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Noch 881 Tage. So lange dauerte es nach Reagans Besuch, bis die Mauer fiel. Hier wirft er vom Reichstag aus einen Blick darauf, flankiert von Kohl (li.) und Diepgen.

© picture-alliance/dpa

Ronald Reagan vor 25 Jahren in Berlin: "Mr. Gorbachev, tear down this wall!"

Heute vor 25 Jahren besuchte US-Präsident Ronald Reagan West-Berlin und hielt seine visionäre Rede. "Öffnen Sie dieses Tor", rief er damals in Richtung Kreml. Ausgerechnet der Kalte Krieger Reagan streckte damals die Hand aus.

Ihren 750. Geburtstag begeht die geteilte Stadt im doppelten Festrausch. Das Jubeljahr 1987 ist für beide Seiten ein toller Anlass, sich an Glanz und Gloria zu übertrumpfen. Zu den Höhepunkten West zählt der Besuch von US-Präsident Ronald Reagan am 12. Juni. Nur seine Verheißung vom nahenden Fall der Mauer, die „der Freiheit nicht standhalten“ werde, klingt irreal. Wer’s glaubt, wird selig, da sind doch die Russen vor, denken sich die Berliner. Sie haben sich mit der Lage abgefunden, wie sie ist. Klar, die Mauer muss weg. Doch wer sich einbildet, das noch zu erleben, kann nur ein Fantast sein oder plemplem.

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Ganze fünf Stunden dauert der Besuch, aber die haben es in sich. Irgendwie ist die Stadt im Ausnahmezustand. Gute Bürger empfangen Ronald und Nancy Reagan voller Dankbarkeit für all das, was Amerika für die Freiheit der West-Berliner getan hat. Alles was links und friedensbewegt ist, Atomwaffen verabscheut, traut dagegen den Amerikanern schon lange nicht mehr über den Weg, ist also in Proteststimmung. Demos arten in Randale aus, vom Ku'damm bis zum Nollendorfplatz war bereits am Vorabend der Teufel los. Innensenator Wilhelm Kewenig ordnet „Verkehrsruhe“ von und nach Kreuzberg an, um die dort verorteten „Anti-Berliner“ von der weiträumig abgesperrten Reagan-Route zwischen Flughafen Tempelhof und Tiergarten fernzuhalten. Drei Stunden ist der Bezirk wie abgeschnitten. U-Bahn- und Bus-Linien sind unterbrochen, das gab es seit ’45 nicht. Trotzdem wird am Ku’damm demonstriert, die Polizei greift hart durch, kesselt rund 500 Personen an der Kreuzung Tauentzien-/Nürnberger Straße stundenlang ein. Das KaDeWe macht vorsichtshalber dicht, am Vortag wurden Schaufensterscheiben eingeworfen.

Bildergalerie: Ronald Reagans Vision vom Mauerfall

Von alldem ist auf der Straße des 17. Juni nichts zu merken, wo 25 000 feingemachte Berliner und Amerikaner in gehobener Stimmung Richtung Brandenburger Tor flanieren, alle von Sicherheitsexperten der Einladung für würdig befunden und durch zwei Einlasskontrollen geschleust. Sie vertreiben sich die Wartezeit bei schmissiger Musik und Erbsensuppe, während Reagan die Bindungen Berlins an den Bund und die Verbundenheit der Amerikaner mit den Berlinern demonstriert.

In seiner aus Washington eingeflogenen gepanzerten Limousine holt er Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Schloss Bellevue ab. Mit ihm, Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen an der Seite besichtigt er im Reichstag eine Ausstellung über die Marshallhilfe. Rasch noch ein Blick vom Balkon auf die Mauer, die „hässliche Narbe“, ehe er zum Brandenburger Tor eilt.

Warum Reagans Vision gar nicht so abwegig war

Von dickem Panzerglas geschützt hält er eine visionäre Rede. Tosender Jubel bei seinem Bekenntnis: „Ich hab noch einen Koffer in Berlin.“ Dann sein legendärer Appell: „Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ Das Publikum staunt ungläubig. Unvorstellbar, dass der Kreml-Chef das Tor öffnet und die Mauer niederreißt. Der Tagesspiegel sieht keinen Grund, die Schlüsselworte in die Schlagzeile zu nehmen. Sie finden überhaupt wenig Widerhall. Erst nach dem Mauer-Fall wird die simple Botschaft als ein Vorbote des totalen Wandels begriffen und öfter zitiert.

Dabei ist Reagans Vision gar nicht abwegig. Er weiß, dass es der sowjetische KP-Chef mit Reformen ernst meint, ob Glasnost und Perestoika oder atomare Abrüstung. Er weiß, dass Michail Gorbatschow der Hoffnungsträger der Regimekritiker im Osten ist. Also streckt Reagan die Hand aus. Er macht Angebote zur Gemeinsamkeit. „Bringen wir die Ost- und West-Teile der Stadt enger zusammen! … Öffnen wir Berlin dem gesamten Europa!“ Er schlägt Olympische Spiele in ganz Berlin vor, ganz Berlin als Ort internationaler Konferenzen, als ein Zentrum der Luftfahrt.

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Natürlich bei strikter Einhaltung und voller Anwendung des Viermächte-Abkommens, wie die Viermächte-Formel lautet. Volle Anwendung ist ein bisschen mehr als strikte Einhaltung. Die Ostseite fordert immer nur die strikte Einhaltung und reagiert mit Abwehr auf Ronald Reagans Rede. Der habe „im Geist des Kalten Krieges“ gesprochen – so die Presse in Moskau und Ost-Berlin. Sein Besuch in Begleitung Kohls und Weizsäckers sei eine „Provokation“ gegen die „strikte Einhaltung“ des „Vierseitigen Abkommens“. Na ja, es ist eine Rede im Geiste der Einheit, obwohl Reagan von Einheit nichts gesagt hat.

Für den zwanglosen Teil des Programms bleiben 20 Minuten. In der Abflughalle des Flughafens Tempelhof steigt eine echt amerikanische Birthday-Party, 3000 Gäste jubeln, und Diepgen atmet auf, die Anspannung ist weg. Von der Decke regnet es 2000 Fallschirmchen mit Süßigkeiten wie weiland aus den Rosinenbombern in den Tagen der Luftbrücke während der sowjetischen Blockade der Westsektoren. 20 000 Luftballons in den US-Farben platzen wundervoll knallend, das hört sich an wie Salutschüsse. Zum Anschneiden der vierstöckigen Torte mit der dicken goldenen 750 ist keine Zeit mehr. Nancy Reagan, Hannelore Kohl und Monika Diepgen naschen symbolisch von der Dekoration, dann heißt es: Bye, bye Berlin!

Die Botschaft, die Reagan hinterlässt, scheint an der verflixten Realität zu verpuffen. Doch unverhofft kommt oft. 881 Tage später ist die beseligende Nacht des Mauer-Falls da, nur Reagan nicht mehr Präsident. Als er 1990 durchs Brandenburger Tor spaziert, ist die Mauer für ihn schon eine „verblassende Erinnerung“. Mit Lust betätigt er sich als Mauerspecht, ein Bröckchen für zu Hause muss sein.

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