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Berlin: Reif für die Retrospektive

Vor vier Jahren lief sein letzter Film in den Kinos, der neue kommt demnächst Tom Tykwers Filmverleih erinnert an den Regisseur – mit einer Werkschau

Eine Retrospektive ist eine Form der Verneigung vor einer besonderen Lebensleistung. Der Anlass: meist der Tod eines Künstlers.

Tom Tykwer aber ist ziemlich lebendig. Dennoch ist es ein passender Einfall seines Filmverleihers, dem Regisseur schon zu Lebzeiten eine Art Retrospektive zu widmen. Seit Montag zeigt das Kino in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg Tykwers bisherige Kinofilme, fünf an der Zahl. Am Freitag soll Tykwer, der Untote, dann zu einem Publikumsgespräch dort hinkommen. Der Anlass, warum sein bisheriges Schaffen derzeit bundesweit noch einmal zu sehen ist, ist denkbar simpel. Demnächst soll sein jüngster Film im Kino anlaufen: „Das Parfüm“, eine Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Patrick Süßkind. Und in vier Jahren, die seit Tykwers letztem Kinoauftritt („Heaven“) vergangen sind, kann ein Künstler schon mal in Vergessenheit geraten. Schadet sicher nicht, den neuen Film vorsichtshalber ins Gespräch zu bringen.

Eine Retrospektive für einen noch lebenden Künstler – in Tykwers Fall hat das aber noch eine weiter gehende, eine symbolische Bedeutung. Tykwer war noch keine 40 Jahre alt und hatte fast schon ein Alterswerk vorgelegt: In „Heaven“ hatte er die Grundkonstellation seiner Filme vom Retten und Gerettetwerden, von einem Paar zwischen Abhängigkeit, Sehnsucht und Erlösung ,„bis auf den reinen Kern abstrahiert“, wie der Filmkritiker Tobias Kniebe schrieb. Vielleicht war Tykwer zu jung für eine Lebensbilanz. Der Film jedenfalls hat Kraft gekostet, zu viel womöglich. Tykwer stand vor einer Krise. Die scheint nun überstanden.

Das Interview kann dennoch nur mit einer Frage beginnen: Herr Tykwer, wie alt fühlen Sie sich eigentlich? Der Mann am Telefon lacht, wiederholt die Frage. Überlegt. „Ziemlich genau so alt, wie ich bin. Wie alt bin ich jetzt? 41, ja genau, ist doch schon ganz schön alt, aber irgendwie bin ich auch noch ganz am Anfang.“

Und weil Sie schon ganz schön alt sind, läuft nun eine Tom-Tykwer-Retrospektive?

Tykwer lacht wieder. „Ich glaube, man sollte das nicht als In-memoriam-Veranstaltung verstehen.“ Sondern? Zusammengefasst lautet die Antwort: vielleicht als Beginn von etwas Neuem. Was hat man also zu erwarten vom „Parfüm“ – die Verwandlung eines Regisseurs: Ein alter Tom Tykwer geht, ein neuer kommt? Nein, es fühle sich nicht so an, dass plötzlich ein völlig neuer Tom Tykwer komme. „Ein etwas reiferer wahrscheinlich.“ Dieser reifere Tom Tykwer, immerhin so viel steht fest, hat einen Kostümfilm gedreht. Etwas, das sich der frühere Tom Tykwer nicht hätte vorstellen können. Man kann über den neuen Film mit Tykwer sprechen, darüber schreiben soll man nicht. Soll alles noch geheim bleiben. Aus dem Gespräch kann man aber darauf schließen, dass der Film nur aus formaler Sicht eine Zäsur ist, der aufwändigen Ausstattung wegen. Inhaltlich betrachtet dagegen nicht.

Das erschiene plausibel. Der Held des Süßkind-Romans ist ein Sonderling, der um Anerkennung kämpft. Und von diesem Thema sind eigentlich alle Tykwer- Filme durchdrungen: Außenseiter, die oft auf umständliche oder abwegige Weise versuchen, Zuwendung oder sozialen Halt zu finden. Die eine extrem schwierige Reise unternehmen. Wenn es sein muss, gehen sie dabei über Leichen. Im übertragenen oder im wörtlichen Sinn.

Dass es Kritiker gibt, die schon wissen, dass sie den ersten Film des „neuen Tykwer“ nicht mögen werden, die schon vorab das Ungestüme des frühen Tykwer vermissen werden – stört ihn das? „Beim ersten Film“, sagt Tykwer, „läuft vieles noch irrational. Ich bin froh, dass man das irgendwann hinter sich lässt.“ Es klingt ehrlich, nicht bewusst sachlich. „Ich kann nie wieder Debütant sein. Wie auch?“ Er habe Erfahrungen gemacht. Vielleicht wird er in der Kulturbrauerei davon erzählen.

Marc Neller

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