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Nichts geht mehr. 1980 hielten Arbeiter der von der DDR verwalteten Reichsbahn den Güterbahnhof Moabit besetzt.

© Ullstein

Rückblick: Streik in der DDR: Arbeitskampf im Stellwerk

Aufruhr in West-Berlin: Vor 30 Jahren legten Reichsbahner ihre Arbeit nieder, um höhere Löhne zu erzwingen. Doch Streiks waren bei der DDR-Staatsbahn nicht vorgesehen - das Regime wertete die Handlung der West-Eisenbahner als "Akt des Terrors".

Das war ungeheuerlich. Sie streikten. In einem sozialistisch organisierten Betrieb, in dem Arbeitsniederlegungen nicht vorgesehen waren. Prompt wurden daraus im DDR-Sprachgebrauch „Terroraktionen“, um das Wort Streik vermeiden zu können. Eine Woche lang blockierten die Reichsbahner vor 30 Jahren im September 1980 fast den gesamten Bahnverkehr in West-Berlin. Am Ende waren die Mitarbeiter die Verlierer. Noch einmal hatte sich das DDR-Regime durchgesetzt, unter dessen Regie die Eisenbahn auch im Westteil der Stadt lief.

Beschäftigt waren dort West-Berliner Eisenbahner und Beschäftige aus Ost-Berlin, die täglich mit ihren Spezialausweisen die Grenze überqueren durften. Weil nach dem Mauerbau die Fahrgäste bei der S-Bahn im Westteil der Stadt ausblieben, machte der Betrieb gewaltige Verluste. Die Reichsbahn musste sparen. Anfang 1980 gab es die ersten Kündigungen, was in einem sozialistischen Betrieb nicht vorgesehen war. Jahrelang unter dem West-Berliner Lohnniveau gelegen zu haben und dann auf die Straße gesetzt zu werden, das war zu viel. Bis September 1980 verließen rund 700 Mitarbeiter das Unternehmen aus eigenem Antrieb.

Am 15. September kündigte die Reichsbahn an, im Winterverkehr den Betrieb der S-Bahn einzuschränken und Güterbahnhöfe stillzulegen. Nach 21 Uhr sollten auf den meisten Strecken keine S-Bahnen mehr fahren. Der Wegfall der Nachtschicht hätte zu erheblichen Lohneinbußen geführt; eine kurz zuvor gewährte Lohnerhöhung von damals rund 65 DM wäre so verpufft. Vereinzelt gab es Arbeitsniederlegungen aus Protest. Am 17. September verhinderten Beschäftige auf dem damaligen Hamburger und Lehrter Güterbahnhof das Entladen eines Containerzuges und besetzten die Dienstgebäude. Am Abend versperrten Streikende die Zufahrtsstraßen mit Containern. Auch bei der S-Bahn blockierten sie Strecken durch abgestellte Züge, aus denen sie die Sicherungen entfernten. Der Güterverkehr von und nach West-Berlin brach weitgehend zusammen. In den folgenden Tagen weitete sich der Streik aus.

Der Kampf um Löhne, ein "Akt des Terrors" - so zumindest wertete das DDR-Regime den Reichsbahn-Streik.
Der Kampf um Löhne, ein "Akt des Terrors" - so zumindest wertete das DDR-Regime den Reichsbahn-Streik.

© Ullstein

Nachdem es der Bahnpolizei, für die die DDR zuständig war, am 18. September noch gelungen war, das Eindringen von Streikenden in die Schaltwarte Halensee zu verhindern, die das West-Netz der S-Bahn mit Strom versorgte, besetzten streikende Reichsbahner am 20. September auf dem von der Bahnpolizei abgeriegelten Bahnhof Zoo das westliche Stellwerk. Mit Äxten und Brechstangen zerschlugen Bahnpolizisten die Eingangstür und drangen mit Hunden in das Gebäude ein. Die alarmierte West-Berliner Polizei verhinderte die Räumung. Transitzüge zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet konnten nicht mehr fahren, als Ersatz setzt man Busse ein; PanAm und British Airways flogen Passagiere zum Bahntarif nach Hannover und Frankfurt / Main. Am Morgen des 22. September verließen die Streikenden freiwillig das Stellwerk.

Am Nachmittag stürmte die Bahnpolizei das weiter besetzte Stellwerk Halensee an der Kurfürstendammbrücke. Während der damalige Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Stobbe (SPD) weiter nichts unternahm, sammelten die Augenzeugen auf der Brücke spontan mehr als 200 DM für die Streikenden. Tags darauf räumte die Bahnpolizei alle noch besetzten Stellwerke und Güterbahnhöfe, mit Ausnahme des Hamburger und Lehrter Güterbahnhofs, wo sich die Streikleitung befand. Gegen 22 Uhr gaben die Streikenden aber auch dort auf und verließen das von der West-Berliner Polizei umstellte Gelände. Am 25. September brach der Streik zusammen. Das Streikkomitee forderte die Beteiligten auf, die Reichsbahn zu verlassen. Wer nicht freiwillig ging, wurde meist rausgeschmissen.

Die Reichsbahn nahm nur auf der Hälfte des Netzes den Betrieb wieder auf. Doch die Aktion war der Anfang vom Ende der Reichsbahn in West-Berlin: Am 9. Januar 1984 übernahm die BVG die Regie über die S-Bahn in den Westbezirken. Das hatten die Streikenden schon 1980 gefordert.

Mehr im Internet: www.stadtschnellbahn-berlin.de/streik1980

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