zum Hauptinhalt

Berlin: Rollenspiele der Macht

Wer regieren will, muss wandlungsfähig bleiben – oft schon wechselten Politiker das Fach vom Haudrauf zum moderaten Chef Berlins Kandidaten erproben bereits ihr Repertoire. Die Frage ist nur: Nehmen die Wähler ihnen das neue Image ab?

Früher mochte er es radikal. Frank Henkel, heute Fraktions- und Landeschef der CDU und womöglich ihr Spitzenkandidat, war einmal ein Polterer. Als er noch einfacher Abgeordneter war und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, drückte sich der offizielle Henkel stets nur auf eine Weise aus: drastisch. Nach nicht mal einem Jahr als CDU-Innenpolitiker stellte Henkel fest, dass „die Gewalt in der Stadt explodiert“, Innensenator Ehrhart Körting vor einem „Scherbenhaufen“ stehe und die rot-rote Koalition zum „Sicherheitsrisiko“ für die Stadt geworden sei. Ein konservativer Innenpolitiker, der immer mit geballten Fäusten zu reden schien. Alles passte zueinander: Sprache, Gestalt, das breite Kreuz im dunklen Anzug. Der große schwere Mann saß dann leicht vorgebeugt am Tisch, die Ellenbogen aufgestützt, entschlossener Ausdruck, zum Poltern bereit. Der Innenausschuss war sein Biotop. Es war eine Rolle, die Henkel perfekt beherrschte.

Er hat sie einfach abgelegt. Heute ist Henkel Generalist, das muss er sein, um als Spitzenkandidat infrage zu kommen. Renate Künast entwickelt sich gerade zur Berliner Generalistin, die sich zur Wirtschafts-, zur Schul-, zur Verkehrspolitik äußert. Klaus Wowereit hat sich in kürzester Frist vom Haushalts- und Kulturfachmann zum Generalisten entwickelt.

Generalisten pöbeln nicht. So hat sich Frank Henkel auch die Zwischenruferei in den Plenarsitzungen des Abgeordnetenhauses längst abgewöhnt. Ein paar Monate erst war er Abgeordneter, da fing er sich schon eine Rüge des Parlamentspräsidenten ein, weil er in einer heftigen Debatte den SPD-Mann Klaus-Uwe Benneter als „Dreckschleuder“ bezeichnete. Überhaupt ging Henkel – wie auch der FDP-Mann Martin Lindner – keiner Redeschlacht aus dem Weg. Das heftige Austeilen schien ihnen Spaß zu machen. Henkel, der Parlamentsneuling, redete in fast jeder Sitzung.

Heute erinnern sich langjährige Mitparlamentarier nicht mal mehr daran, dass Henkel mal ein Verbalradikaler war. Fraktionsvorsitzende, heißt es, würden nicht dazwischenrufen. Doch wer die Rolle wechselt, riskiert sein Ansehen. Die Rollen mögen sich unterscheiden, sie verlangen die gleiche Glaubwürdigkeit und Authentizität. Beides muss gegeben sein – sonst kann es einem Politiker so gehen wie Friedbert Pflüger in der Konkurrenz zu Klaus Wowereit. Aus der CDU, die 2005 in Berlin keinen Kandidaten fand, hörte man schon Anfang 2006, Pflüger habe sich selbst beworben. So hatten manche den Bundestagsabgeordneten aus Hannover stets im Verdacht, es gehe ihm mehr um einen Karriereschritt als um die Stadt und das Amt. Dann bot Pflüger dem Regierenden auch noch öffentlich die „Zusammenarbeit“ an. Es war, als spiele er den Herausforderer nur: Pflüger wirkte nie ganz authentisch, er kam nicht heran an Wowereit, der in seinen besten Zeiten die Rolle des Berliner Sonnenkönigs zu leben und zu lieben schien.

So was kann sich schnell ändern. Wowereit selbst hat vor nicht langer Zeit bewiesen, wie man sich selbst in eine Glaubwürdigkeitskrise stürzt. Die war die Folge seiner bundespolitischen Ambitionen – und von deren Scheitern. Dass Wowereit das Berliner Aktionsfeld zu klein sei, hatte er seit 2006 immer mal wieder erkennen lassen. Damals kündigte er an, sich stärker in die Bundespolitik einzumischen – und tat das auch.

Dabei war er, was seine Thesen anging, so frei von jeder Schüchternheit. Vor allem gab er sich so uninteressiert an der Berliner Politik, dass es unangenehm auffiel: erst seiner Partei, dann den Berlinern. Seine Beliebtheit schwand dahin. Selten wirkte Wowereit zugleich so authentisch (als Berliner) und so unglaubwürdig (als Bürgermeister) wie im vergangenen Winter. Da stellte er angesichts vereister Fußwege, Bushaltestellen und Straßen fest, der Einsatz des Technischen Hilfswerks sei überflüssig: „Wir sind hier nicht in Haiti, wir sind in Berlin.“

Aber Wowereit hat schnell verstanden, dass seine Popularität von der Basis kommt. In diesem Jahr tourte er durch die zwölf Bezirke, um öffentlich Interesse für den Berliner Normalbetrieb zu demonstrieren. Seine Hauptkonkurrentin Renate Künast wird noch beweisen müssen, dass sie es nicht nur an Schlagfertigkeit mit Wowereit aufnehmen kann. Regierender Bürgermeister – das erschöpft sich nicht im Regierungsgeschäft. Jeder Spitzenpolitiker mit Gefühl für die Glaubwürdigkeit wird im Not- oder Katastrophenfall an den Ort des Geschehens fahren, um zu zeigen, dass er sich „kümmert“.

Manchmal passt alles perfekt – wie beim wahlkämpfenden Gerhard Schröder im August 2002: Er stapfte ein paar Tage früher in Gummistiefeln durch das Hochwassergebiet als sein Herausforderer Edmund Stoiber. Manchmal wirkt der politische Rollenwechsel wie ein Entwicklungsroman: vom Straßenkämpfer zum Außenminister und Nahost-Friedensstrategen. Mancher Rollenwechsel bleibt rätselhaft und faszinierend – wie bei Otto Schily. Als linker Anwalt wirkte er wie ein Fremdling in der RAF-Sympathisantenszene – ein Bildungsbürger im Anzug als Staatsfeind. Als Grüner blieb er dem grünen Basis- und Umarmungsgetue fremd. Als SPD-Mann befremdete er Genossen und Liberale mit seinem Verständnis von Anti-Terror-Politik. Und immer war er zugleich ein hoch angesehener Mann, auf seine Weise stets authentisch.

Ob Künast das auch so kann? Sich weiterentwickeln von der schnippischen, kessen Berliner Erfolgsgrünen mit Ministerinnenerfahrung zur – pardon: Landesmutter? Muss sie das? Das Element Landesmütterlichkeit/Landesväterlichkeit ist das dritte neben der Glaubwürdigkeit und der Authentizität, ohne das man als Spitzenkandidat nur scheitern kann. Es steht für die Herzenswärme und Empathie für die Leute, denen man im Wahlkampf die Fähigkeiten des Generalisten vormacht.

Bei den Grünen glauben sie, dass Künast herzenswarm genug ist für den Berliner Wahlkampf. Spröde? Von wegen. Sie lasse sich leicht und schnell auf Leute ein, heißt es. Immerhin hat ihr Wowereit den Lokalpatriotismus voraus. Den muss er nicht lernen und trainieren. Dass er Berlin toll findet, kann man geradezu körperlich spüren, wenn Wowereit redet. Genauso übrigens wie bei Frank Henkel.

Zur Startseite