zum Hauptinhalt
Im "Morlox" in Friedrichshain lässt sich Renate Künast die Turntables zeigen. In ein paar Wochen geht die Musik hier aus. Der Club muss Eigentumswohnungen weichen.

© David Heerde

Renate Künast auf Clubtour in Berlin: „Meine Stimme hast du, Baby!“

Im Wahlkampf zieht die grüne Frontfrau Renate Künast auch durch die Berliner Clubs. Die Betreiber plagen heftige Zukunftsängste. Hilfe erhoffen sie sich von den Grünen.

Ein letztes Bier noch am Tresen. Aus den Boxen dröhnt Bill Haley, „Rock around the Clock“. Junge Frauen im Petticoat wirbeln über die Tanzfläche des Silverwings-Club am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Dazwischen steht Renate Künast, Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. Sie schaut ernst. Es ist drei Uhr morgens, Zeit zu gehen, nach einer langen Tour durch Berliner Clubs. Noch auf dem Weg nach draußen lallt ihr jemand zu: „Meine Stimme hast du, Baby!“

Nein, aus Künast wird keine Clubgängerin mehr. Das ist ihr deutlich anzusehen. Aber andere, auch das zeigt sie deutlich, sollen doch bitte mehr Spaß haben können als sie. Und so fordert sie einen „Masterplan“ für die Berliner Clubszene.

Knaack, Magnet, Icon. Das sind nur drei Beispiele für etablierte, geschätzte Clubs, die in Berlin in den letzten Jahren schließen mussten. Die Betreiber, zumal die, die noch übrig sind, befürchten die Auslöschung einer Kultur, eines Lebensgefühls. Dass es bald keine Räume mehr gebe. Weil es einen Konflikt gibt, im Herzen einer Großstadt, zwischen dem Recht auf Ruhe und jener Sehnsucht nach den wummernden Bässen, die das Herz Berlins in der Nacht erst zum Schlagen bringen. Zwischen dem Ruf nach bezahlbarem Wohnraum und den Kulturstandorten, die den Wohnraum erst lebenswert machen und dafür ebenfalls Flächen brauchen.

Es ist kurz nach zwölf. Samstagnacht im Morlox in Friedrichshain. In ein paar Wochen wird hier niemand mehr feiern. Das Morlox, ein beliebter Treffpunkt der Technoszene, weicht dann einem Neubaukomplex mit rund 80 Eigentumswohnungen. Renate Künast feiert dort schon jetzt nicht mehr. Sie spricht mit dem DJ, stellt sich kurz hinter die Turntables. Während ihr Referent für Kulturpolitik, Notker Schweikhardt, Mittfünziger, schon ausgelassen tanzt, deutet Künast nur ein paar Sekunden so etwas wie einen Tanz an. Als wolle sie signalisieren, dass sie genau wisse, was man hier normalerweise so tut. Der Wahlkämpferin Renate Künast, die immer etwas grimmiger guckt als sie ist, würde man ohnehin nicht abkaufen, dass sie hier feiern will. Und es wirkt ziemlich gestellt, wenn sie beiläufig sagt, es sei schön, dass es noch Orte gebe, wo man einfach „hängen“ und „quatschen“ könne. Doch der Rechtsanwältin Renate Künast hängen plötzlich alle an den Lippen, wenn sie in all diesem Trubel Worte sagt wie Umsatzsteuerreform, Liegenschaftspolitik, Urheberwahrnehmungsgesetz und Immissionschutz. Staubtrockene Themen, von denen die Zukunft des Nachtlebens in Berlin abhängt.

Auch die Betreiber haben das schmerzlich erfahren müssen. „Ich habe diesen Club aufgemacht, weil ich wilde Sausen veranstalten wollte, auf die ich selber gerne gehen würde“, sagt Tony Ettelt, einer der Besitzer des Salons zur Wilden Renate in Friedrichhain. „Aber dafür habe ich den Kopf gar nicht mehr frei. Stattdessen schlage ich mich mit Anwälten und Eigentümern herum.“ Die anderen Betreiber nicken zustimmend. Sage-Club, RAW-Gelände, Clubcommission. Viele sind gekommen, um ihr Anliegen vorzutragen. Viele von ihnen wählen Grün, weil sie glauben, nur dort überhaupt wahrgenommen zu werden.

Tatsächlich haben die Grünen in Berlin mit Katrin Schmidberger eine eigene Sprecherin für Clubkultur im Abgeordnetenhaus. Keine andere Fraktion hat sich des Themas so intensiv angenommen. Dabei hat auch der Senat längst erkannt, welche Bedeutung das Berliner Nachtleben für die Außen- und Magnetwirkung der Stadt hat. Auf Antrag von CDU und SPD sollte der Senat prüfen, wie durch Änderungen im Baurecht der Bestandsschutz für Clubs verbessert werden könnte. Das Ergebnis der Prüfung war für viele Betreiber ernüchternd. Das Baurecht sei schon ausreichend, hieß es. Insbesondere eine Leistungsumkehr beim Lärmschutz sei nicht notwendig. Nach diesem Modell hätten Bauherren bei Wohnungsbauprojekten in der Nähe von Clubs verpflichtet werden sollen, selber für einen ausreichenden und mitunter teuren Lärmschutz zu sorgen. Dieses Modell scheint nun vom Tisch. Den Clubs, sagt Olaf Möller von der Clubcommission Berlin, fehle damit jede Planungssicherheit.

Künasts Bier schäumt über. Hausmarke: Zur wilden Renate. Sie kann sich noch immer darüber ärgern, dass Clubs in Berlin nicht richtig ernst genommen werden, und stellt ihr Bier etwas zu schwungvoll auf den Tisch. „Opern und Theater gibt es auch woanders“, sagt sie. „Die Leute kommen wegen der Mischung.“ Künast weiß, dass einseitige Parteinahme für sie gefährlich werden könnte. Sie, die sich 2011 anschickte, Bürgermeisterin aller Berliner zu werden und die jetzt in ihrem Wahlkreis nicht nur die Interessen der Feiernden zu vertreten hat, sondern auch die Stimmen derer braucht, die ihre Ruhe wollen. „Aber die Clubs haben dieser Stadt eine Attraktivität gegeben, die auch jenen zugute kommt, die nicht feiern“, sagt sie. Das Geld, das mit den Touristen kommt, werde gerne genommen, aber nicht genutzt, um die Clubkultur zu erhalten. Ein Jahr ist ihre letzte Clubtour her. Wenn sie nächstes Jahr wieder eine Tanzfläche betritt, wird sie sich andere Clubs suchen müssen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false