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Die Erinnerung erhalten. Susanne Besch hat eine Initiative zur Stolpersteinpflege gegründet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Saubere Sache in Prenzlauer Berg: Für Thea und Ruth, für Meta und Erika

In einem Gesprächskreis treffen Kinder überlebender Juden auf Kinder bekennender Nazis. Am Nachbarschaftshaus Pfefferwerk, in dem sich in den 30er Jahren ein jüdisches Kinderheim befand, erinnern Stolpersteine an die ermordeten Kinder. Am Aktionstag werden sie gereinigt.

Die Kinder sollen „das Lachen nicht verlernen“. So stand es 1935 in einem Zeitungsartikel über das jüdische Kinderheim. Denn in den Mietskasernen in Prenzlauer Berg wuchsen viele Kinder in ärmlichen, beengten Verhältnissen auf. Die großzügigen, hellen Räume in der Fehrbelliner Straße 92 wirkten da einladend auf die Mädchen und Jungen. Auch dass hier immer jemand war, der mit ihnen spielte, bastelte und Hausaufgaben machte, sprach sich schnell herum. So gingen täglich 180 Kinder ein und aus.

Heute fragen Frauen mit Yoga-Matten nach dem Weg zum Gymnastikraum. Touristen stöbern im Second-Hand-Laden, im Parterre arbeitet die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus und eine Freiwilligenagentur. Aus dem Kinderheim ist das Nachbarschaftshaus Pfefferwerk geworden. Susanne Besch gehörte vor 24 Jahren zu den Gründern. Die kleine, drahtige Frau mit dem offenen Lachen führt in die zweite Etage, wo in den hohen Fluren Schwarz-Weiß-Fotos hängen.

Auf einem Foto amüsieren sich kleine Jungen auf einer Wiese, auf einem anderen Bild machen Jugendliche Schularbeiten und ältere Mädchen treiben ihre Späße auf dem Hof.  Auch die Geschwister Ruth, Theo und Regina Anders lachen in die Kamera. Der Schabbatleuchter ist angezündet, die Teller sind gefüllt. „Die Freitagabende waren für uns ein besonderes Erlebnis“, schrieb Regina Anders. Nach dem festlichen Mahl wurde gespielt und vorgelesen. „Die warme Stimmung war ein großer Genuss und verlieh uns das Gefühl, in einem Märchenland zu leben.“

Die meisten Kinder auf den Fotos sind tot. Sie wurden deportiert, vergast, erschossen oder man ließ sie verhungern. Auch ihre Erzieherinnen, Köchinnen und die Heimleiterin wurden ermordet. 1942 wurde das Kinderheim geschlossen.

Susanne Besch wusste nichts von dieser Geschichte, als sie 1997 mit dem Nachbarschaftshaus einzog. Eines Tages stand ein alter Mann in ihrem Büro und sagte, dass er als Kind oft hier gewesen sei. Er erinnerte sich auch an Namen von Spielkameraden. Das war der Anfang. Susanne Besch suchte in alten Adressbüchern, in Gedenkbüchern, im Landesarchiv und in Deportationslisten nach ihnen. Sie fand viele Spuren zu früheren Nachbarn; einige führten zu Nachkommen und Zeitzeugen. Oft half ihr das Internet und manchmal auch der Zufall.

Meta und Erika Haitner wurden mit 14 und 15 Jahren ermordet

Sie lernte auch heutige Nachbarn kennen, die sich für die Geschichte interessieren. Darunter Inge Franken, deren Vater bekennender Nazi war. Sie gründete einen Gesprächskreis, in dem sich Kinder von Nazis mit Kindern überlebender Juden treffen. Inge Franken interviewte Zeitzeugen und schrieb ein anrührendes Buch über die Geschichte des Hauses. Schüler umliegender Schulen begannen zu recherchieren und irgendwann kam die Idee auf, Stolpersteine für die deportierten Kinder und ihre Familien zu verlegen.

Zum Beispiel in der Fehrbelliner Straße 81 für Thea und Ruth Fuß und ihren Vater Abraham. Dieser wurde schon früh verhaftet, die Mutter konnte nach Schweden ausreisen und ließ die Töchter beim Großvater zurück – in der festen Absicht, sie nachzuholen. Das gelang ihr nicht. In der Torstraße 112 erinnern Steine an Meta und Erika Haitner, die mit 14 und 15 Jahren ermordet wurden. In der Straßburger Straße 60 wohnten Ruth und Gittel Süssmann, die nicht älter als fünf und sieben Jahre werden durften. Immer wenn es Susanne Besch und ihren Mitstreitern gelingt herauszufinden, wo ein Kind gewohnt hat, kommt ein neuer Stein hinzu. Doch mit dem Verlegen ist es nicht getan. Die Steine müssen geputzt werden. Am Samstag, 13. September, ist es wieder so weit. Über Helfer freut sie sich sehr. Und vor allem über Menschen, die sich für die Vergangenheit interessieren und wissen wollen, was aus den jüdischen Kindern geworden ist. „Das Putzen ist ein Akt der Wertschätzung“, sagt Susanne Besch. „Wir bücken uns zu den Steinen hinunter und zeigen so, dass uns die Menschen wichtig sind, die hier einmal gewohnt haben.“

Im Rahmen der Aktion „Saubere Sache“ führt Susanne Besch in einem Rundgang zu den Stolpersteinen, um sie zu putzen. Dabei erzählt sie viel über die Kinder und den Kiez. Treffpunkt 15 Uhr vor dem Nachbarschaftshaus, Fehrbelliner Straße 92

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