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S-Bahn-Streik: Kollegiales Gegeneinander

Zwei S-Bahner auf getrennten Wegen: Einer streikt, der andere arbeitet. Was Lokführer über den Arbeitskampf denken.

Ist das gerecht? Ein paar hundert Kollegen wollen 30 Prozent mehr Lohn und legen dafür die S-Bahn lahm, dreitausend andere Mitarbeiter waren mit 4,5 Prozent zufrieden und bleiben friedlich. „Klar ist das gerecht“, sagt Enrico Forchheim, auch es wenn ihm lieber wäre, bei der S-Bahn würde die ganze Belegschaft mehr verdienen.

Triebwagenführer Forchheim möchte eine saftige Lohnerhöhung. Derzeit bekommt er monatlich etwa 1400 Euro netto für seine Vollzeitstelle. Und auch wenn das mit den 30 Prozent nicht klappen sollte: „Wichtiger ist ein eigener Tarifvertrag für uns Lokführer.“ Bei der S-Bahn sind das immerhin knapp 900 Leute. Für diesen eigenen Tarif hat Forchheims Interessenvertretung, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), gestern in Berlin und Hamburg gestreikt, andere Städte sollen folgen. Es war Forchheims – 43 Jahre alt und seit 1996 Triebwagenführer – erster Streik.

Ihm ist es ernst mit dem Arbeitskampf: Es sei ungerecht, wenn die Bahn Milliardengewinne mache, die Mitarbeiter aber, die Verantwortung für hochwertige Züge und zehntausende Fahrgäste tragen, so wenig verdienen wie in kaum einem anderen Land Westeuropas. Forchheims Kollegen in England zum Beispiel verdienen fast doppelt so viel wie er. Da sich die Bahn unnachgiebig zeige, helfe nur noch Streik.

Peter Laubig, ebenfalls Triebwagenführer bei der S-Bahn, sieht das anders. Er ist gestern ganz normal zum Dienst erschienen. Seine Gewerkschaft Transnet hat ohne Arbeitskampf einen Tarifvertrag mit der Bahn abgeschlossen – demnächst bekommt Laubig 4,5 Prozent mehr Lohn. „Sicher, sechs Prozent mehr wären besser gewesen“, sagt er, „aber die GDL wird sich sowieso nicht durchsetzen.“

Bei Transnet sind Lokführer organisiert, aber auch Reinigungspersonal, Werkstättenmitarbeiter und Fahrkartenverkäufer. „Ich bin Teil eines Teams“, sagt Laubig. Die Fronten zwischen den zwei Gewerkschaftslagern würden sich derzeit verhärten, beobachtet der 36-jährige Familienvater. Beim Thema Streik gebe es schon mal „blöde Sprüche“ zwischen den Mitgliedern der zwei verschiedenen Verbände: Transnet ist im Deutschen Gewerkschaftsbund DGB organisiert und hat unter den S-Bahnern mehr als 1400 Mitglieder. Die Lokführergewerkschaft hingegen ist Teil des Beamtenbundes, ihre 500 Mitglieder bei der S-Bahn sind jedoch vor allem schwer ersetzbare Fahrer.

Dass Lokführer ganze Züge stilllegen können, Fahrkartenverkäufer aber durch einen Automaten ersetzbar sind, ist für Laubig noch lange kein Grund zu streiken – obwohl er kaum mehr verdient als Forchheim. Seit 1992 ist er bei der S-Bahn. „Ich wollte immer Lokführer werden, schon mein Vater war Eisenbahner“, sagt der Lichtenberger. Er trat bei der GdED, der Vorläufergewerkschaft von Transnet, ein. Wechselte vorübergehend zur GDL, blieb aber nicht lange – „ich wurde dort nicht ernst genommen“ – und ging zu Transnet zurück.

Nun aber muss Peter Laubig feststellen, dass einige seiner Kollegen die Seiten wechseln: „Es gibt Fahrer, die bei uns austreten und zur GDL gehen.“ Aus dem Büro der Lokführergewerkschaft im Ostbahnhof heißt es, dass seit Anfang August mehr als 100 Berliner Kollegen bei ihnen hätten eintreten wollen. Doch „wenn die GDL den Streik verliert, kommen die Leute wieder zu uns zurück“, glaubt Laubig. Hannes Heine

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