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Berlin: Rhetorische Schleichwege

Wie die PDS-Senatoren Friedens- und Ausländerpolitik machen, ohne die Basis zu verprellen

Udo Wolfs Rhetorik klang jetzt wie einst die von Wolfgang Wieland, als der Grüne 1987 laut gegen die „rassistische Flüchtlingspolitik“ des Senats wetterte. „Die inhumane Asylgesetzgebung der Bundesregierung und die bundesweite Praxis verdienen keine Unterstützung“, verkündete Wolf vor einigen Tagen, als der Kongolese Raphael B. abgeschoben werden sollte. Gewiss, beim Kongo eine umstrittene Angelegenheit. Pikant jedoch: Udo Wolf ist – anders als damals Wieland – nicht in der Opposition. Wolf ist PDS-Innenpolitiker der rot-roten Koalition. Und Raphael B. sollte von Berlin aus abgeschoben werden.

Der PDS-Mann behalf sich deshalb mit einem semantischen Taschenspielertrick. Er geißelte die Bundesregierung – anstelle des handelnden Akteurs. Denn es war die Innenbehörde des sozialdemokratischen Koalitionspartners Ehrhart Körting, die die Abschiebung des Kongolesen veranlasst hatte.

Wolfs verbale Verbiegung zeigt exemplarisch, welche rhetorischen Kunststücke die Berliner PDS noch immer vollbringen muss, um Sozialismus und Sozialabbau, politische Gerechtigkeit und politische Grausamkeit, Bürgerrechte und bürgerliche Gesetze auf einen Nenner zu bringen. Oder wie es ein PDS-Mann der Führungsebene ausdrückt: „Konfliktvermeidung ist bei uns Programm.“ Meister des Konfliktmanagements ist dabei Wolfs Bruder Harald, Wirtschaftssenator und Vize-Bürgermeister.

Harald Wolf leitet für Klaus Wowereit (SPD) in den Sommerferien die Geschäfte im Roten Rathaus. Einen speziellen Termin aber konnte er kürzlich doch nicht wahrnehmen: Beim feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli im Bendlerblock vertrat der – gediente – Sozialdemokrat Thilo Sarrazin den Senat. Wolf dagegen hielt seine Rede bei den politisch korrekten Gedenkveranstaltungen am Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler; samt Empfang und Kranzniederlegung. „Im Rahmen der Arbeitsteilung“ habe deshalb Finanzsenator Thilo Sarrazin den Termin bei der Bundeswehr für den Senat wahrgenommen, erläutert Senatssprecher Günter Kolodziej.

Wie einst bei den Grünen, wo Joschka Fischer rund ein Jahrzehnt gebraucht hat, um fundamentalistische Quälgeister wie Jutta Ditfurth aus der Partei zu drängen, kämpft jetzt die Berliner PDS-Führung mit der eigenen Basis. Doch während etwa die grüne Wehrexpertin Angelika Beer mittlerweile selbst ihre Freizeit mit einem Bundeswehroffizier verbringt, meidet Wolf allzu intensiven Kontakt mit der Truppe. Schließlich weiß der Westlinke: „Soldaten sind“ – zumindest immer auch ein bisschen – „Mörder“, wie er es auf Transparenten seiner Parteifreunde immer wieder lesen muss.

So mancher dieser Parteifreunde, das wissen die Führungsgenossen aus den mitunter als „Gruselkabinette“ bezeichneten Basisversammlungen, träumt aus Enttäuschung über die Koalition von einer Palastrevolte. Auf ihrem letzten Parteitag musste sich die Führung anhören, die PDS sei „keine sozialistische Alternative mehr“, in der Regierung betreibe sie eine „asoziale Politik“. Und PDS-Jungrebell Sascha Schneider sagt: „Nicht einmal als Friedenspartei sind wir noch glaubwürdig.“

Dabei gehen die Senatoren der PDS gerade bei der Frage „Krieg und Frieden“ zuweilen äußerst kreativ mit ihrem Terminkalender um: Im Mai 2002 stattete US-Präsident George W. Bush Berlin einen Kurzbesuch ab – und die PDS-Senatoren erklärten sich zum Protest auf der Straße bereit. Doch als auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auf sanften Druck des Bundeskanzlers von einem scheinbar unaufschiebbaren Australien-Besuch Abstand genommen hatte, entdeckten die drei Funktionssozialisten ihrerseits unaufschiebbare Verpflichtungen, deretwegen sie weder bei Bushs Rede im Reichstag noch bei den Protest-Demonstrationen dabei sein konnten.

In ihrem Dauerkonflikt mit der Obrigkeit, die sie nun einmal selbst stellt, hat die ewige Oppositionspartei PDS seitdem ein Konzept der eleganten Schleichwege entwickelt. Sie hat dabei auch aufgehört, gegen sich selbst zu protestieren. „Man lernt ja dazu“, gibt ein PDS-Stratege freimütig zu. Bei absehbar unvorteilhaften Konstellationen bemühe man sich inzwischen frühzeitig, „in der Partei nicht unnötig für Aufregung zu sorgen“ – und nimmt Senatoren aus der Schusslinie. Häufig ist es der Terminkalender, der als Ausrede herhalten muss: Während Bush in Berlin weilte, fuhr Wowereits damaliger Stellvertreter Gregor Gysi, zugleich auch Frauensenator, zur Frauenministerkonferenz nach Bremen. Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner und Kultursenator Thomas Flierl dagegen waren gänzlich mit „haushaltspolitischen Gesprächsrunden“ ausgebucht.

Anders als Wolf aber tun sich Flierl und Knake-Werner häufig noch schwer mit der Schönfärberei aus Parteiraison. Gerade Flierl, dem materialistischen Dialektiker, schlagen ohnehin zwei Herzen in seiner Brust und versperren ihm den rhetorischen Ausweg. So entscheidet sich Flierl – weniger dialektisch – oft für ein solides Sowohl-als-auch. Und scheitert: In seinem Bemühen etwa, den Hochschulsparauflagen des Finanzsenators zu folgen, es sich zugleich aber nicht durch Studiengebühren mit seiner rebellierenden Basis zu verscherzen, verließ ihn jüngst sein Staatssekretär Peer Pasternack, weil er „für gestaltende Politik“ keinen Spielraum mehr sah.

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