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Berlin: Ruth Golan (Geb. 1944)

Sie wollte entwerfen, sie wollte bauen. Das war ihr Leben

Ein Architekt entwirft nicht nur Häuser“, schreibt Brigitte Reimann in ihrem Roman „Franziska Linkerhand“, „sondern Beziehungen, die Kontakte ihrer Bewohner, eine gesellschaftliche Ordnung.“ Das klingt in Zeiten der Renditemaximierung utopisch, war aber einmal gar nicht so ferne Zukunftsmusik.

Berlin, Internationale Bauausstellung 1984. Die Frage, die Ruth Golan damals stellte: Wie wollen die Menschen wohnen? Welches Zuhause können wir ihnen geben? Allein, alleinerziehend, alt, arm, bleibt da immer nur der zweite Hinterhof? Zementiert der Baustil die soziale Ordnung? Im grünen Villenviertel die Gewinner, in den Zellenblöcken des sozialen Wohnungsbaus die Verlierer?

Wohnen könnte auch ganz anders sein. Das Kibbuzmodell klingt fremd in unseren Ohren, aber die Idee hat viele Namen: Generationenhaus, Wohnverein, Gartenstadt. Gemeinschaftliches Wohnen stärkt das Gefühl für Gemeinschaft.

Die Familie ist entlastet, die Frau muss nicht zwangsläufig an den Herd, das Kind nicht in den Spiegel sehen, wenn es ein Gegenüber sucht. Die Großküche sorgt für alle, Kinderbetreuung rund um die Uhr, Bibliothek, alles vor Ort. Urbanes Wohnen ganz anders: keine Kolonie für Einzeller, die Wohnwünsche der Menschen zählen, nicht die Hybris der Planer – und es gibt ein lebenslanges Bleiberecht. Es wurde nichts daraus. Die Broschüre verschwand in irgendeiner Senatsschublade.

Aber Widerstände nahm Ruth Golan immer als Herausforderung an.

In Israel diente sie beim Militär, bei den Pionieren war ihr Zeichentalent gefragt. Schon in der Sandkiste hatte sie gern gebaut. 1965 kam sie nach Deutschland, fand schnell einen Studienplatz und den Mann fürs Leben. Sie mochte gut aussehende Männer, wie schon ihre Mutter. Die Großmutter hatte eine deutsche Suppenküche in Jerusalem gegründet, da kam dann eines Tages ein bildhübscher Österreicher hereinspaziert und machte der Tochter am Herd schöne Augen, die beiden wurden schnell ein Paar.

Ruth verliebte sich in Kay, ihren orientalischen Prinzen, der aus dem Iran gekommen war. Im Messerschmidt-Kabinenroller rollten sie zur „Dicken Wirtin“, und auf dem Weg hat ihm Ruth ihren Antrag gemacht: Sie teilte ihren Kaugummi mit ihm. Es wurde eine große Liebe daraus und eine lebenslange Arbeitsgemeinschaft.

Schade nur, dass Berlin eine eingemauerte Stadt war und die Baufläche begrenzt. So nahmen die beiden an vielen Wettbewerben außerhalb der Stadt teil. Sie bauten eine Universität in Vechta, entwarfen Schulen, Sporthallen, Wohnungen. Ruth war für die Raumplanung und die Ästhetik zuständig. Das Lapidarium in der Schönhauser Allee am jüdischen Friedhof zeugt von ihrem Stil, die Synagoge in der Rykestraße von ihrer Beharrlichkeit. Mehr als zehn Jahre waren sie mit der Wiederherstellung beschäftigt. 2007 dann die Einweihung. „Ruthi, ich seh’ dich grad im Fernsehen!“ Der Festakt wurde auch in Israel übertragen.

Die größte Synagoge Deutschlands, 1 200 Plätze, unzerstört, aber seit Jahrzehnten im Dornröschenschlaf.

„Es ist ein Wunder, dass es in Deutschland wieder Juden gibt. Und die Synagoge in der Rykestraße, die zwei Regime überlebt hat, ist das Symbol dieses Wunders“, frohlockte der 94 Jahre alte Rabbiner Leo Trepp am Tag, als die Synagoge wieder eingeweiht wurde.

Ruth Golan war Atheistin, das hat sie auch jedem Rabbiner frank und frei gesagt. An den hohen Feiertagen ging sie dennoch in die Synagoge. Und sie verteidigte das Recht auf Glauben. Als sie das Mahnmal für die zerstörte Synagoge in Spandau baute, kam eines Tages ein Trupp lästernder Jungnazis vorbei. „Kommt her, ich bin Jüdin, ich bin Israelin. Was ist da jüdisch? Seht sie erst mal an, die Skulptur!“ Da wurden die Großmäuler kleinlaut.

Angst hatte Ruth nie. Sie war stets sorglos, auch mit ihrem Körper. Sie hasste es, wenn man über Gesundheit sprach. Oder über Sport. Dass erwachsene Männer einem Ball hinterherlaufen, das war für sie nicht zu erklären. Ihre Ruhelosigkeit war von ganz anderer Art. Sie wollte entwerfen, sie wollte bauen, das war ihr Leben, Menschen und Ideen ein Zuhause zu geben. Gregor Eisenhauer

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