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Gefahr für den Schulfrieden? An Berliner Grundschulen ist das Kopftuch verboten.

© Getty Images/iStockphoto

Religionsfreiheit: Kopftuch vor Gericht

Mal wird ein Kopftuch erlaubt, mal verboten. Woran das liegt, hängt von verschiedenen Umständen ab. Hier eine juristische Abhandlung am Beispiel der Lehrerinnen für Interessierte.

Mal wird ein Kopftuch erlaubt, mal verboten. Der Umgang mit dem Stoff ist höchst verschieden. Ursache dafür sind unterschiedliche Gesetze und die Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte.

Am Beispiel Lehrerinnen zeigt sich dies deutlich. Ist eine Lehrerin als Beamtin tätig, entscheiden über das Kopftuch die Verwaltungsgerichte. Ist sie als Angestellte beschäftigt, sind die Arbeitsgerichte zuständig. Entsprechend können als letzte Instanz unterschiedliche Gerichte befasst werden, in den genannten Fällen das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesarbeitsgericht. Da mit der Religionsfreiheit auch ein Grundrecht (Art. 4 GG) betroffen ist, haben Klägerinnen zudem die Möglichkeit, sich an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu wenden. Dieses Gericht ist jedoch keine Superrevisionsinstanz, die die Urteile anderer Bundesgerichte kontrolliert und in eine einheitliche Linie überführt. Vielmehr trifft es auch nur fallweise bezogene Entscheidungen, an deren wesentliche allgemeine Aussagen die Fachgerichte allerdings dennoch gebunden sind. Außerdem wollen Richter vermeiden, dass ihre Urteile am Ende in Karlsruhe wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden.

Schulgesetze und öffentlicher Dienst wiederum fallen in die Kompetenz der Bundesländer, die im Umgang mit dem Stoff jeweils eigene Wege beschreiten. Manche erlassen Verbote, andere verzichten darauf. Die Verbote wiederum sind verschieden formuliert. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, da der Gesetzgeber keine Religion gezielt diskriminieren darf. So sind die Regelungen allgemein gehalten und richten sich meist gegen „religiöse oder weltanschauliche Bekundungen“ oder „Symbole“ und „Kleidungsstücke“.

Berliner Gesetz am striktesten

Länder wie Bayern und Baden-Württemberg haben auf jeweils unterschiedliche Weise ein Privileg für christlich-abendländische Symbole geschaffen, um beispielsweise das Lehren im Nonnenhabit weiter zu ermöglichen. Berlin mit seinem Neutralitätsgesetz geht hier im Sinne des Gleichheitssatzes am striktesten vor. Danach sind religiöse Bekundungen bei der Polizei, an staatlichen Schulen (außer Berufsschulen) und im Justizdienst gleichermaßen untersagt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich grundsätzlich zuletzt im Januar 2015 zu Kopftüchern bei Lehrerinnen geäußert. Mit dem damaligen Beschluss hat der Erste Senat anhand eines Falls aus NRW entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar sei. Die entsprechende Vorschrift des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes sei daher verfassungskonform dahingehend einzuschränken, dass von einer äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen müsse, um ein Verbot zu rechtfertigen. Ein Absatz des Schulgesetzes, der als Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen konzipiert wurde, verstoße gegen das Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG) und sei daher nichtig.

Schulfrieden nicht gestört

Die Latte für Verbote im Schuldienst liegt damit relativ hoch. „Konkrete Gefahr“ bedeutet, dass Kopftücher im Einzelfall für Unruhe und Streit sorgen müssen, um verboten werden zu können. Der Streit ist im Wesentlichen aber bisher nur abstrakt-politisch und wird über Medien geführt. Fälle, in denen ein Kopftuch tatsächlich den Schulfrieden gestört hat, sind bisher nicht bekannt geworden. 2016 hat das Verfassungsgericht seine Maßstäbe auch auf Erziehrinnen in Kindertagesstätten ausgeweitet.

Trotz dieser relativ klaren Worte des höchsten Gerichts sehen viele Landesgesetzgeber keinen Anlass zum Umsteuern. Sie berufen sich darauf, dass ihr Ansatz ein spezifisch eigener sei, der im Zweifel ein anderer sei als der in NRW gewählte. So wird auch in Berlin argumentiert. Damit sind die Richter in Berlin an das nach wie vor geltende Neutralitätsgesetz gebunden – es sei denn, sie legen es dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor oder nehmen ebenfalls eine verfassungskonforme Einschränkung vor und korrigieren es damit. Die Streitigkeiten um Entschädigungen und Einstellungen werden hier absehbar weitergehen. Möglich, dass das Bundesverfassungsgericht noch über jedes Schulgesetz mit Bekundungs- und Bekleidungsverboten entscheiden muss. Streitigkeiten gibt es zudem zunehmend um Kopftücher bei Rechtsreferendarinnen. Erwartet werden zudem Klagen von Bewerberinnen für das Richteramt.  

Religion darf am Arbeitsplatz nicht benachteiligen

Eine andere Frage ist der Umgang mit dem Kopftuch in Privatrechtsbeziehungen, etwa am Arbeitsplatz. Hier sind die Freiheiten der Arbeitgeber im Zweifel etwas größer, da diese nicht in derselben Weise einer Grundrechtsbindung unterliegen wie der Staat. Dennoch ordnet etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) an, dass niemand wegen seiner Religion im Geschäftsverkehr und am Arbeitsplatz benachteiligt werden darf. Kopftuchverbote sind im Einzelfall möglich, müssen vom Arbeitgeber jedoch begründet werden. Pauschale Regelungen darf es jedoch für kirchliche Arbeitnehmer geben, entschied 2014 das Bundesarbeitsgericht im Fall einer türkischen Krankenschwester.

Auch Europäische Gerichte wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben ein Wörtchen mitzureden, da Religionsfreiheit und Anti-Diskriminierung ebenfalls zum europäischen Recht gehören. So hat etwa der EuGH 2017 ein Kopftuchverbot erlaubt, wenn eine ausdrückliche Regelung im Betrieb besteht, dass sämtliche religiöse Symbole verboten sind und dem Kunden gegenüber politische und weltanschauliche Neutralität gewahrt werden soll. Eine wiederum neue Fallgestaltung wäre es, wenn, wie in NRW erwogen, ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ins Werk gesetzt werden soll. Auch dies könnte im Schulgesetz als Bekleidungs- und Bekundungsverbot geregelt werden. Für Klagen Betroffener wären dann die Verwaltungsgerichte zuständig.

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