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Berlin: Reizende Paten

Harry Salinger ist vor einer Woche aus Tel Aviv an die Humboldt-Universität gekommen. In der kurzen Zeit hat er sich mit seinen neuen Kommilitonen schon richtig gut angefreundet.

Harry Salinger ist vor einer Woche aus Tel Aviv an die Humboldt-Universität gekommen. In der kurzen Zeit hat er sich mit seinen neuen Kommilitonen schon richtig gut angefreundet. Nach der Vorlesung hockt der Israeli mit Laura Rischbieter und Mathias Bühnen bei Kaffee und Mineralwasser zusammen. Salinger erkundigt sich nach den Studentenjobs, die in Berlin zu haben sind. Einander so offen zu begegnen, ist heute eine Selbstverständlichkeit zwischen jungen Israelis und Deutschen. Nur: Harry ist 65 Jahre älter als Laura und Mathias, er hat an der HU studiert, als sie noch Friedrich-Wilhelms-Universität hieß, und er wurde 1933 von seinem Studienplatz vertrieben.

Der alte Herr aus Tel Aviv ist einer von 22 "Kommilitonen von 1933", die jetzt für eine Woche an ihre alte Uni zurückkehrten. Begleitet wurden sie von jungen Paten, ihren Kommilitonen von 2001. Am Freitagabend trafen sich noch einmal alle im Audimax. Salinger sagt, er hätte 1933 doppelt Glück gehabt: Zum einen wuchs er in Charlottenburg auf und besuchte das Schiller-Realgymnasium, wo unter Nachbarn und Mitschülern kein Judenhass zu spüren gewesen sei. Zum anderen sei ihm aber klar gewesen, dass es nur eine Lösung für den sehr wohl weit verbreiteten Antisemitismus gebe - die Auswanderung nach Palästina, auf die er sich schon früh vorbereitete. Salingers Lieblingsthema im Gespräch mit seinen "reizenden Paten und Patinnen": Wie aus dem schöngeistig veranlagten Germanistik- und Geschichtsstudenten ein Luftabwehrkkommandeur in der Hagana und später der wirtschaftliche Leiter des Hafens von Tel Aviv wurde. "Es war kein Ausfragen, es war ein Gespräch", sagt Mathias Bühnen. Bevor er Salinger traf, hatte der Geschichtsstudent Bedenken, ob der Dialog funktionieren würde. "Aber es hat zwischen uns sofort gefunkt, trotz der drei Generationen, die uns trennen", freut sich Salinger.

Wie Salinger mögen die Kommilitionen von 1933 kaum noch über die schlimmen Dinge sprechen, die ihnen in ihrer Jugend widerfuhren. Gerhart Riegner konnte sein Jura-Studium Anfang 1933 noch abschließen, wurde aber nach drei Monaten als Referendar am Amtsgericht Wedding suspendiert. Am selben Tag erhielt der Vater Berufsverbot als Rechtsanwalt, seine Schwestern wurden ihrer Schulen verwiesen. Riegner emigrierte nach Paris, viele Freunde und Verwandte aber blieben und wurden ermordet. Nach 1945 besuchte er als hoher Funktionär des Jüdischen Weltkongresses mehrmals Berlin. In eine Stadt zurückzukehren, in der er niemanden mehr kannte, sei für ihn jedesmal eine "fürchterliche emotionale Belastung" gewesen. Aber jetzt, da er auf Einladung der Humboldt-Uni kam, könne er Berlin und den Berlinern wieder "objektiv begegnen". Er beziehe nicht mehr alles auf seine eigene Vergangenheit, sondern freue sich, mit den jungen Studenten über die Dynamik des Wiederaufbaus der Stadt und über "unsere gemeinsame positive Arbeit" sprechen zu können.

Auch Paul Rosenfeld ist begeistert von der heutigen Studentenschaft. "So vollkommen anders" als seine Kommilitonen Anfang der 30er Jahre seien die. Medizinstudent Rosenfeld verließ die Universität, nachdem Nazistudenten sein Labor verwüstet hatten. Mit seinem Paten Axel Hüntelmann habe er sich "stundenlang sehr kultiviert unterhalten". Der war gerührt vom Vertrauen des alten Herrn und fasziniert von den Schilderungen des reichen jüdischen Kulturlebens Anfang der 30er Jahre.

Einmal drohen an diesem Abend alte Wunden aufzureißen. Ein älterer Mann aus dem Publikum meldet sich zu Wort. Er trägt das bunte Band einer Studentenverbindung und will eine Entschuldigung loswerden. Die Verbindungen hätten sich 1933 "nicht sehr gut verhalten" und ihre jüdischen Korpsbrüder "zum Austritt bewegt". Unmut regt sich im Audimax. "Die Korpsstudenten waren ja die Vorreiter des Nationalsozialismus", ruft einer. Jüdische Mitglieder hätten die Verbindungen nicht ausschließen müssen, weil sie gar keine hatten. "Meine eigene Verbindung hatte aber jüdische Mitglieder", entgegnet der Mann aus dem Publikum. "Ja", sagt eine alte Dame, "einen Ehrenjuden hatten viele."

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