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Berlin: Sarrazin auf Touren

Beim Auftritt in der Urania greift der Ex-Senator die Bundeskanzlerin an – und erhält großen Beifall

Von Caroline Fetscher

Jetzt ist er auf Tournee. Thilo Sarrazin, befreit von der Bürde seines Bundesbankpostens, darf nun ganz Buchautor sein. Am Freitagabend genoss er die neue Rolle in der „Urania“ sichtlich. Umstellt von Mannschaftswagen der Polizei war das Gebäude schwer gesichert, die Eskalation jedoch blieb aus. Tosend war allein der Applaus im vollen Saal, als der Autor das Podium betrat. Etwa die Hälfte des Publikums erhob sich. Mindestens so stark der Beifall für die erste Pointe. Von Moderator Christhard Läpple gefragt, warum er den Posten geräumt habe, griff Sarrazin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Es sei doch bemerkenswert, dass eine Kanzlerin ein Buch als „nicht hilfreich“ empfinde. „Kurt Westergaards Zeichnungen waren sicher auch nicht hilfreich“, aber die Ehrung des Karikaturisten bereite Merkel kein Problem. „Erkennbar rechtswidrig“ sei das Abberufungsverfahren gegen ihn gewesen, so Sarrazin: „Ich glaube nicht, dass mich der Bundespräsident je entlassen hätte.“

Wer eine Einlasskarte ergattert hatte, war gekommen, um Zustimmung zu demonstrieren. Nur auf dem Podium regte sich Protest. Dort sollten der Kulturjournalist Matthias Matussek, der Autor und Darwin-Experte Jürgen Neffe sowie der aus dem Iran stammende Filmemacher Ali Samadi Ahadi mit Sarrazin „über Alternativen der Migrationspolitik und über die Diskussionskultur in Deutschland“ sprechen.

Kurzfristig abgesagt hatte seine Teilnahme des Filmproduzent Walid Nakschbandi. Ihm ging das Bedauern über die „öffentliche Hinrichtung“ Sarrazins in Talkshows zu weit, das einer der Veranstalter geäußert hatte. Seit drei Wochen erkenne er sein Deutschland nicht mehr wieder, klagte Ali Samadi Ahadi, er werde auf der Straße anders angesehen: „Ich fürchte um die Unversehrtheit meiner Familie!“ Empörtes Raunen im Saal. Matussek erinnerte den Regisseur und Flüchtling daran, dass man in Deutschland, anders als im Iran, ungestraft öffentlich debattieren dürfe. Erneut tobender Beifall. Und wiederum, als Sarrazin dem 1975 Geborenen entgegenhielt, dass deutsche Kinder, auf vielen Schulhöfen die Minderheit, mit Verbalattacken von türkischen und arabischen Mitschülern leben müssten. Wenig Interesse zeigte das Publikum für Jürgen Neffe, der dem Ex-Senator nachwies, von Vererbungslehre weniger Ahnung zu haben, als ein Abiturient. Vollends hingerissen war man im Saal von der Frage des Moderators, ob mit den Medien im Land etwas nicht stimmt. Da brach beinahe Jubel aus. Caroline Fetscher

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