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Berlin: Sarah Brigitte Eckel (Geb. 1940)

Ihr Weg zur Kunst ist einer mit vielen Anläufen und Talenten

Mit einer mächtigen Kiefer teilt sich Sarah Brigitte Eckel 25 Jahre lang ihr Atelier. Der Baum entspringt einem Kiesbett im Boden und verlässt den Raum durch eine kreisrunde Öffnung in der Decke. Eine zeltartige, elastische Einfassung schützt das Atelier vor Wind und Wetter. Wenn es stürmt, beginnt der Stamm sanft zu schwanken, und bei Regen rinnt das Wasser durch die Täler der Kiefernrinde. Der Baum steht hier schon so lange, dass man nicht sagen kann, er wachse durch das Gebäude hindurch; es ist das Haus, das sich um den Stamm schmiegt. Es wurde um ihn herumgebaut. Die Jahre, in denen die Kiefer Sarahs Schaffen oft bis spät in die Nacht begleitet, gehören zu den glücklichsten ihres Lebens.

Sarah Eckel kommt als Brigitte Thierkopf auf die Welt. Ihr Vater ist Jude; er überlebt die Nazi-Zeit, getrennt von der Familie, im Untergrund. Auch Mutter und Tochter sind nicht sicher, sie wechseln häufig den Wohnort und geraten immer mehr unter Druck. Zur Erklärung der Abwesenheit des Vaters entsteht die Legende, Brigitte sei die Tochter eines ranghohen Mitglieds der Partei, und er müsse aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben. In den letzten Kriegsmonaten dient eine Höhle im Harz als Versteck – die letzte Rettung. Ein Rabbiner fasst Brigittes erste Jahre später einmal so zusammen: „Sie ist 1940 mitten in Berlin geboren, und mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen.“

Im Spätsommer 1969 biegt ein gelbes Cabrio in die Straße an der Rehwiese in Nikolassee. Brigitte, die inzwischen Degen mit Nachnamen heißt und schon zwei Töchter hat, ist auf der Suche nach einem Haus für ihre Familie. Die täglichen Besichtigungen fangen an, ihr auf die Nerven zu gehen, es geht doch immer um vier Wände mit Dach, mal quadratisch, mal rechteckig. Was sucht sie eigentlich? Nun steht sie, angelockt von einer Annonce im „Tagesspiegel“, vor einem Bau, der anders ist. Roher mit seinem Sichtmauerwerk aus Kalksandstein – und trotzdem freundlicher und offener mit seinen großen Fenstern und der Art, wie er sich sanft an den Hügel schmiegt. Auf dem Dach des Hauses steht ein höflicher junger Bauarbeiter in Jeans und Sandalen. „Kann ich helfen?“ – „Ja“, ruft Brigitte, „ich suche den Architekten!“

So also sieht ein Architekt aus. Sie hatte einen seriösen, älteren Herren mit Anzug und grauen Schläfen erwartet. Gert Eckel, wie sie selbst noch keine dreißig, steigt vom Flachdach und zeigt Brigitte Räume, die ineinanderzufließen scheinen.

Da sind Wände mit abgerundeten Kanten, Betondecken mit Holzmaserung, Wendeltreppen und unerwartete Sichtachsen. „Ich träume mich durch diese Formen und fühle mich unendlich beschwingt“, schreibt sie in ihr Tagebuch. Brigitte entdeckt die Kunst in der Architektur und den Künstler im Architekten, der später ihr Mann werden soll.

Ihr Weg zur Kunst ist einer mit vielen Anläufen und Talenten. Sie kommt vom Wort, hat Theaterwissenschaften studiert und in ihrer Ehe mit dem Schauspieler Michael Degen das rastlose Leben an verschiedenen Theaterstätten kennengelernt. Sie schreibt, führt Regie, und wenn sie die Muße dafür hat, zeichnet sie auch. Das Ehepaar Degen kauft das Haus an der Rehwiese, es ist eines der ersten Projekte des jungen Architekten Eckel.

„Vielleicht bist du Dichterin, vielleicht Regisseurin, für mich bist du eine Malerin.“ Dieser Satz des Architekten hat Folgen. Mehr als ein Kompliment ist er die Frage nach ihrer Identität. Brigitte wird sich ganz für die Malerei entscheiden, aber sie erkennt auch, dass ihre frühe Ehe vor allem eine Flucht aus dem beengenden Elternhaus war, aus einer Vergangenheit, in der sie nie ganz diejenige sein konnte, als die sie sich fühlte.

In diesen Jahren nimmt sie den Vornamen an, den sie immer als den ihren empfunden hatte, aber nie hatte tragen dürfen. Ihre Mutter war noch lange nach dem Krieg gegen diesen Namen, der in der NS-Zeit das Todesurteil bedeutet hätte. Sarah.

Sarah Eckel findet nach der Heirat mit dem ihr so wichtig gewordenen Architekten Gert Eckel nicht nur ihren endgültigen Namen, sondern auch das richtige Leben. Das Paar baut sich in Dahlem ein Traumhaus mit großem Garten für die Kinder. Gleich neben den Wohnbereich kommt das Atelier für Sarah mit dem eingefassten Kiefernbaum. Der Sohn David wird geboren, dessen Erziehung und Betreuung sich die Eltern zu Hause teilen können.

Als Künstlerin experimentiert sie mit ungewöhnlichen Materialien. Sand, Lehm, Bleifolie und Bitumen sind Werkstoffe, die einen Brückenschlag zur Bautätigkeit ihres Mannes darstellen.

Gemeinsam realisieren sie Bühnenbilder für das Theater, jeder ist des anderen erster Kritiker und zugleich größter Bewunderer.

Manchmal scherzt Sarah: Wenn sie sich bewusst gewesen wäre, welch ungeheure Belastung es bedeuten kann, alleine vor der weißen Leinwand zu stehen, mit jedem Strich, den man macht das Scheitern vor Augen, dann wäre sie lieber Rechtsanwältin geworden. Dann wieder stellt sie sich vor, wie es wäre, sich ganz und gar für die Kunst zu entscheiden, mit aller Konsequenz. Dieser doch sehr hypothetische Gedanke versetzt den kleinen David in Sorge: Würde seine Mutter dann tagelang gar nicht mehr aus dem Atelier kommen?

Die Gefahr besteht nicht, dafür ist die Familie viel zu häufig auf Reisen und in ihrer zweiten Heimat, einem alten Bauernhaus in der Bretagne. Sarah liebt die ruppige, wilde Natur, auch die der Menschen dort. Am Strand sammelt sie Treibgut, das Teil ihrer Bilder wird. Über die Jahre entstehen enge Beziehungen, mehrfach hat sie Ausstellungen dort, bis sie von vielen schon als bretonische Malerin angesehen wird.

Auch in Berlin folgt Projekt auf Projekt. Als der Astronaut Reinhard Furrer 1985 ins Weltall fliegt, verspricht er Sarah Eckel, sich jeden Tag eine Viertelstunde Zeit zu nehmen und aufzuschreiben, wie sich das Leben in der Schwerelosigkeit anfühlt. Furrer nimmt die Aufgabe ernst; bei einem Überflug über das Kontrollzentrum in Unterhaching bittet er den dort unten extra angereisten Bundeskanzler Kohl, sich noch eine Planetenumrundung zu gedulden, da er gerade etwas schreiben müsse. Es entsteht das Buch „Der nächste Mond wird anders sein“ mit Texten des Raumfahrers und Radierungen von Sarah.

An einem Wintertag arbeitet sie in ihrem Atelier dicht neben dem Wohnhaus. Nasser Schnee lastet draußen im Garten auf den Bäumen. Von einem Moment auf den anderen stürzt die Krone der Kiefer durch die Lichtkuppel im Dach. Sarah kommt mit dem Schrecken davon, einige Bilder sind beschädigt aber schwerer wiegt die Erfahrung, wie jäh sich die vertraute Situation verändern kann. Ähnlich plötzlich trifft sie die Diagnose einer schweren Krankheit, deren Verlauf nicht vorherzusehen ist. Mehr als einmal verabschiedet sie sich in den nächsten Jahren von ihrem Sohn.

Als Sarah einen kleinen Kunstbuchverlag gründet und sich damit einen Lebenstraum erfüllt, gibt ihr ein Arzt sehr unverblümt zu verstehen, dass er eine solche Unternehmung nicht mehr angehen würde. Doch die Eckels packen das Auto mit den Büchern ihres ersten Verlagsprogramms voll und fahren nach Leipzig zur Buchmesse. Etliche ihrer Ausstellungsstücke werden vom Messestand gestohlen; die Eckels sind empört. Bis sie erfahren, dass dies hier üblich und geradezu ein Kompliment für ihre verlegerische Arbeit ist. Schließlich sind sie stolz auf jedes geklaute Buch.

Auf jedes gesundheitliche Tief folgen Phasen intensiven Arbeitens, bis zuletzt. Eines ihrer wichtigsten Projekte der letzten Jahre heißt „Alice im Wunderland. Alice hinter den Spiegeln“. Die Bilder und Skulpturen dieses Zyklus, die zu ihren hellsten und heitersten überhaupt gehören, werden ergänzt durch eine Videoinstallation und eine Lesung ihrer Tochter, der Schauspielerin Elisabeth Degen. Die vermeintliche Harmlosigkeit dieser Auseinandersetzung mit dem Kinderbuch von Lewis Caroll sollte nicht täuschen. „Die Doppelbödigkeit der Dinge liegt versteckt unter dem Gemalten“, schreibt die Malerin.

Sarah Brigitte Eckel freute sich, dass die Ausstellung an einem besonders schönen Ort gezeigt werden soll. Sie liebte den kargen, preußischen Charme des Schlosses Neuhardenberg. Die Ausstellungseröffnung am kommenden Sonntag, 13. März 2011 um elf Uhr hat sie noch geplant. Sebastian Rattunde

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