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Berlin: Rollenspiel im Regierungsviertel

Die Skater wollen den Asphalt für sich / Straßen zu verkehrsarmen Zeiten sperren? Das schlägt der Organisator der Inline-Parade vor

Von Christian van Lessen

„Der Untergrund ist zu holprig“, sagt Stephan Imm. Er schaut abschätzig auf das Pflaster und die breiten, etwas unebenen Fugen auf dem Gehweg, direkt an der Zufahrt zum Reichstag. „Aber die Straßen ringsum sind neu und glatt, und die Umgebung ist schön.“

Der 33-jährige Rechtsanwalt preist die Umgebung nicht ohne Grund. Er ist Berliner Ober-Skater und Veranstalter der Skater-Demo „berlinparade“, zu der gestern zum Auftakt der Saison um die 400 Teilnehmer durch die Stadt rollten, von der Alexanderstraße in Mitte aus insgesamt 20 Kilometer. An den Linden vorbei, durchs Brandenburger Tor, auch durchs Regierungsviertel. Mit besonderem Genuss, gerade auf neuen, glatten Straßen durchs Regierungsviertel.

Imm hat das Motto ausgegeben, das Regierungsviertel, die von ihm so gelobte schöne Umgebung, in der verkehrsarmen Zeit, etwa am Sonntagvormittag, für den Autoverkehr zu sperren – und für Inline-Skater zu öffnen. Damit könnte sich Berlin als skaterfreundliche Stadt profilieren und endlich Paris Paroli bieten. Paris öffne schon seit Jahren attraktive Straßen im Stadtzentrum für Skater, und in Paris sei keineswegs weniger Autoverkehr. „Bilder von Inline-Skatern im Regierungsviertel könnten in alle Welt gehen und das von den Berlinern immer gewünschte Image einer weltoffenen und modernen Stadt unterstreichen“, schwärmt Imm.

Noch Referendar und Anwaltspraktikant in Paris, wagte er sich 1999 zum erstenmal auf die Rollen. Seit drei Jahren, seit er in Berlin ist, streitet er um mehr Rechte für Skater, um das Fahren auf offener Straße. Die berlinparade, anfangs wie die Ur-Love Parade belächelt, ist zu einer Veranstaltungsgröße geworden, mit bis zu 4000 Teilnehmern an sonnigen und warmen Tagen. Anfang September 2001 glaubte sich Imm einen gewaltigen Schritt weiter. Da schlug sogar die Polizei selbst vor, verkehrsarme Bereiche an Wochenenden und in der Sommerpause Skatern zur Verfügung zu stellen. Als Beispiel wurde das Parlaments- und Regierungsviertel genannt. Schnell kamen Bedenken der Verkehrsverwaltung, wegen „besonderer Sicherheitsvorkehrungen“ und Verhandlungen mit dem Bund. Wenige Tage später war der 11. September, auch im Jahr darauf wollten die Skater keinen neuen Versuch starten. Aber diesmal wird der Wunsch wieder laut, gestern sagt Petra Reetz aus der Verkehrsverwaltung: „Es hat sich nichts geändert. Es gibt eine Absprache zwischen Berlin und dem Bund, dass alle Aktivitäten im Regierungsviertel abgesprochen werden müssen.“

Und abgesprochen ist in diesem Punkt noch nichts. Als Stephan Imm vor der Skater-Parade am Regierungsviertel vorbeirollt, gibt ihm der dünne Autoverkehr Recht. Es wimmelt von Spaziergängern, aber die Straßen sind fast verlockend leer. Vor dem Kanzleramt, in Gerhard Schröders Büro sind die Jalousien heruntergelassen, dreht Imm einige Proberunden. Mit verschränkten Armen wirkt er so lässig dahinrollend fast wie ein Eisschnellläufer. Der Ober-Skater kann sich Rollen aus dem Leben nicht mehr wegdenken. „Der ganze Körper bewegt sich, es ist ein wohliges Hingleiten, ein durch und durch gesunder Sport.“ Entgegen allem Vorurteil sei Inline-Skaten auch für ältere Menschen, die nicht mehr joggen wollten oder könnten, geradezu ideal. An den Skater-Demos nähmen auch immer mehr Ältere teil, er kenne jemanden, der sei über achtzig.

Selbst Stephan Imm gehört ja nicht mehr zu den Jüngsten. Wenn er seine Inline-Skates an- und den Knieschutz umschnallt, den Helm aufsetzt, dann spürt er, dass Rollen alterslos machen, dass man nur alt aussieht und von der Rolle ist, wenn das Bremsen nicht klappt. „Inline“, das sind die in einer Viererreihe angelegte Rollen. Dieses einreihige Hintereinander ist eben anders als bei normalen Rollschuhen, die Imm nie ausprobiert hat, nur vom Hörensagen kennt.

In Prenzlauer Berg, an der Schönhauser Allee, wohnt der gebürtiger Celler. Auf den Fußwegen, wo er fahren darf, stören ihn fast alle 20 Meter die Pflastersteine der Hauseinfahrten. Imm ist Realist. Er weiß, dass sich daran nichts ändern lässt. Und auch die holprigen Gehwege an der Reichstagszufahrt könnten ihn kalt lassen. Wenn er nur regelmäßig die Straßen ringsum nutzen dürfte.

Christian van Lessen

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