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Berlin: Reinhard Schmock (Geb. 1943)

"Das gehört sich nicht!" Den Satz sollte nie jemand von ihm hören.

Abgekämpft stehen sie da, ausgebrannt und abgerissen – aber aufrecht, beharrlich. Sieben Samurai im Oderbruch aus Schrott, Pflugscharen, Rohren, Zahnrädern. Sie sollen den Bewohnern von Marxdorf Mut machen, sich fremden Mächten entgegenzustellen.

Drei Monate schweißte Reinhard Schmock an den Figuren, nahm Maschinen auseinander, fuhr mit der Schubkarre zum Schrottcontainer, fragte Bauern nach Teilen, sah immer wieder „Die sieben Samurai“ von Akira Kurosawa und schuf Marxdorf einen Mythos.

Inge und er hatten schon lange nach einem Haus auf dem Land gesucht, bis sie vor diesem Tagelöhnerhaus und der Scheune und der unendlichen Weite standen und wussten, dass sie genau hier sein wollten. Es war viel zu tun, die Söhne halfen und Freunde, und außerdem hatte Reinhard jahrelang Häuser entworfen, so die Rollbergsiedlung in Neukölln.

Schon als Student entwickelte er seine Entwürfe wie ein Bildhauer mit dicken Bleistiften auf Skizzenpapier. Im Urlaub entdeckte er Gesichter und Figuren in zerklüfteten Felsen, saß mit einem Block auf den Beinen und zeichnete. Die Urlaube haben sich den Söhnen tief eingeprägt, nur das Ziel stand fest, der Weg ergab sich, irgendwie kam man immer weiter, irgendwo immer unter. Ein bärtiger Mann mit großen, schönen Händen, der durch unausgetretene, schmale Wege, durch Dornengestrüpp und sengende Hitze lief, hinter sich die Kinder, die ihrem Rübezahl, ihrem Robinson Crusoe überallhin folgten, mit ihm Weintrauben und Feigen pflückten, in einer Bucht badeten, durch Bachbetten im tiefen Gebirge streiften, Laubhütten bauten und Lagerfeuer entfachten. Er zeigte ihnen Kirchen, Kreuzgänge, Kapitelle, und sie hörten ihm zu.

Für seine Diplomarbeit war er durch Griechenland gereist, um alles über die byzantinische Kreuzkuppelkirche zu erfahren, maß, zeichnete, fotografierte. Architektur bestand für ihn nie nur aus geraden Linien und Zahlen auf Papier. Architektur hatte mit dem Leben der Leute zu tun. Auch wenn einiges in der Rollbergsiedlung misslang, glückte vieles, Parkplätze verschwanden unter Decks, es entstanden Läden, Kindergärten, helle Wohnungen. Hatte er doch noch aus Jungentagen andere Häuser vor Augen, Ruinen. Eine bedrückende Stadt mit bedrückten oder autoritär auftretenden Menschen.

„Das gehört sich nicht“, den Satz sollte nie jemand von ihm hören. Kein Anzug, kein Schlips, dafür Bart und Lederjacke. Durch Berlin fahren und sehen, was die Bauhausarchitekten gebaut hatten. Und dann der Jazz, Improvisation, Spontaneität, aber mit Regeln. Da gab es dieses Zimmer hoch oben in der Ackerstraße, eine Studentenbude, in der er zeichnete, sägte, klebte oder mit Freunden bei einem Glas saß. Ab und an am Abend stiegen sie gemeinsam in den Dachstuhl und umrundeten ihn: Reinhard, vorneweg, blies das Saxofon, die anderen tänzelten in der Dunkelheit hinter ihm her.

Tanzte er selbst, dann nur nach dieser Musik. Und vor allem mit Inge. Sie war sein Freund, seine Liebe, seine Balance. Sie sprach mit den Marxdorfern, als die Städter noch stumm beäugt wurden: wieder so ein Kunstspinner. Dann stellten sie ihm Schrottteile in den Hof. Die Skulpturen gehörten irgendwann zu ihrem Dorf, die Kraniche, das zankende Ehepaar, die zwölf Apostel vor dem Gasthof. Sein Haus war immer offen. Sagten Freunde auf dem Weg zu ihm am Telefon: „Wir sind nicht nur zu zweit“, rief er: „Na klasse“ und kochte mehr, holte eine weitere Flasche Wein.

Dann starb Inge, und der Schmerz verschwand nie. Aber er versank nicht, sondern reiste um die halbe Welt, nach Kanada, Hawaii. Traf eine Frau. Schwamm von einer Seite des Sees zur anderen. Machte seinen Führerschein, ein Heidenspaß, über die Landstraßen zu fahren, das Auto randvoll mit Schrott beladen.

Zwischen Weihnachten und Silvester des vergangenen Jahres war er auf dem Weg von Marxdorf nach Berlin. Mitten auf der Strecke kam sein Wagen von der Straße ab. Ein Freund schweißte ihm die Urne: aus einem Feuerlöscher, mit Zahnrädern obendrauf.

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