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Auf dem Ring fahren auch weiter Züge der S-Bahn.

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S-Bahn in Berlin: Zuschlag für die Deutsche Bahn - was bedeutet das für Berlin?

Sie blieb als einzige Bewerberin übrig. Die Deutsche Bahn wird auch künftig die S-Bahn in Berlin betreiben. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zur Entscheidung und ihren Folgen.

Die Deutsche Bahn darf weiter S-Bahn fahren. Der Senat hat ihr am Dienstag wie erwartet den Zuschlag für den Betrieb auf dem Ring und den südöstlichen Zulaufstrecken erteilt. Die Deutsche Bahn war nach Tagesspiegel-Informationen der einzige Bewerber, der das Ausschreibungsverfahren bis zum Schluss durchgehalten hat. Konkurrenten waren zuvor abgesprungen, weil sie die Vorgaben des Senats für überzogen oder sogar für unerfüllbar hielten.

Welche Folgen hat der Zuschlag?

Das Wichtigste: Die S-Bahn, eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, hat jetzt Planungssicherheit und kann, wenn es keine Einsprüche der einstigen Mitbewerber gibt, noch im Dezember neue Fahrzeuge bestellen. Gebaut werden sie von Siemens und Stadler in Pankow. Bombardier mit dem Werk in Hennigsdorf ist leer ausgegangen. Beschafft werden sollen 191 Doppelwagen, von denen 80 Prozent durchgehend begehbare Vier-Wagen-Einheiten, Halbzug genannt, sein sollen. Die Entwicklung, Erprobung und der Bau der Züge ist mit rund fünf Jahren veranschlagt. 2021 könnten daher die ersten Züge einsatzfähig sein. Die S-Bahn will nach eigenen Angaben dafür einen „hohen dreistelligen Millionenbetrag“ ausgeben.

Wie soll die Bahn ausgestattet sein?

Außen soll sie den Traditionslack Rot-Beige behalten. Erstmals sollen die Wagen eine Klimaanlage bekommen, was im Berliner Netz nicht einfach ist. Normalerweise werden die Anlagen auf dem Dach montiert. Das geht in Berlin nicht, weil Brückendurchfahrten und vor allem die Decke im Nord-Süd-Tunnel teilweise sehr niedrig sind. So muss wahrscheinlich die Decke im Fahrzeug niedriger eingebaut werden – oder es gehen Sitzplätze verloren. Zudem soll es mehr Platz für Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder geben.

Auch Haltemöglichkeiten für Fahrgäste unterschiedlicher Körpergrößen sind vorgesehen. Erstmals erhalten S-Bahnen in Berlin eine Videoüberwachung. Über mobile Geräte können Fahrgäste bei Gefahr zudem einen stillen Notruf senden. Beim Lärm sollen die Neuen die europaweiten Vorgaben unterschreiten. An je einer Tür eines Vier-Wagen-Zugs ist zudem eine Spaltüberbrückung zwischen Fahrzeug und Bahnsteig vorgeschrieben.

Wie geht der Betrieb jetzt weiter?

Der reguläre Verkehrsvertrag zwischen Bahn und Senat läuft im Dezember 2017 aus. Weil längst klar war, dass es zu diesem Termin keine neuen Bahnen geben wird – der Senat hatte das Verfahren zu spät gestartet, und es dauerte dann auch noch viel länger als erwartet –, schließt das Land einen Übergangsvertrag mit der S-Bahn bis zum Jahr 2023 ab, der den weiteren Einsatz der alten Züge ermöglicht.

Die 150 Doppelwagen der Baureihen 480 und 485, die in den 1980er Jahren gebaut worden waren und ursprünglich Ende 2017 verschrottet werden sollten, müssen deshalb aufwändig nochmals in Schuss gebracht werden. Rund 150 Millionen Euro soll das Programm insgesamt kosten – finanziert weitgehend vom Land, weil es den Fahrzeugmangel verursacht hat. Exakte Angaben zu den Kosten wollte Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag noch nicht machen.

Wie sichert sich der Senat ab?

Die Fahrzeuge müssen mindestens 30 Jahre im Betrieb durchhalten. Da der Vertrag nur von 2021 bis 2035 gilt, könne der Senat die Bahnen kaufen, wenn nach 15 Jahren ein neuer Betreiber zum Zug kommen sollte, sagte Geisel. Der Neue würde dann die Fahrzeuge vom Senat bekommen. Damit diese weiter genutzt werden können, muss die S-Bahn die „nachhaltige Instandhaltung“ umfassend dokumentieren. Hält sie ihre Vertragspflichten nicht ein, seien wirksame finanzielle Abzüge fällig, sagte Geisel weiter. Dies gelte auch für Zugausfälle oder bei unpünktlichen Fahrten.

Wer hatte sich mit beworben?

Die Ausschreibung war weltweit auf Interesse gestoßen – auch die MRT-Gruppe aus Hongkong, die unter anderem in London aktiv ist, sowie JR East aus Japan stiegen nach Tagesspiegel-Informationen zunächst in das Verfahren ein. Aus Europa wollten die Pariser Nahverkehrsbetreiber RATP sowie National Express aus Großbritannien dabei sein. Auch der Bahnhersteller Bombardier hatte sich in Position gebracht.

National Express, das sich wie die anderen Interessenten früh zurückgezogen hatte, bekam unter anderem den Zuschlag für die S-Bahn Nürnberg und für einen Teil des künftigen Schnellverkehrs an Rhein und Ruhr (RRX). In Nürnberg, wo sich die Bahn als bisheriger Betreiber gegen den Zuschlag an National Express wehrt, ist das Verfahren allerdings noch nicht abgeschlossen.

Kosten und Nutzen

Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung und Umwelt.
Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung und Umwelt.

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Warum gaben die Mitbewerber auf?

Bei den Vorgaben habe es eine einmalige „Detailfülle“ gegeben, hatte der Deutschlandchef von National Express, Tobias Richter, nach seinem Rückzug erklärt. Bis zu zehn Änderungen habe es manchmal täglich gegeben. Unter anderem sei verlangt worden, Schiebetritte an jeder Tür anzubringen. Jetzt ist die Zahl reduziert worden. Auch beim Lack sei es unmöglich gewesen, die geforderte Garantie über 40 Jahre zu erbringen. Bewerber hätten aber auch aufgegeben, weil sie nicht bereit gewesen seien, bei einem Zuschlag Mitarbeiter der S-Bahn zu deren bisherigen Konditionen zu übernehmen, sagte Geisel.

Was muss das Land zahlen?

Der neue Vertrag führe, verglichen mit einer Fortschreibung des jetzigen, der eine Preisgleitklausel enthalte, bis 2035 zu Mehrkosten in Höhe von 370 Millionen Euro, sagte Geisel. Das sind durchschnittlich rund 25 Millionen Euro pro Jahr. Derzeit erhält die S-Bahn für den Betrieb einen Zuschuss von rund 255 Millionen Euro. Allerdings kommen die Kosten für die Aufarbeitung der alten Züge sowie für den „Interimsvertrag“ bis 2023 hinzu.

Die Grünen hatten, wie berichtet, Zusatzkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ausgerechnet. Zwischenzeitlich genannte Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro habe man durch Verhandlungen senken können, ohne große Abstriche bei den Forderungen zu machen, sagte Staatssekretär Christian Gaebler. Auch die Klimaanlage sei den Berliner Verhältnissen angepasst worden.

Das Geld kommt vom Bund, der Berlin aus den so genannten Regionalisierungsmitteln derzeit jährlich rund 404,5 Millionen Euro überweist. Damit soll der Nah- und Regionalverkehr auf der Schiene finanziert werden. Bis 2030 soll die Summe auf 507 Millionen Euro steigen. Ob diese Mittel reichen, um den neuen S-Bahn-Vertrag und den erwarteten Mehrverkehr abzudecken, ließ Geisel am Dienstag offen.

Warum wird überhaupt ausgeschrieben?

Die EU verlangt, bestärkt vom Bundesgerichtshof, dass Leistungen im Nah- und Regionalverkehr europaweit ausgeschrieben werden. Eine Ausnahme gibt es nur für landeseigene Unternehmen wie die BVG. Bei ihr ist der Zuschlag direkt möglich, was der Senat auch praktiziert. Er hätte auch die BVG mit dem S-Bahn-Betrieb beauftragen oder ein neues eigenes Unternehmen gründen können. Die BVG hatte die Übernahme mehrfach dankend abgelehnt.

Der Streit über den „richtigen Weg“ hatte die damalige rot-rote Koalition 2010/2011 so gelähmt, dass die Ausschreibung erst unter Führung des damaligen Verkehrssenators Michael Müller (SPD) 2012 gestartet werden konnte. Dabei hatte die damalige Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) schon Anfang 2010 erklärt, dass 2011 entschieden werden müsse, welchen Kurs man einschlage, damit die neuen Fahrzeuge rechtzeitig bis Ende 2017 geliefert werden könnten.

Was ist mit dem übrigen Netz?

Auch die Ost-West-Strecken mit der Stadtbahn und die Nord-Süd-Verbindungen sollen noch in den Wettbewerb. Der Zuschlag für die Stadtbahn soll nach Geisels Angaben 2018 erfolgen, die Nord- Süd-Strecken sollen dann 2019 folgen. Hier ist das Verfahren allerdings noch offen. Die neueren Fahrzeuge der S-Bahn können wohl bis 2030 durchhalten; immerhin bilden sie mit 500 Doppelwagen derzeit den Löwenanteil der Züge.

Eine Ausschreibung, die neue Fahrzeuge fordert, würde dazu führen, dass einsatzfähige Fahrzeuge aufs Abstellgleis müssten, weil sie woanders nicht fahren können. Neue Fahrzeuge wiederum würden aber auch die Betriebskosten erhöhen. Lässt man in der Ausschreibung aber gebrauchte Fahrzeuge zu, käme für den Betrieb wieder nur die S-Bahn infrage, da nur sie solche Fahrzeuge besitzt. Möglicherweise könne man auch hier Übergangsverträge abschließen und dann nach 2030 eine offene Ausschreibung vornehmen, sagte Gaebler.

Sind die Probleme jetzt gelöst?

Die S-Bahn ist auf gutem Weg, aber, wie ihr Chef Peter Buchner sagt, nicht sicher vor weiteren – unangenehmen – Überraschungen, vor allem bei den Fahrzeugen. Unwahrscheinlich ist, dass es erneut einen Sparwahn geben wird, der 2009 zur größten Krise in ihrer mehr als 90-jährigen Geschichte geführt hatte (siehe Kasten). Noch immer kann sie aber alle vertraglich geforderten Fahrten und auch noch nicht alle verlangten Zuglängen anbieten. Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Der Fahrzeugmangel bleibt bestehen. Auf den Winter hat sich die S-Bahn dagegen durch Umbauten besser vorbereitet.

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