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So gut wie neu. Gemeinsam Frank Becker und Elisa Garrote Gasch will Carsten Hokema (von links) Menschen zum Reparieren anregen.

© Thilo Rückeis

Reparaturparty: Erster "World Repair Day" in Berlin

Kann das weg? Nein! Sagt Carsten Hokema – kann man reparieren. Und ruft den ersten „World Repair Day“ aus.

Seit Monaten tropft der Wasserhahn, an der Jacke fehlt ein Knopf, die Fahrradlampe leuchtet nicht mehr? Damit diese kleinen Nervereien des Alltags nicht immer aufgeschoben werden, hat Carsten Hokema sich den „World Repair Day“ ausgedacht. Ein fester Termin, jedes Jahr am zweiten Sonnabend im Mai, soll nun all das repariert werden, was sonst jahrelang herumliegt. „Es gibt Kleidertauschpartys, Wohnungs-Sharing und Büchertausch – warum dann nicht auch Reparaturpartys?“, sagt Hokema. „Reparieren muss cool werden.“

Gemeinsam mit Frank Becker und Elisa Garrote Gasch will er Berlin zu einem Zentrum der Reparaturkultur machen. Der Diplom-Volkswirt Becker, 51, hat seit Jahren mit den Themen nachhaltiges Unternehmertum und zivilgesellschaftliches Engagement zu tun. Im Wissenschaftsladen „kubus“ der Technischen Universität setzt er sich für Wiederverwendung und Reparatur ein, diesen Monat eröffnet er selbst ein Repaircafé im Brunnenviertel. Die 38-jährige Bildende Künstlerin Garrote Gasch engagiert sich bereits in Repaircafés in Kreuzberg, Wedding und Schöneweide und veranstaltet monatliche Reparaturtreffen.

Sie rechnen CO2-Ausstoß der Geräte aus

Die Repaircafés mehren sich, die Share Economy etabliert sich zum Mainstream. Der World Repair Day soll den vielen Initiativen und Bewegungen rund um die Mehrfachverwertung nun ein Dach geben. Und zur Selbstinitiative bewegen: Technikfreaks könnten am heutigen Samstag den Unbegabteren in ihrem Umfeld Do-it-yourself-Workshops geben. Und wer weniger handwerkliches Geschick hat, findet vielleicht einen reparaturbegeisterten Nachbarn und spendiert als Gegenleistung einen Kaffee.

„Reparieren spart Geld und ist ein persönlicher Beitrag zum schonenden Umgang mit Ressourcen und zur Klimaentlastung“, sagt Becker. Wie viel CO2 genau eingespart wird, wenn technische Geräte nicht einfach durch neue ersetzt werden, möchte Becker mit Studierenden der TU in diesem Sommer erforschen. Mit Hilfe von Datenbanken rechnen sie den CO2-Ausstoß der Geräte zusammen, die die Freiwilligen im Repaircafé in der Brunnenstraße reparieren.

Reparieren wirkt auf Industrie zurück

Und wenn demnächst „Ich repariere“ am Briefkasten des Nachbarn steht, dann steckt vermutlich Hokema dahinter. Online können sich Interessierte Logo und Schriftzug des „World Repair Days“ herunterladen, und sich selbst einen Aufkleber für den Briefkasten oder das Auto, ein T-Shirt oder eine Fahne gestalten. „Der gemeinschaftliche Aspekt ist zentral“, sagt Becker. „Reparieren hebt die Vereinzelung auf, stärkt Regionalität und bedeutet soziale Integration.“

Deswegen möchte Hokema auch, dass heute nicht nur jeder sein eigenes Heim, sondern alle zusammen die Welt reparieren. Er selbst wird den Tag nutzen, um seinen verkalkten Wasserhahn zu reinigen, mit Essig und nicht mit umweltschädlichen Chemikalien. „Die meisten Menschen wissen, dass der Planet vor die Wand fährt“, sagt Becker. „Aber weil diese Erkenntnis so schmerzhaft ist, konsumieren sie lieber weiter.“

Dabei werden die Umweltschäden der Massenproduktion neuer Geräte und deren globale Logistik eher verdrängt. Das Reparieren eines geliebten Gegenstands erfreut jedoch nicht nur das Herz, sondern wirkt hoffentlich auch indirekt auf die Industrie zurück – damit diese langfristig dem Verschleiß von Gebrauchsgegenständen vorbeugt. Und der Ausstoß von Treibgas bei der Herstellung neuer technischer Geräte reduziert wird.

Bewusstsein für ein anderes Wirtschaften

Die drei wollen zwar nicht „den Kapitalismus zu Tode reparieren“, wie sie es ausdrücken, sondern das Bewusstsein für ein anderes Wirtschaften schaffen. Sie fordern die Welt auf, heute durch ihre Wohnung, durch die Nachbarschaft oder ins nächste Gemeindezentrum zu gehen und den Status quo zu checken – und zu reparieren, was noch zu retten ist. „Viele Leute schämen sich, andere um Hilfe bei einer Reparatur zu bitten“, sagt Hokema. „Dabei kann man doch daraus etwas Schönes machen – ein Reparatur-Grillfest, ein Essen, ein Hoffest mit Fahrradwerkstatt“, sagt Hokema. Garrote Gasch träumt von einem Service-Telefon für Reparaturen: Hilfe zur Selbsthilfe für den nächsten Wackelkontakt.

Jana Scholz

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