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Baumpfleger ist noch immer ein seltener Beruf. Wegen des Klimawandels werden immer mehr dieser Fachleute gebraucht.

© imago/blickwinkel/E.Teister

Reportage aus Brandenburg: Ein Mann verlängert Bäumen das Leben

Kiefern, Birken, Eichen leiden immer mehr unter extremen Wetterlagen. Heiko Mehnert steigt hinauf, um durch spezielle Schnitte ihr Leben zu verlängern.

Von Sandra Dassler

„Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen…“ (Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume)

Behutsam, fast zärtlich, legt Heiko Mehnert die Hand an die etwa 15 Meter hohe Kiefer und blickt nach oben. Dort hängt die Borke nur noch in dünnen Fetzen am Baum. Wie Pergamentpapier rascheln diese im Wind und machen dabei richtig Lärm, denn das gleiche Phänomen spielt sich an mehreren Kiefern in der Nähe ab.

„Da ist nichts mehr zu machen, leider“, sagt Heiko Mehnert zum Eigentümer des Wochenendgrundstücks im Wald bei Finsterwalde. „So schnell?“ – der Eigentümer ist fassungslos. Erst vor ein paar Tagen hat er das Rascheln der Baumrinde bemerkt und die Braunfärbung der Nadeln, die innerhalb kürzester Zeit abstarben.

Noch vor eineinhalb Jahren war hier dichter Kiefernwald, erzählt er: „Der Sturm im Sommer 2017 riss die ersten Bäume um, einige mussten aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Dann kam im Oktober der nächste Sturm und wenige Wochen später noch einer. Immer mehr Kiefern fielen, wir konnten nichts machen.“

Heiko Mehnert nimmt dem Mann die Schuldgefühle. „Wenn erst einmal eine Lücke in den Baumbestand gerissen wurde, dauert es meist nicht lange, bis alle Bäume verschwunden sind“, sagt er: „Diese hier haben ja noch nie frei beziehungsweise allein gestanden, sie sind den Schutz und die Hilfe der Gemeinschaft gewohnt. Und dieses Jahr kommt die extreme Trockenheit dazu. Selbst die eigentlich so widerstandsfähigen Kiefern können nicht mehr. Es ist wirklich dramatisch.“

Das Pflegen in der Höhe

Jedenfalls hat Heiko Mehnert eine solche Situation noch nicht erlebt, seit er vor mehr als 15 Jahren als Baumpfleger in der Umgebung seines Heimatortes Ponnsdorf bei Finsterwalde zu arbeiten begann. Die meisten nennen ihn allerdings Baumkletterer, weil die Pflege vor allem in großer Höhe geschieht: 20, 30, manchmal gar 40 Meter über der Erde.

Heiko Mehnert ist auch gelernter Zimmermann.
Heiko Mehnert ist auch gelernter Zimmermann.

© privat

Der seltene Beruf passt zu ihm, denn er liebte schon immer die Natur und arbeitete als gelernter Zimmermann auch mit Holz. Dass er vom toten zum lebenden Holz wechselte, sei aber trotzdem nur einem Zufall zu verdanken, erzählt er. Ein bekannter Gerüstbauer arbeitete im Winter in der Baumpflege. Für schwierige Fälle, wo man mit Gerüst oder Hebebühne nicht herankam, suchte er einen Baumkletterer. Heiko Mehnert war jung, schwindelfrei, fand die Idee interessant und im bayerischen Freising einen Meister. Der brachte ihm bei, wie man mit Steigeisen und Seilen ganz nach oben kommen und durch spezielle Schnitte den Bäumen zusätzliche Lebenszeit schenken kann. Und wie man einen Baum, wenn er nicht mehr zu retten ist, behutsam von oben abtragen kann.

„Letzteres ist zwar die häufigste, aber auch die traurigste und äußerst grobmotorische Arbeit“, sagt er: „Wenn man aber an einer alten Eiche oder gar an einer 800-jährigen Linde vorbeifährt, die man vor einigen Jahren vor dem Absterben bewahrt hat, ist das ein tolles Gefühl.“

Doch seit 2017 drei gewaltige Stürme den Süden Brandenburgs heimsuchten, muss Heiko Mehnert vor allem Bäume fällen. Die Stürme hätten den Stress, dem Brandenburgs Wälder durch Monokulturen und einseitige Orientierung auf Vermarktung ausgesetzt seien, noch verstärkt, sagt er. Vor allem im Süden des Landes müssten sie neben dem ohnehin belastenden Klimawandel mit einer weiteren drastischen Veränderung der Umweltbedingungen klarkommen: dem steigenden Grundwasserspiegel. Der resultiert aus dem Ende der Braunkohle-Tagebaue, für die das Grundwasser mehr als 100 Jahre lang künstlich gesenkt wurde. „Das steigt jetzt wieder und sucht sich völlig neue Wege, was den Wurzeln mancher Bäume gar nicht gut tut. So eine alte Eiche will eben keine nassen Füße haben.“

Trockenheit macht den Bäumen zu schaffen

Leider wird das eine Übel, das steigende Grundwasser, nicht durch das andere Übel, die Monate lange Trockenheit, ausgeglichen. Nicht nur Heiko Mehnert, auch vielen anderen Menschen fallen derzeit die bräunlichen, schlaffen, absterbenden Bäume an Alleen, Bahngleisen, Waldrändern, ja sogar in Pflanzschulen auf.

Während man bei den zuständigen Behörden in Potsdam trotz Bränden und Stürmen noch gelassen meint, Brandenburg habe genügend Wald, sieht man das im Landeskompetenzzentrum Forst in Eberswalde etwas anders. Dessen Leiter Michael Luthardt ist besorgt über die Schadensmeldungen, die täglich zunehmen. „Wir hatten – vor allem im Süden des Landes – fast sechs Monate hochsommerliche Hitze und Trockenheit. Darauf sind unsere Wälder nicht eingestellt“, sagt er. Und ist überzeugt: „Das dicke Ende kommt noch. Im nächsten Jahr werden die Schäden erst richtig sichtbar.“

Dass Bäume – auch um miteinander zu kommunizieren – bestimmte Duftstoffe absondern, ist bekannt und hat den neuen Gesundheitstrend des sogenannten Waldbadens befördert. Das gilt aber leider auch, wenn Bäume unter Stress geraten, erklärt Michael Luthardt: „Das kann man sich in etwa wie Angstschweiß vorstellen – und der wiederum lockt alle Arten von Schädlingen an, die den in ihrer Widerstandskraft geschwächten Bäumen dann den Rest geben.“

Wald sei nun mal ein träges Ökosystem, sagt Luthardt: „Wenn man das mit einem Sportler vergleicht, wäre er ein 10.000-Meter-Läufer. Langfristig entwickelt er Abwehrstrategien, wie man beispielsweise beim Waldsterben gemerkt hat, das dann doch nicht so dramatisch ausfiel. Aber jetzt wäre ein 100-Meter-Sprint gefragt, und das kriegt der Wald nicht hin.“

Ein trockener Winter wäre verheerend

Noch verheerender wäre jetzt noch ein trockener Winter, warnen die Eberswalder Experten. Nachdem den Stürmen des vergangenen Jahres mehr als eine Million Bäume in Brandenburg zum Opfer fielen, könnte das noch weitaus mehr von ihnen zum Verhängnis werden. Auch wenn es im Land 1,1 Millionen Hektar Wald mit schätzungsweise 350 Millionen Bäumen gibt, sind solche Schäden auf Dauer nicht zu verkraften.

Luthardt und seine Mitarbeiter forschen deshalb, wie Menschen dem Wald helfen können, sich auf den Klimawandel einzustellen. Das Landeskompetenzzentrum Forst hat eine lange Tradition. Es wurde im selben Jahr wie das Deutsche Reich gegründet, also 1871. Manche Versuchsreihen gehen bis ins vorletzte Jahrhundert zurück. Auch für die Forstexperten sei die Überwindung der Kiefern-Monokultur wichtig, sagt Luthardt. „Wir empfehlen andere Bäume zu pflanzen: Ahorn beispielsweise oder Hainbuche, die auch lange Trockenheit überstehen kann. Oder Linde. Am besten aber drei bis vier Baumarten auf einer Fläche. Dann hat man bei extremen Situationen eine höhere Chance, dass wenigstens zwei Arten überleben.“

Baumkletterer Heiko Mehnert fügt gern auch noch die Eibe dazu. „Die gab es hier früher in Massen“, erzählt er. Nach und nach hat er sich immer mehr Wissen angeeignet. Und Respekt vor der Natur. „Man braucht volle Konzentration, denn jeder Handgriff muss sitzen“, sagt er. Und nimmt deshalb auch nicht zu viele Aufträge an. „Was nutzt das Geld, wenn ich müde werde und mich schwer verletze? Da aufzupassen bin ich schon meiner Frau und den Kindern schuldig.“

Viele geben den Beruf nach einigen Jahren auf, weil ihr Körper nicht mehr mitmacht. „Auch deshalb muss man wissen, was man sich zumuten kann“, sagt der 43-Jährige: „Und zweimal in der Woche Physiotherapie sowie Sauna muss einfach sein.“ Auf dem Beifahrersitz seines Transporters liegt eine Hörbuch-CD von Peter Wohlleben: „Das geheime Leben der Bäume“. „Ich find’ es ziemlich interessant“, sagt Heiko Mehnert: „Nur dieses ganze Spirituelle ist nicht so mein Ding.“

Spricht’s und schwärmt im nächsten Moment, dass jetzt die schönste Zeit im Wald beginnt: „Der Altweibersommer. Wenn die Tautropfen am Morgen in den Spinnweben hängen und von der schon tief stehenden Sonne in so ein zauberhaftes Licht getaucht werden...“

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