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Harlekin-Gene. Schon Chistirrins Vater und Großvater waren Clowns.

© Klaus W. Schmidt

Roncalli-Weihnachtszirkus in Berlin: Tollpatsch mit Trompete

Er tanzt, singt und saust: Marco Antonio Vega alias Chistirrin ist der neue Clown im Roncalli-Weihnachtscircus.

Manchmal erinnert er an Astrid Lindgrens Jungstar Michel aus Lönneberga. Der hat ja, wie man weiß, ständig neuen Schabernack im Kopf. Manchmal ähnelt Clown „Chistirrin“ aber auch Max und Moritz oder Till Eulenspiegel, wenn er so spitzbübisch guckt, wie man’s besser kaum machen kann und zugleich in luftiger Höhe über der Manege seine Hose verliert.

Kurzum: Chistirrin braucht garantiert nur drei Minuten, bis sich das Publikum des diesjährigen Roncalli-Weihnachtscircus im Tempodrom Hals über Kopf in ihn verlieben wird. Aber wie kam dieser umwerfend jungenhafte Spaßmacher, der immerhin schon 27 Jahre alt ist, eigentlich zu seinem Künstlernamen Chistirrin? „Das heißt so viel wie ,kleiner Witz‘“, sagt Marco Antonio Vega alias Chistirrin. Schon als Vierjähriger brachte er gemeinsam mit seinem Vater, der auch als Clown arbeitet, die Zuschauer zum Lachen. Also haben ihn alle nur noch Chistirrin – „Hallo, kleiner Witz!“ – gerufen.

„Ich liebe das, was ich mache“

Wenn Roncalli-Direktor Bernhard Paul seine „Neuentdeckung“ vorstellt, gerät er regelmäßig ins Schwärmen. Das ist für Chistirrin ein Mega-Kompliment. Denn Bernhard Paul gilt weltweit als Zirkusexperte, er irrt sich so gut wie nie, wenn er rund um den Globus nach Talenten Ausschau hält – und zu alledem hat Paul selbst als Clown Zippo international Karriere gemacht. Nun sitzt der 71-jährige Roncalli-Gründer also locker im Sessel – Schnauzer, blonde Mähne und Lederjacke – und erzählt, wie er Chistirrin im vergangenen Jahr bei einem Zirkusfestival in Spanien kennenlernte. Dort trat der Nachwuchs-Clown zusammen mit seinem Vater auf. „Ich war begeistert“, erzählt Paul. „Ich dachte, dieser junge Typ ist ja ein Multitalent, der hat ein Supertiming. Den kann man nach und nach vom Rohdiamanten zum Diamanten schleifen.“

Chistirrin spielt zwölf Instrumente, egal, ob Saxophon, Trompete oder Schlagzeug; fährt Einrad, schlägt Flicflacs, tanzt, singt und saust als Trapezakrobat durch den Zirkushimmel. Gelernt hat er all das von seinem Vater und von Kollegen. Die Clownskunst hat in seiner Familie nun mal Tradition. Schon sein Urgroßvater stolperte in die Manege. Sein Vater tourt als Clown und Zauberer durch Süd- und Nordamerika.

Er selbst wuchs in Mexiko City auf. Seine Eltern hätten für ihn ja eigentlich einen „anständigen bürgerlichen Beruf“ angestrebt, sagt Chistirrin auf Englisch und lacht – seine Deutschkenntnisse sind noch knapp. Aber schon als kleiner Junge ließ er sich nicht davon abhalten, immer in der Zirkusmanege dabei zu sein. „Ich liebe das, was ich mache“, sagt er. „Ich wollte von Anfang an dieses Handwerk lernen.“

„Es ist wichtig, mit dem Herzen zu arbeiten“

Chistirrin streicht sich im Café am Tempodrom die lange, braune Mähne zurück und zupft an den Hosenträgern über dem weißen T-Shirt. Die Augen spielen, die Gesichtsmuskeln legen los. Im Sekundentakt fotografiert, könnte man ein Daumenkino daraus fertigen. Wie viele Stimmungslagen hat ein Mensch? Marco Antonio Vega imitiert sie fast alle. Nur eines ist er ganz und gar nicht: Ein klassischer dummer August, der sich als Erwachsener bemüht, tollpatschig wie ein Kind zu sein. Chistirrin hat sich irgendwie den Jungen in seinem Wesen bewahrt. Nun darf er als solcher mal so richtig authentisch durch die Tempodrom-Manege toben.

Abgeschminkt ist Chistirrin dann aber doch ein eher ruhiger, bodenständiger Typ. „Hola, ich bin Marco“, grüßt er seine Gäste, wenn man ihn während einer Probe für den Weihnachtscircus hinter den Kulissen trifft. Dann nimmt er einen Schluck Kaffee aus der Thermosflasche und erzählt, weshalb er nun, wenige Tage vor seinem ersten Auftritt im Tempodrom, sogar ein bisschen nervös ist. „Normalerweise sitzen etwa 500 Zuschauer auf den Zirkustribünen, aber hier sind es bis zu 1500.“ Außerdem hätten die Berliner Roncalli-Fans ja schon viele verschiedene tolle Clowns gesehen. „Sie sind anspruchsvoll.“ Der Roncalli-Weihnachtscircus gastiert in dieser Saison bereits zum 15. Mal an der Spree. Seine bunt gemixte, märchenhafte Show mit Orchester, Artisten und Künstlern aus aller Welt setzt die legendäre Zirkustradition der Stadt fort. Roncalli gehört längst zum alljährlichen Advents- und Neujahrsvergnügen vieler Familien.

Wie bringt man die Menschen also nun zum Lachen, Marco? Als Antwort hebt er erst mal die Hände. Klamauk? Nein, den mag er nicht. Wichtig seien „Qualität und Ästhetik“. Kurze Pause. Dann sagt er: „Es ist wichtig, mit dem Herzen zu arbeiten“. Ansichten eines Clowns. Welche nachhaltigen Folgen diese Herangehensweise hat, erlebt Chistirrin digital und am Manegenrand. Kinder und Teenager drängeln sich eine halbe Stunde lang für ein Selfie mit ihm, Ältere bedanken sich für die unterhaltsame Show. Fanpost, Likes auf Facebook.

„Als Spaßmacher brauchst du ein gebrochenes Herz"

Natürlich hat Chistirrin beim Weihnachtscircus einen Gegenspieler, den spanischen Weißclown Gensi, der so schrecklich humorlos sein kann und auch so aussieht mit dem gekalkten Gesicht und dem strengen Haaransatz. Aber gerade Gensi spornt Chistirrin ständig zu neuen Streichen, zu neuem Unfug und tollkühnen Tricks an. Ganz ähnlich wie in den Harlequinaden und Commedia dell’arte -Stücken des 16. bis 17. Jahrhunderts. Aber die zwei finden zwischendurch auch mal den gleichen Ton. Dann zaubern sie mit ihren dunklen, kräftigen Stimmen Poesie in die Manege.

Sie singen das mexikanische Volkslied „El triste bajazzo“, zu deutsch etwa „Der traurige Harlekin“. Das ist in Südamerika als Clown-Song so populär wie hierzulande „Oh mein Papa“. „Als Spaßmacher brauchst du ein gebrochenes Herz. Damit du erkennst, wie wertvoll es ist, jemanden zum Lachen zu bringen.“

Roncalli-Weihnachtscircus im Tempodrom, 21. Dezember bis 6. Januar. Mehr Infos und Tickets ab 20,12 Euro unter www.roncalli.de und www.tempodrom.de. Tickethotline: 01806-554111.

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