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Straffer Terminkalender. Geschäftsleiter Ilker Akar erklärt Kunden im Studio am Ernst-Reuter-Platz das Kurztraining.

©  Thilo Rückeis

Rückentraining bei Kieser: 90 Sekunden Schwitzen

Die Fitnesskette Kieser-Training verspricht Muskelaufbau für einen gesunden Rücken durch intensives Training in kurzer Zeit. Dafür müssen Kunden auf einiges verzichten. Ein Besuch im Studio am Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg.

Die Kurbel ist wichtig. Ich muss sie so lange drehen, bis ein Polster meine Schenkel fest fixiert, damit Becken und Gesäßmuskulatur nicht mittrainiert werden. Denn es geht jetzt ganz allein um den Rücken. Ich greife die Griffe links und rechts, beuge den Oberkörper unter Belastung langsam nach vorne, dann wieder zurück, ohne das Gewicht abzusetzen. Und spüre, wie meine Rückenmuskulatur, genauer gesagt der untere Teil der Streckmuskeln der Wirbelsäule, beansprucht wird. Es zieht und kribbelt, aber irgendwie ist es angenehm. Ich muss die Übung so oft wiederholen, bis es nicht mehr geht. Dann ist auch schon Schluss mit dem Gerät, das den prosaischen Namen F3 trägt. Es steht im Studio von Kieser-Training am Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg.

Die Schweizer Fitnesskette wirbt damit, besonders gesundheitsorientiert zu sein, und propagiert ein Training, das Kraft und Bewegung aufbaut, um körperlichen Beschwerden vorzubeugen oder sie sogar zu behandeln – vor allem Rückenschmerzen. Anders als bei vielen anderen Studios soll man hier in kurzer Zeit möglichst intensiv trainieren, also pro Gerät nur einen Satz bis zur vollkommenen lokalen Erschöpfung. Schafft man eine Übung länger als 90 Sekunden, soll man das Gewicht um etwa fünf Prozent erhöhen. Das möchte ich ausprobieren. Ich habe zwar keine Rückenschmerzen, aber Vorbeugung hört sich gut an, vor allem, wenn sie nur 30 Minuten in Anspruch nimmt.

Die Räume am Ernst-Reuter-Platz sind nüchtern, die Atmosphäre betriebsam. Nichts ist schick, es gibt keine Saftbar, keine Musik, keinen Fernseher oder Sauna. Ein Ort für enthaltsames Exerzitium, raumgewordenes Zitat des Gründers Werner Kieser: „Krafttraining ist weder besonders unterhaltsam noch sonderlich geeignet, die sozialen Beziehungen zu pflegen.“ Kieser, der 1967 in Zürich sein erstes Studio eröffnete, zeichnet von sich selbst gerne das Bild eines Propheten der reinen Lehre. Er spricht von „physikalischen Daseinsbedingungen“, „harmonischem Aufbau“ und vergleicht die notwendige „Wartung“ des Bewegungsapparates mit Zahnpflege. Selbst Laufbänder und andere Cardiogeräte gehören für ihn nicht zur Körperwartung.

Unser Rücken ist ein komplexes Gebilde

Für mich könnte es ruhig ein kleines bisschen mehr Lifestyle und Wohlfühlumgebung sein. Doch das puristische Konzept scheint anzukommen: Kieser-Training hat nach eigenen Angaben 150 Filialen in sieben Ländern, 113 davon in Deutschland. Vielleicht ist es ja wirklich sinnvoll, dass mich hier nichts davon ablenkt, meinen Rücken zu trainieren?

Unser Rücken ist ein komplexes Gebilde. Er besteht aus der Wirbelsäule und den hinteren Abschnitten der Rippenknochen, aus Gelenken, Gefäßen, Nerven und Sehnen, vor allem aber aus der dazugehörigen Muskulatur, insbesondere der autochthonen („ortsständigen“) Muskulatur, die so genannt wird, weil sie sich schon im Mutterleib genau dort entwickelt, wo sie ein ganzes Leben lang bleibt. „Diese Muskulatur ist es, die uns überhaupt aufrecht und in Position hält“, sagt Ilker Akar, Geschäftsleiter des Studios, als wir zum nächsten Gerät gehen. „Ohne die autochthone Muskulatur würden schon zwei Kilogramm Belastung ausreichen, damit wir zusammenknicken.“ Zwei Kilogramm, das entspricht ungefähr dem Gewicht unseres Kopfes. Ohne Rückenmuskulatur wären wir also nicht überlebensfähig. Sie ermöglicht erst den aufrechten Gang, wesentliches Merkmal des Menschseins. Zugleich ist der Rücken aber häufig auch Quell von Problemen. Rückenschmerzen haben meist keine klar diagnostizierbare Ursache, man nennt sie dann „unspezifisch“. „Sehr oft liegt es aber daran, dass die autochthone Muskulatur zu schwach ausgeprägt ist“, erklärt Akar. Hier muss ich also auch ansetzen, um Rückenbeschwerden vorzubeugen.

„Untrainierte Muskulatur kann sehr wohl Quelle von Rückenschmerzen sein“, sagt Christian Knop, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Katharinenhospital in Stuttgart und ab 2017 Präsident der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft. „Wenn irgendwo am Rücken etwas nicht in Ordnung ist, verspannt sich die Muskulatur, um die Wirbelsäule zu sichern, was zu Schmerzen und weiterer Verspannung führen kann. Ein trainierter Rücken wird damit eher klarkommen und nicht in diesen Kreislauf von Schmerz und Verspannung geraten.“ Doch nicht allein die autochthone Muskulatur spiele eine Rolle, auch andere Muskeln im und rund um den Rücken. „Wenn man ausschließlich den Rücken trainiert, wird man Rückenschmerzen nicht erfolgreich vorbeugen, auch der gesamte Schultergürtel, die Bauch- und Brustwandmuskulatur spielen eine wichtige Rolle.“

Daher steige ich jetzt auch in ein anderes Gerät. Dieses Mal muss ich mich auf die Seite legen, Embryonalstellung. A2 heißt die Maschine – Beugung im Hüftgelenk. Es dauert lange, gefühlt eine Minute, bis ich es schaffe, zwischen den Polstern und Gestängen die richtige Ausgangsposition einzunehmen, und beginnen kann, meine gerade Bauchmuskulatur zu trainieren. „Sie ist quasi der Gegenspieler zum Rücken“, erklärt mir Ilker Akar. Also los: Ich ziehe die Knie in Richtung Brust, verharre einen Augenblick, löse wieder. Bis ich nicht mehr kann.

Zwei Mal die Woche 30 Minuten sollen ausreichen

Das Prinzip hinter der Trainingsmethode von Kieser nennt sich HIT, was für „High Intensity Training“ steht. Die Kernaussage: Trainiere nur einen einzigen Satz pro Gerät, bis zur vollkommenen lokalen Erschöpfung. Und zwar so langsam, dass Aufwärmen nicht nötig ist. Das Konzept wurde vom Sportgerätehersteller Arthur Jones entwickelt und richtete sich ursprünglich an Bodybuilder. Andere Ketten, etwa Fitness First, bieten HIT ebenfalls an, aber meist nur in Form spezieller Kurse, nicht als überwölbende Idee für das gesamte Training.

Ein Grundgedanke ist, dass die Muskulatur vor allem dann wächst, wenn sie kurzen, hochintensiven Belastungen ausgesetzt ist, statt über einen längeren Zeitraum immer wieder angesprochen zu werden. Drei Sekunden konzentrisch (Anspannen), eine Sekunde isometrisch (Halten), noch mal drei Sekunden exzentrisch (Entspannen) – so die Faustregel. Zwischen den Einheiten sollen mehrtägige Ruhepausen liegen. Würde man diese Trainingsintensität in einer Grafik darstellen, ergäben sich statt einer langsam anschwellenden Kurve mehrere ruckartige Ausschläge nach oben. Ilker Akar ist überzeugt: „Zwei Mal die Woche 30 Minuten Training reichen langfristig vollkommen aus. Menschen haben wenig Zeit, und die wollen sie sinnvoll gestalten, also nicht sechs Mal die Woche ins Studio gehen.“ Darin liegt wohl ein Geschäftserfolg der Kette: Sie spricht, neben Menschen mit Rückenproblemen, vor allem Kunden mittleren Alters und aufwärts an, die berufstätig sind und einen straffen Terminkalender haben.

Doch wie effektiv ist intensives Kurztraining wirklich? Eine Studie (2014) der Universität Erlangen-Nürnberg legt nahe, dass 30 Minuten pro Trainingseinheit an zwei bis drei Tagen pro Woche ausreichen, um Muskelmasse und Muskelkraft zu steigern. Allerdings nur, wenn gleichzeitig Proteine eingenommen werden. „Wenn jemand fit und körperlich in der Lage ist, intensiv zu trainieren, mag das ausreichen. Aber wenn man als Couch-Potato mit diesem Anspruch an das Training herangeht, sind Folgeschäden nach vier bis sechs Wochen durch Überlastung vorprogrammiert“, sagt Knop. „Das wäre, als wenn man heute mit dem Laufen anfängt, um in zwei Wochen bei einem Marathon an den Start zu gehen.“ Für den Körper eines wenig Trainierten sei es besser, die Belastung um 30 Prozent zu reduzieren und dafür 20 Übungen mehr zu machen.

Ich beende das Training nach 30 Minuten und gehe in die Umkleide. Meine Muskeln zittern, und doch bin ich skeptisch: Habe ich wirklich schon genug für meinen Rücken getan ? Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.

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