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Ich bin dagegen! Wer das blaue Kreuz auf seinem Grundstück hat, will nicht, dass 200 000 Kubikmeter Eisenhydroxid-Schlamm über Rohre auf den Grund des Altdöberner Sees eingespült werden.

© Bürgerinitiative/ promo

Saubere Seen in Brandenburg: Klares Wasser statt brauner Suppe

Im Süden Brandenburgs kämpft eine Bürgerinitiative für saubere Seen. Das wäre auch gut für die Spree und für das Trinkwasser in Berlin, sagen die Aktivisten. Die Bergbau-Verwaltungsgesellschaft hingegen sieht keine Gefahr.

Von Sandra Dassler

Die Augen des alten Mannes funkeln angriffslustig unter den grauen Haaren. „Dass sie diesen Dreck in unseren schönen neuen See kippen wollen, habe ich im Februar, kurz nach meinem 80. Geburtstag, erfahren“, sagt Herbert Glatz: „Unser ganzes Leben lang haben meine Frau und ich um unsere Heimat gekämpft. Endlich sollte es hier wieder eine Zukunft geben. Und nun das.“ Der Rentner sitzt im bequemen Poloshirt auf einer hellgrünen Couch im Wohnzimmer, das reichlich mit Fotografien von Kindern und Enkeln ausgestattet ist. „Da muss ich wohl noch länger kämpfen“, sagt der Mann, der noch immer in dem Haus wohnt, das sein Vater 1935 gebaut hat.

Das ist ein kleines Wunder, denn just im Jahr 1935 begannen die ersten Aufschlussarbeiten für den Braunkohletagebau Greifenhain, der in den kommenden Jahrzehnten immer näher an Pritzen heranrückte. Der Ort wurde erstmals 1495 erwähnt, der Name kommt wahrscheinlich von „prjecny", das ist niedersorbisch und bedeutet „quer“. Die meisten slawischen Dörfer wurden in Ost-West-Richtung angelegt, aber Pritzen liegt quer dazu. Und quer stellten sich auch Herbert Glatz und seine Frau Helga, als sie ihr Haus verlassen sollten.

Für das Gemeinwohl musste man Opfer bringen

„Wir wurden devastiert“, sagt Herbert Glatz und spuckt das letzte Wort förmlich aus: „Devastiert! Wenn sie wissen, was das heißt.“ Devastierung bedeutet Zerstörung oder Verwüstung; der Begriff wurde aber in der DDR für die Umsiedlung von Dörfern wegen des Braunkohlebergbaus verwendet. Allein in der Lausitz wurden 135 Siedlungen devastiert, 27 500 Menschen umgesiedelt.

Den Einwohnern der betroffenen Dörfer bot man etwas Geld, wer sich aber widersetzte, wurde zwangsenteignet, schließlich hatte man für das Gemeinwohl Opfer zu bringen. Vielleicht betonen Herbert Glatz und seine Frau deshalb auch heute noch, dass ihretwegen der Braunkohlebagger nicht habe stehenbleiben müssen.

Als der Enteignungsbescheid ausgestellt war, fiel die Mauer

„Wir wollten nur so viel für unser Haus, dass wir uns anderswo wieder etwas Ähnliches hätten aufbauen können“, sagt Herbert Glatz: „Vor allem wegen meiner Eltern. Die wären in einer kleinen Stadtwohnung zugrunde gegangen wie viele ältere Einwohner von Pritzen, die nach Altdöbern umgesiedelt wurden.“ Ständig wurden die Eheleute Glatz vorgeladen, man drohte ihnen, setzte Stasi-Spitzel auf sie an. Als der Enteignungsbescheid schon ausgestellt war, kam die Wende und kurz darauf das Aus für den Tagebau Greifenhain.

In den vergangenen 25 Jahren erwachte Pritzen nach und nach wieder zu neuem Leben – die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), die im Auftrag des Bundes die Nachfolgelandschaften der ehemaligen Braunkohle-Tagebaue verwaltet, saniert und gestaltet, verkaufte die Grundstücke.

Die Nachfrage war groß, Pritzen liegt quasi auf einer Halbinsel direkt am künftigen Aldöberner See, der durch die Flutung des ehemaligen Tagebaus Greifenhain entsteht. Der See soll 2021 fertig und mit 879 Hektar einer der größten der Lausitzer Seenplatte sein. Schon heute ist sein Wasser sauberer als in vielen anderen Tagebauseen. Umso größer war der Aufschrei, als Pläne bekannt wurden, wonach die LMBV plane, jährlich bis zu rund 200 000 Kubikmeter Eisenhydroxid-Schlamm über Rohre auf den Grund des Altdöberner Sees einzuspülen.

Eisenhydroxid-, auch Ocker- oder Rostschlamm genannt, entsteht, weil im Lausitzer Boden neben Braunkohle auch Eisenerz lagert. Durch Abraumbagger an die Luft gebracht, oxidiert es zu Sulfat und Eisenhydroxid, welches das Wasser ockerrot färbt. Weil das wegen der Tagebaue abgesenkte Grundwasser in den letzten Jahren wieder angestiegen ist, setzt sich immer mehr Ockerschlamm am Boden der Flüsse und Fließe ab.

Die Experten sind geteilter Meinung - auf wen also hören?

Inzwischen hat sich – wie berichtet – sogar die Spree teilweise braun gefärbt. Die mit der Lösung des Problems beauftragte LMBV baggert daher den Eisenockerschlamm aus den Fließen der Lausitz aus und trocknet ihn monatelang. „Ihn dann wieder in einen See zu kippen, das ist doch ein Schildbürgerstreich“, sagt Gernot Lindemann, der Sprecher der Bürgerinitiative Altdöberner See.

LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber hält dagegen, dass es schwierig sei, für den Ockerschlamm geeignete Entsorgungsmöglichkeiten zu finden. Ihn auf eine Deponie zu bringen, sei teuer, koste etwa 30 bis 40 Euro pro Tonne. Die Einleitung auf den Grund des Altdöberner Sees sei preiswerter und ungefährlich, da sich der verdünnte Schlamm absetze. Auf dem Boden, also in 70 Meter Tiefe, würde sich jährlich eine zwei bis fünf Zentimeter dicke Schicht legen, erläuterte Steinhuber. In einem See sei mit Leben nur bis etwa 30 Meter Tiefe zu rechnen, außerdem – sagt Steinhuber – sei noch gar nichts entschieden: „Wir werden in jedem Fall die Meinung der Experten berücksichtigen.“

Doch die Experten sind keinesfalls einer Meinung. Bei einer Informationsveranstaltung, zu der die Bürgerinitiative am vergangenen Wochenende eingeladen hatte, wurde das deutlich. Während Karl-Heinz Wahren, der viele Jahre als Hydrologe im Tagebau Greifenhain gearbeitet hat, ebenso wie der Geoökologe Oswald Blumenstein von der Uni Potsdam vor den unkalkulierbaren Risiken einer Einlagerung von Ockerschlamm warnten, sah Volker Preuß von der Cottbuser Universität keinen Anlass zur Sorge.

Viele Menschen glauben den Wissenschaftlern nicht mehr

Auch der Chemiker Helmut Ziehe aus Vetschau hatte in einem Interview mit der örtlichen Zeitung gesagt, der Altdöberner See sei nicht gefährdet. Er erfülle alle geochemischen Erfordernisse und habe vor allem die nötige Tiefe von bis zu 70 Metern. Tier- und Pflanzenwelt im Ufer- und Oberflächenbereich würden nicht beeinflusst und größere Tiefen seien für die Qualität des Seewassers uninteressant, sagte Ziehe: „Man wird nichts sehen und nichts spüren.“

Viele Menschen glauben den Wissenschaftlern nicht mehr. Winfried Böhmer, Chef der Bündnisgrünen im Landkreis Oberspreewald-Lausitz, brachte es auf der Informationsveranstaltung auf den Punkt: „Keiner der Experten hat die Spätfolgen des Braunkohle-Tagebaus vorausgesehen“, sagte der Erfinder der Internet-Störche, der früher selbst im Kraftwerk arbeitete: „Der Anstieg des Grundwassers, die massiven Rutschungen in entstehende Tagebauseen, die braune Spree – keiner hat davor gewarnt.“

Statt „ein unkalkulierbares Risiko“ einzugehen, solle man das gute Wasser, wenn der See voll ist, lieber in den Spreewald leiten und so für eine saubere Spree und damit für anständiges Trinkwasser in Berlin sorgen, sagt Hydrologe Karl-Heinz Wahren. Seiner Ansicht nach kommt die gute Wasserqualität von einem unterirdischen Flussbett, das 41,24 Kubikmeter sauberes Wasser pro Minute in den Altdöberner See drückt und diesen damit zu einem Quellgewässer erhebt.

„Eine solche klare Quelle sollte man nicht gefährden“, sagt Bürgerinitiative-Sprecher Gernot Lindemann, der wie fast alle Pritzener als Zeichen des Widerstands ein blaues Kreuz auf seinem Grundstück stehen hat. „Nein zum Endlager im Altdöberner See“ steht darauf.

Herbert Glatz denkt an seine Enkel

„Der Begriff Endlager ist irreführend und ideologisch“, kritisiert LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber: „Es handelt sich eben nicht um radioaktiven Abfall oder Gift. Wir haben auch bereits Eisenhydroxid in andere Gewässer, so auf den Grund des Spreetaler See eingespült – ohne ökologische Auswirkungen.“

Das sei etwas ganz anderes, sagt Ingenieur Lindemann. „Dieses Eisenhydroxid stammt aus den Grubenwasserreinigungsanlagen. Es ist relativ rein und kann deshalb auch in Biogasanlagen verarbeitet werden. Der Eisenhydroxidschlamm, der in den Altdöberner See verbracht werden soll, wurde aus den Fließen gebaggert und enthält viel organisches Material.“

Daran wiederum hätten sich Schwermetalle wie Zink, Nickel und Arsen gebunden, argumentiert Lindemann weiter. Diese könnten sich lösen, wenn auf dem Grund des Sees Sauerstoffmangel herrsche. „Für diese Situation gibt es keine Langzeituntersuchungen, keinerlei Erfahrungen“, sagt Lindemann: „Es wäre mal wieder ein gigantisches Experiment, das völlig schiefgehen kann.“

Davor warnt auch Herbert Glatz. „Ich habe 80 Jahre lang mit dem Braunkohleabbau und den damit verbundenen Einschränkungen und Risiken gelebt“, sagt er: „Die Tagebaue, die Arbeitsplätze und wahrscheinlich auch die LMBV werden in den nächsten 80 Jahren verschwinden. Aber die Probleme, die uns die Kohle hinterlässt, werden bleiben.“ Er schaut auf die Bilder seiner Kinder und Enkel: „Und das ist unverantwortlich.“

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