläge dieser Art auf linke Projekte, Kneipen und Geschäfte sind in dieser Woche in der Nacht von Montag auf Dienstag verübt worden. Mittlerweile hat das Landeskriminalamt die Ermittlungen aufgenommen. „Die Tatmotivation könnte dem rechten Spektrum zugeordnet werden“, heißt es aus der Pressestelle der Polizei.

Dass es solche Übergriffe nun auch in Kreuzberg gibt, macht Koch besonders betroffen. „Tagsüber hätten die sich das nicht getraut.“ Denn in seinem Kiez, sagt er, da hat er Rückhalt. Die Leute stünden zusammen und hätten ihm sicher geholfen. Bisher beschränkt sich diese Hilfe auf moralische Unterstützung. „Was ist denn bei dir los?“, fragt ein Kunde. Koch erklärt es ihm. „Voll dreist!“, konstatiert der Mann und geht. Es ist der Juwelier aus der Nachbarschaft. Man macht sich Sorgen im Viertel.

Gleich nebenan, in der linken Kneipe „Tante Horst“, ist eine junge Frau gerade dabei, ein Transparent zu basteln. Auch hier wurden die Fenster eingeschmissen. „Wer das hier war, geht eine Woche ohne Nachtisch ins Bett“, steht auf dem Plakat. Die Aktivistin kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Galgenhumor, denn wirklich lachen kann man auch im „Tante Horst“ nicht über den Vorfall. „Die Rechten dringen in Bezirke vor, in denen sie vorher nicht waren“, befürchtet sie. Ihren Namen will die Frau übrigens „lieber nicht“ nennen. Schließlich gehe es um Nazis.

Seinen Namen „lieber nicht“ verraten, will auch der Passant, der sich aufregt, er habe gehofft in Kreuzberg „vor den Glatzen sicher“ zu sein. Und auch in den angrenzenden Geschäften bleibt man lieber anonym: „Sonst bin ich doch die Nächste, die auf die Mütze kriegt“, sagt die Besitzerin eines nahe gelegenen Bekleidungsladens. Wenn schon nicht für offene Angst, so scheint es, haben die Übergriffe doch für ernste Beklemmungen gesorgt. Herunterspielen will die Vorfälle hier jedenfalls kaum jemand.

„Man darf das nicht bagatellisieren.“, erklärt Hans-Christian Ströbele auf Anfrage des Tagesspiegels. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, der seinen Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain bei den letzten Bundestagswahlen unangefochten mit großer Mehrheit holte, war selbst schon Opfer rechtsradikaler Anfeindungen. Den Anschlägen vom Dienstag bescheinigt er Kampagnencharakter. „Da wird gezielt versucht, antifaschistische Aktivisten einzuschüchtern“, erklärt Ströbele am Telefon und fordert zugleich mehr Mittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus. Und noch etwas fordert er: „Präsenz zeigen! Bei Wind und Wetter.“ Dass die Rechten eines Tages auch am helllichten Tag auf Kreuzbergs Straßen umherwandeln, dürfe man nicht zulassen.

In der „Langen Nacht gegen Rechts“, am 20. März haben die Berliner in Neukölln und Kreuzberg die Möglichkeit, genau diese Präsenz zu zeigen. Udo Koch wird dabei sein.

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