zum Hauptinhalt
Die Kassen haben darauf spekuliert, dass die Feuerwehr mit der Rechnungserstellung in jedem Einzelfall überfordert sein könnte.

© dpa

Rettungswagen-Einsätze: Feuerwehr schickt jetzt Patienten die Rechnung

Der Streit um Gebühren für Rettungswagen-Einsätze eskaliert: Versicherte sollen sich künftig Geld von Krankenkassen wiederholen.

Der langjährige Streit zwischen der Feuerwehr und den Krankenkassen ist eskaliert – die Versicherten sind nun die Leidtragenden. Zum 1. Juli haben die Berliner Kassen das seit den 80er Jahren bestehende Abkommen gekündigt, dass die Feuerwehr die Rechnungen für einen Rettungswagen direkt an die Kassen schicken kann. Diese zahlten die Einsätze dann gebündelt an die Feuerwehr. Ab dem 1. Juli sollen nun die Patienten die Rechnung an die Feuerwehr bezahlen. Die Rechnung können sie dann bei ihrer Kasse einreichen.

Betroffen sind jährlich etwa 240 000 Menschen, kündigte Landesbranddirektor Wilfried Gräfling am Sonnabend an. Am Freitag sei der letzte Einigungsversuch zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem Land Berlin gescheitert. Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) sagte: „Ich bedauere es sehr, dass die Krankenkassen ein patientenfreundliches Abrechnungssystem aufgekündigt haben.“

Die Krankenkassen ärgern sich seit Jahren über die ihrer Ansicht nach zu hohen Gebühren, die die Feuerwehr für jeden Einsatz eines Rettungs- oder Notarztwagens in Rechnung stellt. Doch mit zwei Klagen dagegen sind die Kassen in diesem Jahr vor dem Verwaltungsgericht gescheitert. In einem ersten Verfahren forderten die Kassen rückwirkend für zehn Jahre 115 Millionen Euro zurück. Die Richter wiesen die Klage auch unter Verweis auf das seit den 80er Jahren bestehende Abkommen zurück. In einem zweiten Prozess ging es um gut fünf Millionen Euro, weil Rettungswagen geschickt worden seien, obwohl angeblich kein medizinischer Notfall vorlag. Hier erklärten die Richter, dass ausschließlich vom Arzt am Unfallort entschieden werden könne, was ein Notfall ist und was nicht. Die Kassen dürften dies nicht nachträglich am Schreibtisch anders bewerten.

Dem Vernehmen nach haben die Kassen darauf spekuliert, dass die Feuerwehr mit der Rechnungserstellung in jedem Einzelfall überfordert sein könnte. Aber anders als von den Verbandsfunktionären kalkuliert, sieht sich die Feuerwehr technisch sehr wohl dazu in der Lage, 240 000 Rechnungen pro Jahr zu verschicken. Gräfling sagte, dass die Rechnungen vollautomatisch erstellt werden.

Henkel sei noch ein neues Gesprächsangebot gemacht worden

Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen betonte am Sonnabend auf Anfrage, dass man Innensenator Frank Henkel noch ein neues Gesprächsangebot gemacht habe. Davon wusste die Innenverwaltung aber am Sonnabend nichts. In der Sache sind die Fronten klar: „Wir erwarten die Offenlegung der Kalkulation der Gebühren“, sagte Gabriele Rähse von den Berliner Kassen und kritisierte „mangelnde Transparenz“ bei der Feuerwehr. Feuerwehrchef Gräfling sagt dagegen: „Die Kassen wollen über die Höhe der Gebühren mitbestimmen.“ Rechtlich sei dies jedoch nicht möglich. Die Transparenz habe man im Übrigen längst hergestellt. Demnächst steigen die Sätze erneut, von bisher 284 Euro für einen Rettungswagen auf dann 300 Euro.

In Berlin gab es 2011 fast 280 000 Einsätze im Rettungsdienst – die Zahl steigt seit Jahren kontinuierlich an –, und seit Jahren klagt die Feuerwehr über die stetig steigende Belastung. Alle Versuche, diese Entwicklung zu stoppen, scheiterten jedoch bisher. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Einsätze von Rettungswagen um 30 Prozent gestiegen, die der Notarztwagen um fast 70 Prozent. Wie berichtet, wird die alternde Bevölkerung, aber auch die hohe Anspruchshaltung der Hilfsbedürftigen als Grund für die hohe Zahl der Einsätze genannt. So wird in Berlin die „112“ gerufen, wenn nur ein Fingernagel eingerissen ist oder Nasenbluten das Wohlbefinden stört, heißt es bei den Rettern. Unklar ist, ob die ab Juli geltende Regelung dazu beiträgt, die Zahl der Einsätze zu reduzieren. Möglicherweise überlegt es sich der eine oder andere, die Feuerwehr zu holen, wenn er nun die Rechnung bezahlen muss. Versicherte müssen sich das ausgelegte Geld dann von ihrer Kasse wiederholen.

Die Krankenkassen ärgern sich seit Jahren über die ihrer Ansicht nach zu hohen Gebühren, die die Feuerwehr für jeden Einsatz eines Rettungs- oder Notarztwagens in Rechnung stellt.
Die Krankenkassen ärgern sich seit Jahren über die ihrer Ansicht nach zu hohen Gebühren, die die Feuerwehr für jeden Einsatz eines Rettungs- oder Notarztwagens in Rechnung stellt.

© dpa

Wegen der häufigen Alarmierung kommen die Sanitäter der Feuerwehr immer später am Einsatzort an. Nur jeder zweite Rettungswagen traf 2011 in der versprochenen Zeit ein. Im Stadtgebiet kommen 44 Prozent der Wagen in den vereinbarten acht Minuten, am Stadtrand sind es nur noch 24 Prozent. Eine Befürchtung hat die Feuerwehr allerdings: dass sie in der Bevölkerung jetzt als Sündenbock herhalten muss, wenn unerwartet eine Rechnung im Briefkasten liegt. Staatssekretär Krömer kündigte deshalb bereits eine „umfassende Information“ der Betroffenen durch die Feuerwehr an.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false