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Berlin: Röhre frei

Heute wird der Tiergartentunnel eröffnet. Jetzt wird sich zeigen, ob die oberirdischen Straßen entlastet werden oder ob es neue Staufallen gibt

Nach jahrelangem Warten kommt jetzt die Stunde der Wahrheit. Heute sollen gegen 14.40 Uhr die ersten Autos durch den neuen Tiergartentunnel fahren. Dann wird sich zeigen, ob die 2,4 Kilometer langen und 390 Millionen Euro teuren Röhren die oberirdischen Straßen vom Verkehr entlasten oder ob es durch den Tunnel vor allem rings um die Ein- und Ausfahrten neue Staufallen geben wird. Der ADAC und die Verkehrslenkung Berlin (VLB) bitten die Autofahrer vorsichtshalber, die ersten Tage nicht für „Schnupperfahrten“ durch den Tunnel zu nutzen.

Dass das Interesse am Tiergartentunnel riesig ist, hat der vergangene Sonntag gezeigt. Mehr als 60 000 Menschen haben das Bauwerk am letzten Wochenende zu Fuß erkundet. Die neuralgischen Bereiche waren dabei allerdings nicht zu sehen: die Abschnitte mit nur einer Fahrspur je Richtung vor den nördlichen und südlichen Ein- und Ausfahrten an der Heidestraße und dem Reichpietschufer am Landwehrkanal. Zweispurig ist der Tunnel nur zwischen den Anschlussstellen Invalidenstraße am künftigen Hauptbahnhof und am Kemperplatz vor der Philharmonie. Die unterirdische Verbindung sollte nach dem Willen der damaligen CDU/SPD-Koalition, die den Bau Anfang der Neunziger beschlossen hatte, keinen Autobahn-Charakter erhalten, sondern als Stadtstraße fungieren. Deshalb hat sich der Bund auch nicht an den Baukosten beteiligt.

Wegen zahlreicher Kurven sind die Röhren unübersichtlich. Gewöhnungsbedürftig sind ferner die Regelungen an den Ein- und Ausfahrten, denn die einbiegenden Autos kommen nicht von rechts, sondern von links. Auch wer den Tunnel an den mittleren Anschlussstellen verlassen will, muss die linken Fahrspuren wählen.

Gefeiert – und protestiert – wird heute schon vor der Verkehrsfreigabe. Um 12 Uhr beginnt die offizielle Zeremonie mit Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (alle SPD). Während sie den Tunnelbau in ihren Reden loben, wollen Tunnelgegner wie die Grüne Liga mit „kreativen Aktionen“ protestieren. Ihrer Ansicht nach erzeugt die neue unterirdische Nord-Süd-Verbindung zusätzlichen Verkehr. Zudem bemängeln sie, dass einer der modernsten Tunnelneubauten weltweit keine Filteranlagen erhalten hat. Die Abgase werden über den aus Glasbausteinen bestehenden Kaminturm am Hauptbahnhof sowie über den mit einem grünen Würfel versehenen Schacht im Daimler-Chrysler-Komplex ins Freie geblasen.

Rund 50 000 Autos sollen nach den Prognosen der Verkehrsplaner täglich durch den Tunnel fahren, darunter sind etwa 5000 Lastwagen. Eine Mehrbelastung an Schadstoffen erwartet die Stadtentwicklungsverwaltung nicht. Allerdings ist das Gesamtkonzept in diesem Bereich nicht aufgegangen. Der Tunnel sollte die nach dem Mauerbau für den Nord-Süd-Verkehr errichtete Entlastungsstraße ersetzen. Ihr Reststück wird zwar heute gegen 12 Uhr für den Autoverkehr dicht gemacht und nach der Fußball-Weltmeisterschaft wieder als Grünanlage dem Tiergarten zugeschlagen, doch die als Provisorium bis zur Tunnel-Eröffnung vorgesehene Straße über das Gelände des Bundesforums zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus an der Schweizer Botschaft vorbei bleibt erhalten. Die ursprünglich geplante Straße unter dem Vordach des Paul-Löbe-Hauses ist nach Protesten des Bundestags für Abgeordnete und Besucher reserviert.

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