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Das Kernkraftwerk im brandenburgischen Rheinsberg.

© picture alliance/dpa

Rheinsberg: Ausgestrahlt: Wie das erste Kernkraftwerk der DDR demontiert wird

24 Jahre nach der Abschaltung wird das Kernkraftwerk Rheinsberg im Norden Brandenburgs noch immer abgebaut. Aber Führungen sind schon zugelassen.

Der Kalender an der Tür zur Schaltzentrale hat alle Stürme der Zeit überstanden. „Kernenergie für eine friedliche Zukunft“ steht über der Datumsanzeige. „VEB Kernkraftwerke Greifswald- Rheinsberg“ darunter. Im Raum dahinter klicken unentwegt Fotoapparate oder Handys. 20 Touristen drängeln sich in dem früher streng bewachten Raum voller Armaturen, Schaltpulte, Telefone. Vor den meisten Fenstern der Messgeräte hängt weißes Papier. Niemand braucht sie mehr, das erste Kernkraftwerk der DDR in der Nähe von Rheinsberg ist seit dem Sommer 1990 abgeschaltet. Nun gibt es hier Touristenführungen.

Die Demontage ab 1995 sollte nur ein Jahrzehnt dauern. Doch es fehlten die Erfahrungen. Nun wird mit der Übergabe des Geländes zwischen Stechlin- und Dämeritzsee für eine neue Nutzung erst für 2018 oder 2019 gerechnet.

Die radioaktiven Stoffe allerdings sind schon seit 2001 im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald, sonst wären regelmäßige Führungen durch die große Reaktorhalle, das weitläufige Außengelände oder das unter Denkmalschutz stehende Verwaltungsgebäude ja nicht möglich. „Das ehemals radioaktive Material ist fast komplett weg“, beruhigt Jörg Möller. „Jetzt kommen Rohre, der Estrich und andere Einbauten an die Reihe.“ Gelbe Fässer und Warnschilder „Kontrollbereich Vorsicht Strahlung“ verbreiten dennoch ein mulmiges Gefühl.

Die DDR hatte knapp die Nase vorn

Die meisten Besucher wussten bis wenige Tage vor den fast dreistündigen, kostenlosen Besichtigungstouren gar nichts von der Existenz eines Kernkraftwerkes im Norden Brandenburgs. „Wir sind in der Rheinsberger Tourist-Info darauf aufmerksam geworden“, sagt der Teilnehmer einer Radlergruppe aus dem nördlichen Niedersachsen. „So ein Kernkraftwerk ist ja schon eine Rarität.“ Eine Familie aus Essen will ebenfalls mehr über Kernenergie erfahren. „Seit Fukushima wird sie ja in Deutschland verteufelt. Mal sehen, ob wir in Rheinsberg schlauer werden“, sagt Karin Hubschmied, die mit Mann und zwei Kindern im 30 Minuten entfernten Zechin ihren Urlaub verbringt. Ihr Fazit nach dem Vortrag von Ingenieur Jörg Möller: „Wenn die Demontage eines solch kleinen Kraftwerks schon so lange dauert, was wird dann mit den großen Anlagen? Und es gibt ja immer noch kein Endlager für den Abfall.“

Tatsächlich erscheint die Leistung des sowjetischen Reaktors von 70 Megawatt, der eine Stadt wie Potsdam mit Strom versorgen könnte, im Vergleich zu heutigen Anlagen von mehreren tausend Megawatt winzig. Die Stromproduktion war auch nie entscheidend für den Bau im Naturschutzgebiet. „Es ging im Kalten Krieg zwischen DDR und Bundesrepublik darum, als Erster ein Kernkraftwerk in Betrieb zu nehmen“, sagt Ingenieur Jörg Möller. „Im Juni 1966 hatte die DDR tatsächlich knapp die Nase vorn. Von ihr kamen auch 80 Prozent aller Bauteile in Rheinsberg, auch wenn das Kernstück aus der Sowjetunion geliefert wurde.“

Beim Rundgang fallen Schilder mit Betriebsnamen auf, die heute kaum jemandem etwas sagen: „VEB Schwermaschinenbau Ernst Thälmann, Magdeburg-Bucka, Deutsche Demokratische Republik“, steht etwa an der Brücke des früheren Krans. In der Schaltzentrale liegt unter Glas ein Zehn-Mark-Schein der DDR; die Rückseite zeigt exakt den Raum, in dem die Besucher stehen. Auf die kleine Rheinsberger Anlage folgte der Bau des größeren Kraftwerks Lubmin bei Greifswald. In Stendal in Sachsen-Anhalt stoppte die Wende die Fertigstellung. 600 Millionen Euro kostet die ganze Demontage, die mit eigenem Personal erfolgt. 680 Beschäftigte hatte das Kernkraftwerk 1990 noch kurz nach dem Abschalten, heute sind es noch 110.

Zum Schluss sammelt der Wachschutz die Besucherausweise ein. Das große Tor in der Stacheldraht-Mauer schließt sich. Die Geheimnisse dahinter sind gelüftet.

Führungen gibt es mittwochs ab 13 Uhr. Anmeldung unter Tel. 033931/57560 oder per Mail an joerg.moeller@ewn-gmbh.de

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