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Ria Uhle, Psychologin: "Mobbing hat eine neue Qualität"

Die Präventionsexpertin Ria Uhle über Gewalt in Schulen, Mobbing und die Rolle der Eltern.

Können Lehrer erkennen, wenn ein Schüler eine Gewalttat plant?



Ja, es gibt Indizien: Wenn ein Schüler depressiv ist, Selbstmordgedanken äußert, sehr wenige soziale Kontakte hat und ein geringes Selbstwertgefühl, sich ausgegrenzt fühlt. Solche Erfahrungen kompensieren manche durch Macht- und Gewaltfantasien. Sie tragen martialische Kleidung, interessieren sich für Waffen. Wenn sie dann noch zusätzlich gekränkt werden, kann sich das zuspitzen zu der Fantasie: Ich werde mich rächen.

An immer mehr Schulen spielt das Thema Mobbing eine Rolle. Warum?


Mobbing, soziale Ausgrenzung, gab es in meiner Schulzeit auch, aber es hat heute eine neue Qualität. Dazu gehört das sogenannte „Bullying“, wenn die Ausgrenzung in körperliche Gewalt mündet. Die Anforderungen an die Jugendlichen steigen, gleichzeitig gibt es wenig Leitbilder und Orientierung. Zudem sind die Zukunftsperspektiven schlecht. Manche versuchen, sich als Mobber Anerkennung zu verschaffen, wenn sie sie sonst nicht bekommen. Männliche Lehrer, die Jungen Orientierung und Anerkennung geben, tun den Schulen gut. Mobbing ist aber Thema bei Jungen und Mädchen.

Verdecken die Schulhofschläger den Blick auf die stillen Schüler, die in der Klasse funktionieren, aber andere Probleme haben?

Nach dem Fall von Winnenden wird es eine neue Sensibilisierung geben für Schüler, die merkwürdig sind, aber nicht durch aggressives Verhalten auffallen. Wenn es Anzeichen gibt, sollte man als Lehrer den Schüler beziehungsweise die Eltern direkt ansprechen, fragen, ob es Probleme gibt. Amokhandlungen sind nicht spontan und setzen eine gewisse Planungsfähigkeit voraus. Wer die Fähigkeit nicht hat, schlägt eher spontan zu. Der Schläger hat ein Problem mit Impulskontrolle, während der Amokläufer seine Impulse lange kontrolliert, bis sie im Amoklauf münden.

Wie erfahren Lehrer, ob ein Schüler zu Hause Horrorvideos schaut?


Das kriegen sie nur mit, wenn sie zu ihm ein Vertrauensverhältnis haben. Oder wenn Mitschüler davon erzählen.

Müssen Lehrer besser geschult werden?


Die Bildungsverwaltung arbeitet daran, dass mehr psychologisches Know-how in die Ausbildung einfließt. Lehrer scheuen sich manchmal, Beratung zu holen. Weil sie denken, sie müssen alles alleine schaffen. Aber das muss nicht sein. Schulpsychologen helfen.

Welche Rolle spielen die Eltern?

Ziehen sich Kinder extrem zurück, kann das ein Zeichen sein, dass zu Hause etwas schiefläuft. Oft spielen Bindungsstörungen in früher Kindheit eine Rolle.

Können Wachschützer einen Amoklauf verhindern?


Ich glaube nicht. Amokläufer wollen ihren Plan unbedingt ausführen und sind intelligent. Sie werden Wege finden, um Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen. Vielleicht ist dann der Wachmann der erste, der stirbt.

Ria Uhle (45) ist Psychologin und arbeitet seit Juni 2008 als Referentin für Gewaltprävention an Berliner Schulen in der Senatsverwaltung für Bildung. Das Gespräch führte Claudia Keller

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