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Mit Sack und Pack. Früher kamen die Romafamilien meistens nur für den Sommer nach Berlin, inzwischen wollen immer mehr hier sesshaft werden.

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Roma in Berlin: Heimatsuche mit Hindernissen

Auf der Suche nach einer neuen Heimat irren sie jahrelang durch Europa. Berlin betrachten immer mehr Romafamilien als Ende ihrer Reise – was oft zu Konflikten mit den alteingesessenen Berlinern führt.

Auf der Suche nach einer neuen Heimat irren sie jahrelang durch Europa. Berlin betrachten immer mehr Romafamilien als Ende ihrer Reise – was oft zu Konflikten mit den alteingesessenen Berlinern führt. Im Selgenauer Weg in Rudow etwa beschweren sich derzeit Anwohner über mehrere Familien. Die Kinder klauen Post, heißt es, sie betteln, bedrohen andere Kinder, stehlen im Supermarkt und in der Kleingartenanlage. Doch nach Ansicht von Experten sind die Probleme in Rudow hausgemacht: „Wenn Vermieter die Wohnungen eines Hauses derart mit Romafamilien vollstopfen, um Profit zu schlagen, schafft das nur Probleme. Diese Entwicklung scheint zuzunehmen“, beklagt der Neuköllner Migrationsbeauftragte Arnold Mengelkoch.

Vor zwei Jahren zogen die ersten Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien in den Block, im Sommer folgten vier weitere. Die Situation eskalierte, als die Roma noch mehr Familien in einem Matratzenlager im Keller und in den Wohnungen einquartierten; dafür sollen sie von jedem zwischen 100 und 200 Euro pro Monat verlangt haben. Die Gäste verrichteten ihre Notdurft teilweise in Treppenhaus und Aufzug. Als vor zwei Wochen Polizei und Jugendamt anrückten, waren die Bewohner des Matratzenlagers verschwunden.

Kamen die Romafamilien früher nur für den Sommer, verlassen jetzt viele die Stadt im Herbst nicht mehr. „Viele der Wanderarbeiter wollen hier leben“, sagt der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening. Wie viele Roma in der Stadt leben, ist unklar, vermutlich einige hundert. Viele haben laut Polizei bereits eine Aufenthaltsberechtigung oder sind deutsche Staatsbürger. In ihre Heimatländer können sie nicht zurück, dort werden sie seit Jahren verfolgt. Um ihnen zu helfen und Konflikte zu vermeiden, steckte der Senat dieses Jahr erstmals 30 000 Euro in eine mobile Anlaufstelle für Roma. Für die Berliner Verwaltung gibt es einen Leitfaden für den Aufenthalt von Roma sowie eine Liste mit Kontaktadressen. Das alles hat sich laut Piening bewährt: „Dieses Jahr sind Konflikte deutlich seltener eskaliert.“ Probleme wie die mit Romagruppen, die im vergangenen Jahr im Görlitzer Park campierten, blieben aus. Die Förderung der Anlaufstelle läuft im Oktober aus, die Zukunft des Projekts ist noch unklar.

Hilfe wird aber nicht von allen Romafamilien angenommen. „Wenn wir vom Amt auftauchen, sind viele schon wieder weg und ziehen weiter“, sagt der Migrationsbeauftragte Mengelkoch. Die Unterkünfte wechseln, die Probleme verlagern sich. Weil sie in ihren Heimatländern und bei ihrer Wanderung durch Europa seit Jahren verfolgt werden, haben sie kein Vertrauen in den Staat und die Gesellschaft, sagt Bosiljka Schedlich vom „Verein südost Europa Kultur“. Sie sagt: „Die Roma sehnen sich nach Sesshaftigkeit und Integration.“ Dabei sei entscheidend, dass man den Kindern hilft und sie in Kitas und Schulen schickt. Viele Familien wüssten gar nicht, dass das möglich ist, wenn sie in Berlin gemeldet sind. Was ebenfalls wenigen bekannt ist: Selbst die Familien, die illegal im Land sind, könnten ihre Kinder kostenlos beim Kinder- und Jugendgesundheitsdienst der Bezirke behandeln lassen, erklärt Mengelkoch, die Mitarbeiter unterlägen der Schweigepflicht. In Neukölln ließen sich in diesem Jahr derart viele Roma impfen, dass der Etat für Impfstoff bereits im März aufgebraucht war. Danach beschlossen die Bezirksämter, die Roma nur noch zu untersuchen und zu beraten.

Neben Tiergarten und Wedding ist vor allem Neukölln vom Zuzug betroffen. In der Flughafenstraße wohnen in einem Haus zahlreiche Romafrauen mit Kindern, die nicht zur Schule gehen. In einem Gebäude in der Treptower Straße und in der Kirchhofstraße wurden zahlreiche Wohnungen untervermietet. Bis zu zehn Personen teilten sich ein Zimmer. In der Okerstraße im Schillerkiez wurden die Probleme vergangenes Jahr so massiv, dass eigens eine Task Force ins Leben gerufen wurde. Mit dabei ist der Verein Integra. Er berät die Familien und kümmert sich um Kinder und Jugendliche, die sich auf der Straße herumtreiben. Lydia, 12, kommt zum Malen und Essen, der 13-jährige Tommy zum Fußballspielen, Ältere gehen freitags zum Nachtsport. Seither ist in dem Brennpunkt eine kleine Erfolgsgeschichte zu beobachten. „Die Anwohner erzählen, dass sie sich sicherer fühlen“, sagt Integra-Geschäftsführer Kazim Yildirim. Am Donnerstagnachmittag griffen Kinder und Anwohner zu Besen und Schaufel und schrubbten einen Teil der Okerstraße sauber. Wegen des Regens kamen weniger als erwartet, weshalb in zwei Wochen die ganze Straße gereinigt werden soll.

So weit ist es im Selgenauer Weg in Rudow längst nicht. Ein Anfang ist aber gemacht: Sozialarbeiter kümmern sich um Kinder und Jugendliche, viele besuchen regelmäßig einen Jugendclub, Familien werden sozialpädagogisch betreut, sagt Neuköllns Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne). Die Hausverwaltung soll neun Romafamilien in ein Gebäude einquartiert haben, weil sie keine Mieter finden konnte. Stadträtin Vonnekold sieht die Schuld ebenso bei der Hausverwaltung und deren Vermietungspraxis und fordert, auf eine soziale Mischung zu achten. Und sie will finanzielle Beteiligung, um der Lage Herr zu werden. „Wenn der Vermieter das Problem geschaffen hat, muss er es auch selbst beseitigen. Dies aber nicht, indem er die Leute los wird“, sagt die Stadträtin. Eher mit einem Streetworker und Räumen, in denen die Kinder ihre Freizeit verbringen können. In anderen Kiezen werde so bereits erfolgreich gearbeitet. Vonnekold plant Gespräche zwischen Behörden, Anwohnern, Roma, Eigentümer und Hausverwaltung. Am Mittwoch beschäftigte sich die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung nach einer Anfrage der CDU mit dem Fall.

Aufdringliche Scheibenputzer, Ladendiebe und Bettler: Die Roma leiden unter einem schlechten Image – laut Bosiljka Schedlich vom „Verein südost Europa Kultur“ zu Unrecht. „Viele der Arbeitsmigranten, die in den 60ern Jahren nach Deutschland kamen, sind heute bestens integriert, sind Ärzte oder Anwälte. Sie kamen aus denselben Verhältnissen wie die Wanderarbeiter heute.“ Für die Berliner hat Schedlich noch eine gute Nachricht: Die Scheibenputzer sollen im kommenden Jahr von den Kreuzungen verschwinden, Deutsch lernen und dann als Saisonarbeiter an Tankstellen vermittelt werden. Christoph Spangenberg

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