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Tina K. atmet vor ihrer Rede in der Marienkirche noch einmal durch. Sie will die Erinnerung an ihren Bruder Jonny lebendig halten.

© dapd

Rede in Marienkirche: Tina K. sucht die Öffentlichkeit - für ihren Bruder

Öffentliche Auftritte fallen ihr schwer, doch es werden mehr: Tina, die Schwester des getöteten Jonny, arbeitet offensiv am Andenken ihres Bruders. Im Gegenzug muss sie die mediale Aufmerksamkeit schultern.

Sie trägt wieder schwarz. Wie bei den meisten öffentlichen Auftritten, die Tina K. absolviert, seit ihr Bruder Jonny am 14. Oktober getötet wurde. Am Mittwoch steht sie in der Marienkirche in Mitte, wenige Schritte von dem Ort entfernt, an dem Jonny um sein Leben kämpfen musste. Sie soll dort eine Rede halten. Das ist ihr sichtlich unbehaglich, doch sie braucht die Öffentlichkeit.

Es ist Buß und Bettag, die Kirche ist nicht einmal halb gefüllt. In der ersten Reihe hat Justizsenator Thomas Heilmann Platz genommen, dort sitzen auch Tinas Familie und enge Freunde, und in einer Ecke auf der anderen Seite der Kanzel stehen die Agentur- und Fernsehjournalisten. Ganz hinten beobachten zwei Polizisten die Szene. Tina weiß, dass jedes ihrer Worte in den Medien landen wird, deswegen ist sie hier: „Hallo erstmal“, sagt sie. Eine gute Freundin hat ihr den Tipp gegeben, es soll die Aufregung nehmen. Dann bricht sie ab. Sammelt sich. „Viele fragen sich, warum ich so stark bin. Aber das bin ich nicht, ich bin ein ganz normales Mädchen." Tina ringt sichtlich mit den Tränen, fügt dann aber vor dem Hintergrund, dass sich der Hauptverdächtige noch immer in der Türkei befinden soll, hinzu: "Aber was nützt es mir, wenn ich jetzt auch wütend bin?" Es sei an der Zeit, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. „Es ist nicht cool, Waffen zu tragen und andere zu mobben. Andere zu umarmen und ihnen zu sagen, dass ich sie lieb habe, das ist cool.“

Es wirkt auf unbestimmbare Weise deplatziert im Kontext dieses Gottesdienstes, doch es passt zu Tina und der Aufgabe, die sie sich nach dem Tod ihres Bruders gestellt hat.

Auch deswegen sitzt neben ihr an diesem Abend Roland Weber. Er ist der Opferbeauftragte Berlins. Er will Tina helfen, die Stiftung „I am Jonny“ zu gründen, die sich für Gewaltprävention an Schulen und Kindergärten einsetzen soll. Auch er richtet deshalb seine Worte an die Gemeinde, die Journalisten. Genau wie Pfarrerin Cordula Machoni und der Seelsorger der Strafanstalt Plötzensee, Hartmut Klöß. Doch alle Aufmerksamkeit gilt an diesem Abend Tina und Jonny. Auch nach dem Gottesdienst gehen die Besucher zu der Stelle, an der Jonny zu Tode geprügelt wurde, legen Kerzen nieder.

Was anfing mit einigen Lichtern und Beileidsbekundungen ist zu einem wahren Mahnmal herangewachsen. Ein Pavillon schützt die Kerzen vor Regen. Auf einer Seite des Zeltes ist Jonnys Gesicht als Graffiti gesprayt. Auch das ist Tina zu verdanken. Sie arbeitet, wenn man so will, an allen Fronten daran, die Erinnerung an ihren Bruder und sein Schicksal lebendig zu halten. Auf Beobachter wirkt oft irritierend, wie souverän sie scheinbar mit der Situation umgeht, sich keine Pause gönnt. Doch für die Stiftung, die sie gründen will, braucht sie Vertrauen, Spenden, Unterstützer. Auch deshalb macht sie wohl zu Beginn ihrer Rede dieses Bekenntnis. Dass sie ein normales Mädchen sei, in einer unnormalen Situation. Wie auch ihr Bruder ein ganz normaler Junge gewesen sei: „Ich möchte nicht, dass die Menschen ihn in Erinnerung behalten als den Typen, der tot geprügelt wurde“, sagt sie. Auf der Website iamjonny.de will sie deshalb auch ein Bild von Jonny, wie sie ihn kannte, zeigen.

In der Öffentlichkeit ist bisher nur die Geschichte seines Todes hunderte Male erzählt worden: Jonny K. war in der Nacht zum 14. Oktober mit mehreren Freunden auf einer Party in einem Club unter dem Fernsehturm. Als die Freunde gingen, war einer von ihnen so betrunken, dass er gestützt werden musste. Vor der Bar „Cancun“ am Alexanderplatz wurden die Freunde von sechs Männern unvermittelt angegriffen. Jonny K. erlitt so schwere Gehirnblutungen, dass er wenig später im Krankenhaus starb.

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