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Berlin: Richtung Norden und endlich wieder arbeiten

Mit einer Job-Börse warb Norwegen im Hotel Estrel um Fachkräfte. Hunderte arbeitslose Bauleute standen Schlange

Von Stephan Wiehler

Die Hoffnung hat viele n, und oft sind es die anderer Länder. Amerika zum Beispiel, Australien oder Kanada. Im Hotel Estrel an der Neuköllner Sonnenallee heißt die Hoffnung Norwegen. Und wo das Licht der Hoffnung scheint, da stellen sich Menschen geduldig in die Warteschlange. Es sind mehrere hundert, die meisten von ihnen robuste Männer mit kräftigen Händen, die an diesem Donnerstagvormittag ins Estrel gekommen sind. Sie sind Bauzimmerer, Betonarbeiter, Maurer und Poliere, Maler, Tapezierer, Installateure, Fliesenleger, Dachdecker, Einschaler oder Schlosser – und sie alle suchen Arbeit. Viele suchen schon lange, andere haben gerade ihre Kündigung bekommen und wenig Hoffnung, neue Beschäftigung zu finden, jedenfalls nicht hier in Berlin.

In Norwegen stehen ihre Chancen besser, die Arbeitslosenquote liegt bei nur 3,6 Prozent, und es mangelt an Fachpersonal. Es gibt viel zu tun, vor allem für die Männer vom Bau. Denn das Baugewerbe boomt in Norwegen. Und deshalb hat die norwegische Arbeitsverwaltung gemeinsam mit der Zentralen Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit (ZAV) zu einer „Job-Börse“ ins Estrel eingeladen. „Wir haben schon ähnliche Veranstaltungen gehabt, aber das ist ein Pilotprojekt“, sagt Doris Mohn. Die ZAV-Mitarbeiterin aus Bonn sitzt hinter einem Tresen am Eingang zum Saal, nimmt ausgefüllte Fragebogen in Empfang und verteilt Aufkleber mit Namen und Berufsbezeichnung, die sich die Jobsuchenden an die Brust heften. Gerade hat Annette Schmidt ihren Aufkleber erhalten. Die 36-jährige Architektin ist eine der wenigen Frauen hier, doch immerhin kennt sie Norwegen schon ein bisschen, zweimal war sie im Urlaub dort, einige Worte Norwegisch spreche sie auch, sagt sie. Annette Schmidt hat zuletzt in einem Büro für Hochbau-Planung gearbeitet, doch die Aufträge waren rückläufig, sie musste gehen. „Ich sehe hier keine Perspektive mehr für mich“, sagt sie. Ein paar Jahre Auslandserfahrung könnten da nicht schaden, und es hält sie wenig zurück. „Ich habe keine Familie. Das ist vielleicht auch ein Vorteil.“

Für viele der Jobsuchenden aus der erlahmten deutschen Baubranche ist der Arbeitsaufenthalt im Ausland längst nichts Neues mehr. Maurer André, 36, hat zuletzt acht Monate in den Niederlanden geschafft und dort rund 1000 Euro mehr verdient. „In Deutschland läuft überhaupt nichts mehr“, sagt der 36-Jährige, „nicht einmal zum normalen Verdienst“.

Im Saal nebenan reihen sich die Interessenten in die Schlangen vor mehreren Informationsständen ein. Hinter den Tischen sitzen „Avdelingsleder“ Tore Mikkelsen und seine Kollegin Stine Irgens, „Personalkonsulent“ der Firma Adecco. Die beiden sind „Bemanningspesialisten“, wie das Plakat hinter ihnen verrät. Personalvermittler bedeutet das erste norwegische Wort, das die Jobsuchenden hier lernen. Tiefbau-Monteur Jürgen braucht es sich allerdings vorerst nicht einzuprägen. Der 38-Jährige hat für die Telekom Kabel verlegt, zum 15. hat er die Kündigung bekommen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Jobvermittler ist ihm klar: „Im Moment können die mich nicht gebrauchen. Da bleibt mir nur der Weg zum Arbeitsamt.“

Für Maurermeister Jochen Lau sehen die Aussichten schon besser aus. Er ist zusammen mit seinem Kollegen gekommen. Die beiden arbeiten zurzeit auf selbstständiger Basis zusammen, suchen aber auch eine Festanstellung. Doch Lau steht noch unschlüssig neben den Ständen. „Es stört mich, dass hier nur Arbeitsvermittler sind und wir nicht direkt mit Arbeitgebern sprechen können.“ Sein Kollege hat von 23 Euro Stundenlohn gehört, allerdings im Norden des Landes. Jochen Lau winkt ab. Er kennt Norwegen. „Das lohnt sich nicht“, rechnet der Maurermeister vor. „Es ist alles verdammt teuer, und bis nach Oslo brauchst du schon 20 Stunden.“ Lau denkt an einen Pendlerjob. „14 Tage arbeiten und dann wieder eine Woche hier.“ Umsiedeln will er nicht. „Ich habe Familie, und meine Frau arbeitet in Berlin.“

Die Arbeitsvermittler interessieren sich indes mehr für Bewerber, die in Norwegen auch eine neue Heimat suchen. „Sie sollten nicht nur an die Kohle denken“, sagt einer der Personalvermittler zu einem jungen Handwerker, „das Leben in Norwegen ist teuer, und es sollte Ihnen dort auch gefallen. Denn die Firmen wollen langfristig planen.“

Wie teuer das Leben in Norwegen ist und was das Land dafür zu bieten hat, erfahren die Jobsuchenden von Carmen Dahl. Die freundliche Abgesandte der norwegischen Arbeitsverwaltung steht im Saal nebenan vor einem Tageslichtprojektor, auf dem die Folien in schnellem Wechsel Zahlen, Daten, Fakten liefern. Rund 250 Zuhörer erfahren von ihr, dass es sich lohnen kann, den Gebrauchtwagen einzuführen und noch nach drei Jahren gewinnbringend zu verkaufen, dass die Norweger lieber Häuser kaufen als zur Miete zu wohnen und dass sämtliche freie Stellen des Landes im Internet abrufbar sind. Carmen Dahl schwärmt von hohem Lebensstandard, von der Natur und den vielen Freizeitangeboten und von Chefs, die mit ihren Angestellten per Du sind und sich oft gerade gegenüber ausländischen Arbeitnehmern verpflichtet fühlen. „Nennen Sie in Ihrer Bewerbung unbedingt auch Ihre Hobbies“, empfiehlt Carmen Dahl. „Wenn Sie gerne Angeln gehen, skifahren oder bergsteigen, dann haben Sie den Job in vielen Fällen schon so gut wie sicher.“

Schlosser Andreas Fiedler jedenfalls ist von ihrem Vortrag begeistert. Erst heute Morgen war der 42-Jährige beim Arbeitsamt. Dort seien die Aussichten für ihn so düster, dass er sofort nach Norwegen gehen würde – koste es, was es wolle. Selbst Preise von zwölf Euro für den Liter Bier oder acht Euro für eine Schachtel Zigaretten können diesen Mann nicht schrecken. Er will „bloß weg aus Deutschland“.

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