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Nur mit Sicherungsseil geht es hoch hinaus auf den Turm.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Sanierungsbedürftiger Kirchturm in Steglitz: Auf die Spitze getrieben

Der Steglitzer Matthäus-Kirche drohte das Kreuz vom Turm zu stürzen. Am Donnerstag waren zwei Kletterer im Sicherungseinsatz.

Andreas Hinz und Manuel Müller treten hinter die Absperrung, an der ein Banner prangt: „Achtung Lebensgefahr“. Hinz zieht Noppenhandschuhe an, Müller setzt die Stirnlampe auf, dann geht’s nach oben. Die beiden Industriekletterer haben am Donnerstag den 64 Meter hohen Turm der evangelischen Matthäus-Kirche in Steglitz notdürftig gesichert. Vor zwei Wochen war bei einer statischen Prüfung festgestellt worden, dass sich zu einem senkrechten Riss zwei Meter unterhalb des Turmkreuzes noch ein fast umlaufender waagerechter Riss gebildet hatte. Das Kreuz drohte abzustürzen. Deshalb war es jetzt zwei Wochen ziemlich still in der neogotischen Kirche, stiller als sonst: Die Glocken durften nicht länger läuten und das Gelände um die Kirche wurde abgesperrt. Die Eltern-Kind-Gruppe setzte aus, auch die Essensausgabe an Bedürftige musste ausfallen. Andachten hielt die Gemeinde an den vergangenen Sonntagen im Stehen auf dem Vorplatz der Kirche, das Absperrgitter im Rücken. Für eine richtige Liturgie und Kirchenmusik musste sie eine Nachbarkirche besuchen. Aber das soll sich wieder ändern.

Hinz und Müller steigen in dem rot gemauerten Kirchturm die Wendeltreppe hoch, ducken sich dabei unter den Stangen des Uhrwerks durch. Ab der Glockenebene führen nur noch schmale Holzleitern von einer Plattform zur nächsten. Für je 50 Euro netto pro Stunde klettern die beiden Männer aus Neukölln und Friedrichshain durch den Taubendreck. „Das ist keine ungewöhnliche Aufgabe“, sagt Hinz. Die beiden Kletterer erklimmen öfter Kirchen. Ansonsten erledigen sie viele Fassadenarbeiten, füllen Risse unter Regenrinnen oder hängen mal ein Poster auf. Die beiden sind gelernte Maurer, haben aber zusätzlich Kletterscheine gemacht. Daher erkannten Versicherung und Berufsgenossenschaft sie als Industriekletterer an.

Der Diakon der Matthäus-Gemeinde, Heiko Reschke, freut sich, wenn die Kirche bald wieder zugänglich ist.
Der Diakon der Matthäus-Gemeinde, Heiko Reschke, freut sich, wenn die Kirche bald wieder zugänglich ist.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Der Bauausschuss der Matthäus-Gemeinde ging vor einer Woche noch davon aus, dass ein Meter der Kirchturmspitze abgetragen und das Kreuz heruntergenommen werden müsste. Dann fanden die Statiker eine Alternative. Das Kreuz bleibt. Dafür nehmen Hinz und Müller jetzt alle losen Ziegel vom Turm und verfugen die Risse mit Zementmörtel. In etwa 50 Metern Höhe wollen sie aus einer kleinen Luke aus dem Turm klettern. Die ist allerdings so verrostet, dass sie sich gar nicht öffnen lässt. Die Kletterer flexen den Ausgang frei, ab hier führen Sprossen zur Spitze. Die beiden Schwindelfreien sichern sich mit Seilen aus dem Inneren des Turms heraus. Dann legen sie eine Schlaufe ums Kreuz, um von oben gesichert den Turm auch umrunden zu können. Es nieselt leicht. Aber das sei unproblematisch, sagt Hinz. „Wir sind froh, dass es nicht richtig regnet.“

Am Freitagmorgen müssen die beiden Kletterer noch einmal für ein paar Stunden auf den Turm, um die Arbeiten abzuschließen. Kommenden Sonntag will die Gemeinde den Gottesdienst dann schon wieder wie gewohnt im Kirchenschiff feiern. Dabei war die Arbeit nur eine Notsicherung. Im kommenden Frühjahr soll der Turm noch mal von einem Gerüst umstellt und neu aufgemauert werden. Um das Denkmalschutzamt zufriedenzustellen, werden die Ziegel dafür originalgetreu nachgebrannt. Etwa eine halbe Million Euro soll das kosten, die Matthäus-Gemeinde sammelt schon Spenden.

Milena Menzemer

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