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Berlin: Ricarda Weller (Geb. 1955)

Jemand, der dafür einsteht, dass Träume nicht nur zum Träumen da sind

Für viele Kinder sind Messer und Gabel nur Instrumente im Nahkampf. Weil es die Eltern nicht interessiert, oder weil sie Manieren für autoritären Mumpitz halten, oder weil sie keine Zeit haben, sich auch noch darum zu kümmern. Aber – wer nur mit dem Löffel essen kann, hat schon verloren. Weil für ihn kein Platz am Tisch mehr frei ist. So werden Verlierer gemacht.

Da war dieses Mädchen, das ihr auf die Frage, was sie werden wolle, antwortete: Tierarzthelferin. Sie hatte sehr gute Noten. Ricarda fragte: „Warum denn nicht Tierärztin?“ – „Ja, geht das denn?“

Mit sieben Frauen gründete Ricarda Weller 2007 den Verein „Hand in Hand Patenschaft – Zukunft mit Perspektive“. Der Verein vermittelt „Wahlverwandtschaften“ für Kinder, denen eine zweite erwachsene Bezugsperson fehlt. Mehr als 60 Kinder fanden bisher einen Paten, einen der tröstet und aufbaut, und dafür einsteht, dass Träume nicht nur zum Träumen da sind.

Ricarda Weller wusste, was es für Folgen hat, als Kind das Träumen zu verlernen. Sie litt unter ihrem Stiefvater, durfte kein Abitur machen, geriet an einen falschen Mann. Aber gab nicht auf. Irgendwann in ihrem Leben muss sie sich geschworen haben, dass sie die Herrin ihrer Geschichte bleibt. Und dass sie für ihre eigenen zwei Kinder die beste Mutter der Welt wird, was ihr auch deshalb gelang, weil sie selbst stets ein wenig Kind blieb.

Ricarda Weller malte, schrieb Lieder, erfand viele Jahre Geschichten für die Mainzelmännchen vom ZDF – und tauschte all das leichten Herzens gegen die Arbeit bei „Hand in Hand“. Weil es da galt, Kindern zu einer Zukunft zu verhelfen. Diese riesige soziale Kluft, die sich auftut, wäre so einfach zu überbrücken. So viele einsame Kinder, so viele einsame Menschen. Sie müssten einander nur helfen.

Ali, nennen wir ihn Ali, er war 13, als seine Mutter eine Patin für ihn suchte. Und zugleich vor ihm warnte: Ali sei zu dick, zu unhöflich, zu schlecht in der Schule. Er ärgere seine Schwestern, spiele nur am Computer, kurz, Ali tue immer das Falsche. Als die Patin nach ihrem ersten Tag mit Ali von ihm zu schwärmen begann, dachten alle, sie rede über ein anderes Kind. Ali sei so klug, so gut im Umgang mit dem Computer, so höflich und so geduldig, dass er sogar ihr das Internet habe erklären können. Die beiden wurden ein Herz und eine Seele, und wenn er später im pubertären Wahn einen seiner Machosprüche raushaute, genügte ein kleiner Wink der Patin, und er benahm sich wieder manierlich.

Eltern haben oft nicht den Blick für ihre Kinder, im Guten wie im Schlechten. Sie sehen nicht, dass es ein anderes Leben, ein besseres Leben für ihr Kind geben könnte.

Nennen wir ihn Zal, ein kleiner cleverer Bursche, der vor Jahren gemeinsam mit anderen Patenkindern zu einem Knigge-Kurs im Fünf-Sterne-Hotel Regent eingeladen war. Die Idee: Viele Kinder haben noch nie in einem guten Restaurant gegessen, noch nie gemeinsam einen Tisch gedeckt und abgeräumt. Zal war begeistert, auf seinen Anmeldebogen für eine Patenschaft schrieb er: „Mein Berufswunsch ist Hoteldirektor.“ Er begann die Lehre im Hotel, wurde zum Mitarbeiter des Jahres 2013 gewählt, und nein, Hoteldirektor ist er nicht geworden. Noch nicht.

Bildung schützt, Umgangsformen schützen, Menschen schützen einander. Ricarda hatte noch so viele Pläne: Eine Art „Airbnb“ für Flüchtlinge. Es gibt so viele Menschen, die allein in viel zu großen Häusern wohnen, und es gibt so viele, die Wohnraum suchen. Sie müssen sich nur finden. Das klingt einfach, funktioniert aber nur, wenn sich Menschen dafür einsetzen. Das kostet Kraft. Die große Müdigkeit, sie kommt unweigerlich, irgendwann übermannt sie jeden Helfer. Ricarda hat sich nie geschont. Aber selbst als sie krank wurde, verlor sie nicht ihre Zuversicht. Sie konnte darauf vertrauen, dass andere ihre Arbeit fortführen werden. Denn da warten noch viele Kinder auf die Ermutigung zu träumen.

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