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Rechtsextremismus: Meine Söhne, die Nazis

Seit sechs Jahren kämpft eine Mutter aus Lichtenberg um ihre Kinder, die in die rechtsextreme Szene abgedriftet sind. Staatliche Stellen und Selbsthilfevereine bieten Eltern Hilfe, doch viele melden sich nicht - aus Scham.

Von Frank Jansen

Es fällt ihr schwer, über den jahrelangen Stress zu sprechen, über den Kampf um ihre Kinder, von dem sie nicht weiß, wann sie ihn gewinnen wird – und ob überhaupt. „Erst ist mein Großer da reingeraten, dann hat er den Kleinen beeinflusst“, sagt Iris Scholz (Name geändert). Die Büroangestellte aus Lichtenberg, Mitte 40, ist doppelt getroffen. Nicht nur ein Sohn driftete in die rechte Szene ab, sondern auch der zweite. Das ist etwa sechs Jahre her, noch immer seien beide „sehr, sehr national“ eingestellt, aber Iris Scholz hat nie aufgegeben. „Mir war immer wichtig, das Mutter-Kind-Verhältnis zu bewahren“, sagt sie. Der gepresste Tonfall lässt ahnen, was sie durchgemacht hat.

Iris Scholz äußert sich am Rande einer Veranstaltung in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, zu der auch die Landeskommission gegen Gewalt eingeladen hat. Gezielt sollen Eltern angesprochen werden, die ihre Kinder an die braune Parallelgesellschaft verloren haben. Gekommen sind am Montagabend jedoch nur wenige Mütter. Viele Eltern empfänden Scham, sagt Thomas Härtel, Staatssekretär beim Innensenator, in seiner Ansprache. Aber Scham sei „der falsche Ratgeber“. Härtel empfiehlt, staatliche und nichtstaatliche „Ansprechstellen“ zu nutzen. Eine ist der Selbsthilfeverein „Eltern gegen Rechts“, den Iris Scholz 2003 mitgegründet hat. Die Runde von Müttern rechtsradikaler Söhne und Töchter – Väter kommen fast keine – trifft sich regelmäßig. Inzwischen gehen Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet ein. „Es gibt Schicksale, die noch härter sind als meins“, sagt Scholz. „Aber für mich war es das Schlimmste, was passieren konnte.“ Zumal der Vater sich nach der Scheidung um nichts kümmerte.

Bei den zwei Söhnen fing es damit an, dass sie sich Szene-Kleidung zulegten, erst die Marke Lonsdale, dann Thor Steinar. Der Jüngere trug auch ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Odin statt Jesus“ und ließ sich mit 13 Jahren eine Glatze scheren. „Er hing mit anderen Jugendlichen rum, die tranken, das klassische Outfit trugen“, sagt Scholz, „Stiefel, hochgekrempelte Hosen, Hosenträger“. Die Söhne besorgten sich einschlägige Musik, „CDs von Landser, Skrewdriver und so“. Die Berliner Band „Landser“ ist in der Szene Kult, wegen ihrer brutalen Texte. Ende 2003 stufte das Kammergericht sie als kriminelle Vereinigung ein. „Skrewdriver“ ist eine englische Nazi-Band.

Das Abspielen der Hass-CDs hat Iris Scholz in ihrer Wohnung verboten. Dem Jüngeren nahm sie die Szene-Klamotten weg. Scholz versuchte mit Strenge, die Söhne zurückzuholen. „Es gab dann“, sie stockt, „bei dem Kleinen eine Phase, etwa sechs Wochen, da haben wir nicht mehr miteinander geredet. Bei dem Großen war es sogar mal ein halbes Jahr – ich hatte das Gefühl, ihn verloren zu haben.“ Es gab weitere Krisen, die Iris Scholz nicht im Detail beschreiben möchte. Der Frage, ob die Söhne Ärger mit der Polizei hatten, weicht sie aus. Vieles habe sie auch nicht mitbekommen: ob die Jungen Kontakt zur NPD oder einer Kameradschaft hatten, ob sie bei Aufmärschen mitliefen oder zu Skinhead-Konzerten fuhren. „Die waren in Cliquen“, sagt die Mutter. Und sie ärgert sich, dass die Schulen, die ihre Söhne besucht haben, das Problem verdrängten, obwohl das braune Gehabe aufgefallen sein muss. „Der Kleine hat mal einen Tadel wegen Rauchens auf dem Klo bekommen, den musste ich unterschreiben“, Scholz lächelt bitter, „aber ich wurde nie informiert, dass er rechts auftritt“.

Der jüngere Sohn, heute 19, macht jetzt eine Lehre, der ältere, 24, studiert. „Ich hoffe, dass sie erwachsen werden und ihre Meinung ändern“, sagt Scholz. Sie glaubt, das Schlimmste sei überstanden, „wir haben jetzt einen guten Draht zueinander, trotz allem. Denn ich nehme sie als Persönlichkeit ernst.“ Und sie habe auch sich selbst geholfen, sagt Scholz, als sie in ihrer Not zur Lichtenberger „Netzwerkstelle Licht-Blicke“ ging. Da habe sie die Kraft bekommen, „an meinen Söhnen dranzubleiben“, sagt Scholz. „Ich bin froh, dass ich das geschafft habe.“

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