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Ein Mann aus Afrika im Abschiebegewahrsam in Berlin-Köpenick.

© dapd

Sammelabschiebungen: Selbst Folteropfer und Kranke müssen in Abschiebehaft

Der polizeiärztliche Dienst der Berliner Abschiebehaft soll Flüchtlinge nicht gründlich genug untersucht haben. Ein 66-Jähriger wird am Montag ausgeflogen – obwohl er an Schizophrenie leidet.

Von Sandra Dassler

Nach Sammelabschiebungen von Vietnamesen, unter denen sich auch ein an Hepatitis C erkrankter Mann befand, erregt ein neuerlicher Fall aus dem Abschiebegefängnis in Köpenick die Gemüter: Ein 66-jähriger staatenloser Osteuropäer soll am morgigen Montag abgeschoben werden. Er sitzt seit Wochen in Haft, obwohl Mitgefangene und Seelsorger immer wieder darauf hinwiesen, dass er unter psychischen Problemen leidet.

„Jeder merkte, dass der Mann ziemlich orientierungslos und verwirrt war“, sagt der Jesuitenpater Ludger Hillebrand. „Viele haben das dem polizeiärztlichen Dienst mitgeteilt, doch der stellte bei zwei Begutachtungen im Oktober und November fest, dass der Mann sowohl haft- als auch reisefähig sei.“

Über die Kirche wurde eine Anwältin eingeschaltet, die schnell herausfand, was der Ausländerbehörde offenbar entgangen war: Der Mann war schon einmal in Bayern in Abschiebehaft. Eine ärztliche Stellungnahme des Klinikums München-Ost attestierte ihm 2009 eine chronische Schizophrenie. „Der Mann gehört in psychiatrische Behandlung, nicht ins Gefängnis“, sagt seine Anwältin Beate Böhler. „Das ist rechtswidrig.“

Auch Pater Hillebrand ist empört. „Dieser Mann ist schwer krank und das ist sogar aktenkundig und jeder merkt es“, sagt er, „jeder – nur nicht der polizeiärztliche Dienst“. Kein Einzelfall, wie der 48-jährige Seelsorger sagt. Abschiebehäftlinge würden nicht gründlich untersucht. So habe man eine offenbar traumatisierte Frau aus der Ukraine eingesperrt und abgeschoben. Auch schwerste Folterspuren wie schlecht verheilte Rippenbrüche und ausgerissene Zehennägel bei einem Häftling seien nicht festgestellt worden. Erst nachdem der Seelsorger die Verletzungen entdeckt hatte, kam der Mann frei.

Der Streit um den polizeiärztlichen Dienst der Berliner Abschiebehaft schwelt seit langem, gewinnt aber angesichts steigender Flüchtlingszahlen an politischer Brisanz. Der Flüchtlingsrat fordert, dass die Betreuung der Häftlinge durch Ärzte des Vertrauens erfolgen muss. „Das entspricht auch den Absichtserklärungen bei den Koalitionsvereinbarungen von Rot-Rot“, sagt Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrats. Der hat dem Senat erst im Mai 2010 beim „Runden Tisch Flüchtlingsmedizin“ ein entsprechendes Konzept vorgelegt, doch der Staatssekretär für Inneres, Ulrich Freise, lehnt dies kategorisch ab. Die medizinische Versorgung in der Abschiebehaft sei Aufgabe der zuständigen Behörde, mithin der Polizei, meint er.

Dabei werden die Häftlinge im brandenburgischen Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt nur von externen Ärzten betreut. Das müsse in Berlin auch geschehen, sagt der Innenexperte der Grünen, Benedikt Lux. Neben Konsequenzen im konkreten Fall – „nach so einem Patzer muss man den Polizeiarzt auswechseln“ – fordert er Aufklärung im Innenausschuss.

Auch in Sachen rechtlicher Beistand für Abschiebehäftlinge könne man von Brandenburg lernen, meint Lux. Dort bezahlt das Land eine kostenlose Beratung durch einen Rechtsanwalt. Das fordert auch Seelsorger Ludger Hillebrand. „Jeder Untersuchungshäftling hat ab dem ersten Hafttag Anspruch auf einen Pflichtverteidiger“, sagt er, „Abschiebehäftlinge sind also schlechter gestellt als Kriminelle.“

Besonders bedenklich sei, dass 2009 von jenen Flüchtlingen, die durch Hilfsorganisationen einen Anwalt bezahlt bekamen, etwa 90 Prozent freigelassen werden mussten, sagt Hillebrand: Insgesamt 779 Personen saßen 2009 in der Berliner Abschiebehaft. 611 davon wurden abgeschoben. Von den 72 Flüchtlingen, denen ein Rechtsanwalt Beistand leistete, wurden 65 entlassen. „Eine kostenlose Rechtsberatung ist das Mindeste“, sagt Seelsorger Hillebrand. „Viele kennen ihre Rechte gar nicht. Wir hatten ein junges Pärchen aus China, das wagte nicht, einen Asylantrag zu stellen – aus Angst, dass die deutschen Behörden dies nach China melden und ihre Familie dort Schwierigkeiten bekommt.“

In Abschiebehaft wird genommen, wer illegal oder über einen „sicheren Drittstaat“ in Deutschland einreist oder wer seine Aufenthaltsberechtigung verloren hat und nicht freiwillig ausreist. Freiwillig ausreisen will der psychisch kranke Mann aus Russland am Montag nicht. Seine Anwältin hat Eilanträge bei Gericht gestellt. Eine Antwort steht noch aus.

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