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Eine S-Bahn fährt am Bahnhof Tempelhof ein.

© Kai-Uwe Heinrich

S-Bahnhof Tempelhof: Die Schmuddel-Station

Junkies, Obdachlose, Kleinkriminelle – der S-Bahnhof Tempelhof bereitet dem Bezirk Sorgen. Lokalpolitiker reagieren jetzt auf Anwohnerbeschwerden.

Die rechte Hand hängt in der Luft, als wäre sie angefroren, die Finger sind zur Schaufel geformt. Die Hand zeigt alle Spuren eines harten Lebens. Kein Wunder, der Mann, dem sie gehört, trägt diese Spuren überall. Struppiger Bart, verfilzte Haare, dreckige Hosen, speckige Kapuzenjacke, an der rechten Seite eine prall gefüllte Plastiktüte.

Ein Bettler, der sich nicht mal die Mühe macht, mitleidheischend zu schauen. Stattdessen konzentriert er sich auf eine Illustrierte, die auf seinem linken Knie liegt. Der Kopf ist gebeugt, die Reportage ist jetzt wichtiger. Titel lautet: „Manche mögen’s heiß.“

Es ist nicht nötig, dass er Menschen anblickt und um Aufmerksamkeit bettelt, man kennt ihn, der Mann sitzt regelmäßig hier, immer auf der gleichen Stufe, immer am Rand der breiten Treppe, die vom Bahnsteig des S-Bahnhofs Tempelhof zur Ladenpassage führt.

Ist der Typ mit der Wollmütze ein Dealer?

Unten, zwischen dem Lift und einem Zeitungskiosk, lungert seit längerem schon ein Mann. Regungslos scannt er seine Umgebung, blaue Wollmütze, weiße Winterjacke, Schnurrbart, südländisches Aussehen. Ein Reisender, der auf jemanden wartet? Oder ein Drogendealer?

Und ist der junge Mann in den schwarzen Klamotten, der draußen, direkt neben dem Eingang zum S-Bahnhof, wartet und ein paar Schritte auf und ab geht, ein Drogendealer? Seine Umgebung beobachtet er genauso mit schnellen Blicken wie der Mann mit der Wollmütze.

Schwer zu sagen, was sie dort tun, aber an diesem Freitag Anfang März sind die Drei auf jeden Fall die auffälligsten Erscheinungen an dem S-Bahnhof. Doch es gibt wohl auch andere Zeiten, mit ganz anderen Szenen. Dann wirkt der nüchterne S-Bahnhof Tempelhof nicht mehr ganz so unauffällig.

Harald Sielaff hat einen Fixer beobachtet, der sich einen Schuss setzt. Er hat auch beobachtet, „dass dort offen Drogen verkauft werden“. Und dann die Obdachlosen, die im Bahnhofsbereich herumhingen.

„Die Situation ist heikel“, sagt Sielaff, CDU-Mitglied und Bezirksverordneter in Tempelhof-Schöneberg. Sielaff ist Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerdienste und Ordnungsangelegenheiten.

Die Situation gilt als heikel

Die Situation ist offenbar so heikel, dass die BVV vor kurzem in einem Beschluss Maßnahmen gegen „die Verwahrlosung am S-Bahnhof Tempelhof“ gefordert hat. Ursprünglich ein Antrag der SPD-Fraktion, aber die CDU hat sich ihm angeschlossen.

Begründung des Antrags: Im Bereich des S- und U-Bahnhofs Tempelhof „konnte sich eine Szene aus aggressiven Trinkgruppen, Kleinkriminellen, Drogenhändlern und -konsumenten etablieren“. Hinzu kämen Obdachlose. „Die Situation ist für Passanten und Fahrgäste schwer erträglich.“

Auf dem Vorplatz gebe es wegen der ungeschützt abgestellten Mülltonnen Ratten, die Zufahrt zum ehemaligen Güterbahnhof sei stark verschmutzt („Notdurftverrichtungen, Müllablagerungen“).

Eine Arbeitsgruppe soll die Probleme angehen. Eine Art Runder Tisch mit BVG, S-Bahn, Bundespolizei, Ordnungsamt, dem privaten Eigentümer des Vorplatzes. Kompetenz-Wirrwarr haben die Bezirkspolitiker als Teil des Problems ausgemacht.

Die BVG ist für den U-Bahnbereich im Bahnhof zuständig, die S-Bahn hat ihre eigene Einflusszone, die Bundespolizei kümmert sich um die Sicherheit im Bereich der Anlagen der Deutschen Bahn, Berliner Polizei und BVG-Sicherheit um die U-Bahn. Die Problemgruppe, sprich: die Dealer und ihre Kunden, nütze laut BVV-Antrag „die jeweiligen Grenzen der Befugnisse aus“. Sie müssen ja nur von den U-Bahntreppen zu den S-Bahnstufen.

Die Bezirkspolitiker sind aufgeschreckt, weil in Tempelhof eigentlich noch vergleichsweise viel Ruhe herrscht. Und die S-Bahnhof galt bislang nicht als drogenauffälliger Raum. Seit November 2018 aber, sagt Sielaff, gebe es verstärkt Beschwerden über die Zustände. „Wir sind auch der Auffassung, dass dort ein offener Drogenkonsum stattfindet.“

Auch Anwohner hätten den Drogenverkauf auf dem S-Bahnhof beobachtet. Sogar „jüngere Anwohner haben uns angesprochen“. Eine höhere Polizeipräsenz sei nötig, findet Sielaff.

Obdachlose vor allem aus Südosteuropa

Drogenverkauf- und -konsum seien zwar das größere Problem als die Obdachlosen, doch die störten nach Ansicht von Sielaff und der BVV auch die Szenerie am S-Bahnhof. Nach seinen Kenntnissen handele es sich vorwiegend um Menschen aus südosteuropäischen Ländern, Rumänen, Bulgarien. Polen seien eher selten anzutreffen. Natürlich, Obdachlosen müsse Hilfe angeboten werden. „Aber es gibt Leute, die jede Hilfe ablehnen.“

Christiane Heiß, als Bezirksstadträtin auch zuständig fürs Ordnungsamt, sagt, ihre Behörde habe den S-Bahnhof durchaus auf dem Radarschirm. „Seit längerem sieht sich das Ordnungsamt die Situation am S-Bahnhof Tempelhof mehrmals in der Woche persönlich an. Unter der S-Bahnbrücke campieren seit langer Zeit wechselnde Obdachlose, zahlenmäßig im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich.“

Es gibt Phasen, da sind es fünf Personen, dann wieder sind es nur drei, mitunter ist aber auch gar keiner zu sehen. Da es vergleichsweise wenig Müll gegeben habe, sei es zu keiner Räumung gekommen.

„Die auch im öffentlichen Raum sichtbaren und zugrundeliegenden Folgen von Armut, steigendem Druck auf dem Wohnungsmarkt und Arbeitslosigkeit lassen sich durch das Ordnungsamt nicht beseitigen.“ Und Drogen gehörten ohnehin in den Bereich der Polizei. „Es gibt aber auch eine konzertierte Maßnahme des Bezirkes, um lokale Schwerpunkte zu entschärfen. Hier werde ich den S-Bahnhof als weiteren Ort vorschlagen.“

Die Gesamtzahl der Delikte ging 2018 im Bereich des S- und U-Bahnhofs Tempelhof zwar zurück, von 290 auf 268. Aber im zweiten Halbjahr 2018 hat die Polizei 144 Delikte registriert, das sind 20 mehr als im zweiten Halbjahr 2017.

Die Zahl der Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmittel hat sich von sieben (zweites Halbjahr 2017) auf 14 erhöht (zweites Halbjahr 2018), im gesamten Jahr 2018 (24 Fälle) fiel die Zahl allerdings gegenüber 2017 (27) ab. Stark angestiegen ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Sachbeschädigungen, von 68 auf 81 Fälle. Dagegen sank die Zahl im Fall von Nötigung, Freiheitsberaubung und Bedrohung (2017: 20, 2018: 11).

S-Bahnhof wird regelmäßig kontrolliert

Für die S-Bahn gibt es in Berlin ganz sicher erheblich problembelastetere S-Bahnhöfe als Tempelhof, doch sie hat auch den im Auge. Eine S-Bahnsprecherin sagt: „Leider stellen wir an solchen Stationen auch immer wieder fest, dass die Drogenszene den Schutz der Massen und die schnellen Möglichkeiten zu entfliehen für Umschlag und Konsum nutzt. Die Station ist grundsätzlich, wie alle Berliner Bahnhöfe, in das gemeinsame Einsatzkonzept Berlin der DB Station & Service AG und S-Bahn Berlin GmbH integriert und Bestandteil eines Bewachungsraumes.“

Der S-Bahnhof gehöre zum Bewachungsbereich, der die Bahnhöfe Berlin Südkreuz (Ringbahn) bis Berlin Treptower Park umfasst. Dieser Bewachungsraum sei rund um die Uhr von einer Doppelstreife des Sicherheits- und Ordnungsdienstes (SOD) besetzt. Daraus ergebe sich, dass der S-Bahnhof Tempelhof regelmäßig im Tagesverlauf präventiv durch die Sicherheitskräfte kontrolliert werde.

Zusätzlich würden Schwerpunkteinsätze des Sicherheitspersonals veranlasst, wenn es aufgrund von Hinweisen und Meldungen erforderlich sei. Diese Maßnahmen führten zur Verdrängung und dann auch regelmäßig zur Verbesserung der Situation vor Ort. Mit einem kleinen Nachteil allerdings, und den benennt die Bahnsprecherin: „Leider auch nur temporär.“

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