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Regieanweisung für Mitte-Hipster: Sankt Oberholz-Gründer präsentiert sein Buch

Das Café Sankt Oberholz an der Rosenthaler Straße erfüllt alle Klischees: Laptops, Latte, Kreative. Die Geschichten seiner Kundschaft hat der Gründer nun in einem Buch gesammelt. Eine Abrechnung soll das nicht sein.

Der Himmel hängt grau über dem Rosenthaler Platz in Mitte. Nur durch die bodentiefen Fenster des Sankt Oberholz fällt ein warmes Licht. Das Café ist voll an diesem Montagvormittag und erfüllt vorbildlich die Klischees. Die meisten Gäste, die in den zwei Stockwerken an den Tischen sitzen, blicken brav in ihre aufgeklappten Laptops und nippen gelegentlich an ihrem Latte macchiato; die Schlange am Tresen wird von der Bedienung mit beeindruckender Gelassenheit abgearbeitet. Es ist, als hätte Betreiber Ansgar Oberholz allen Anwesenden Regieanweisungen erteilt. Wie sie sich zu bewegen, was sie zu machen haben. Doch es gibt keine Vorgaben. Das Schauspiel, das sich einem hier bietet und dessen faszinierender Wirkung man sich kaum entziehen kann, läuft ganz von allein.

Durch eine Tür neben dem Speiseaufzug betritt Ansgar Oberholz den Gastraum. Er trägt ein blaues Hemd zur farblich abgestimmten Hose, Turnschuhe, die Haare an den Seiten kurz geschoren und oben länger. Der 40-Jährige wirkt zufrieden und selbstsicher. Im Herbst 2005 war das noch anders. Damals, kurz nach der Eröffnung des Cafés, plagten ihn große Selbstzweifel. Seinen Job in einer Werbeagentur hatte er aufgegeben, um sein Glück als Gastronom in dem leer stehenden Eckhaus am Rosenthaler Platz zu suchen – so wie einst die Gebrüder Aschinger, die an derselben Stelle hundert Jahre zuvor eine Schankwirtschaft betrieben, in der Alfred Döblin den Protagonisten seines Buches „Berlin Alexanderplatz“ ein- und ausgehen ließ. Doch anfangs blieb das Sankt Oberholz meist leer. Erst allmählich lockte es mit seinem freien Internetzugang und seiner prominenten Lage am Platz immer mehr Gäste. Heute gilt der Laden als Geburtsort der digitalen Bohème, Erfolgsgeschichten von Start-up-Unternehmen wie „Soundcloud“ und „brands4friends“ inklusive.

Über die Geschichte des Sankt Oberholz hat dessen Betreiber nun ein Buch geschrieben, am Freitag stellt es Ansgar Oberholz in seinem Café vor. „Für hier oder zum Mitnehmen?“ ist jedoch kein Sachbuch, wie man vermuten könnte, sondern ein Roman, in dem der gebürtige Rheinländer seine Erlebnisse unterhaltsam und kurzweilig aufgearbeitet hat. Er erzählt darin von unsinnigen Behördenauflagen, kapriziösen Angestellten, bizarren Geisteraustreibungsritualen und hartnäckigen Handelsvertretern eines internationalen Getränkeherstellers. Zudem rekapituliert er Rückschläge, Momente vermeintlicher Aussichtslosigkeit sowie Augenblicke der Hoffnung und Freude. Er selbst porträtiert sich als überforderten, wenig durchsetzungsfähigen Gastronomieneuling. War er das damals tatsächlich? Ansgar Oberholz grinst und antwortet: „Der Chef im Buch ist eine Kunstfigur, die gar nicht so viel mit mir zu tun hat.“ Nee, schon klar.

Keine Abrechnung, sondern skurrile Geschichten.

Das Buch, sagt Oberholz, sei keine Abrechnung, sondern eine „liebevolle Aufarbeitung all der skurrilen Geschichten, die hier passiert sind, und all der Fehler, die gemacht wurden“. Es ermögliche einen ungewöhnlichen Blick auf einen recht bekannten Laden. Damit angesprochen werden soll jedoch keineswegs nur die Stammkundschaft. „Das Buch soll auch für jemanden, der das Sankt Oberholz nicht kennt, lesenswert sein. Auch wenn der es natürlich anders rezipieren wird als die Stammgäste.“ Im Idealfall funktioniert der Roman also wie ein guter Familienfilm, bei dem alle Zuschauer was zu lachen haben, wenn auch an unterschiedlichen Stellen.

Dass aus dem Studienabbrecher (Physik und Philosophie an der FU), Gelegenheitsmusiker, Werber und Gastronomen nun noch ein Autor geworden ist, verwundert nicht. Kurzgeschichten schreibt Ansgar Oberholz, der 1993 aus Stolberg bei Aachen nach Berlin kam, schon seit längerem. Anfangs für den Literaturblog „Tage-Bau“, später für die Internetseite seines Cafés. Auf Letzterer widmet er sich in kurzen Abhandlungen jenen Gegenständen, die von Gästen liegen gelassen wurden. Zum Beispiel einer weißen Serviette mit einer Telefonnummer und der Widmung: „For the cute bartender with the black shirt.“ Welcher süße Kellner mit dem schwarzen T-Shirt genau gemeint war, konnte allerdings nicht geklärt werden. Zur fraglichen Zeit kamen drei Angestellte in Betracht.

Längst ist das Sankt Oberholz nicht mehr nur ein Café. In den vergangenen Jahren expandierte es immer weiter. Mittlerweile gibt es in den oberen Stockwerken des Gebäudes Touristen-Apartments und sogenannte Co-Working-Plätze: Büroräume, die man monatsweise mieten kann. Und zurzeit entwickelt Ansgar Oberholz eine Hängelampe mit hauseigenem Logo, gefertigt aus Pappbechern. Nur eines wird es nicht geben: Zweigstellen des Sankt Oberholz in anderen Städten. Er werde oft gefragt, ob er in Hamburg oder München Filialen eröffnen wolle, erzählt Ansgar Oberholz. Doch das lehnt er kategorisch ab. „Wir glauben nicht daran, dass sich die Erfolgsgeschichte woanders so leicht wiederholen lässt“, sagt er. „Der Zeitpunkt, der Ort, die Geschichte des Hauses, so pathetisch das klingen mag, das lässt sich woanders nicht noch mal verwirklichen.“

Die Buchpremiere von „Für hier oder zum Mitnehmen?“ ist am Freitag um 20 Uhr im Café Sankt Oberholz am Rosenthaler. Eintritt: 5 €. Das Buch ist bei Ullstein extra erschienen, 240 S., 14,99 €.

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