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Saubere Sache in Kreuzberg: Kreuzberger Reste vom Feste

Jürgen Büsselberg und Alex Voyt leben auf der Feiermeile Oranienstraße In ihrer Freizeit kratzen sie Plakatpappmaché von Laternen und Ampeln.

Im Rahmen der Tagesspiegel-Aktion „Saubere Sache“ lädt Jürgen Büsselberg Freiwillige ein, ihm bei der Entfernung von Plakaten in der Oranienstraße zu helfen. Büsselbergs Aktion findet allerdings schon am Donnerstag, 13. September, statt. Treffpunkt ist um 8 Uhr morgens an der Kreuzung vor der Blumenhandlung „Blumen Dilek“, Oranienstraße177. Sie wollen mitmachen, aber an anderer Stelle aktiv werden? Hier können Sie Ihre eigene "Saubere Sache"-Aktion anmelden und mit dem Tagesspiegel in Kontakt treten.

Jürgen Büsselberg kämpft sich mit Spachtel und Teppichmesser durch die Party-Veranstaltungen der vergangenen Wochen. Sie müffeln ein bisschen, wie vergammelte Pilze. Sein Nachbar Alex Voyt hält einen großen Müllsack auf, in den Büsselberg jetzt einen Haufen Plakate versenkt, den er vom Laternenmast abgerissen hat. Jürgen Büsselberg, 60, wohnt seit 20 Jahren in der Kreuzberger Oranienstraße, sein Nachbar Alex Voyt, 32, kam vor zehn Jahren. Seit vergangenem Sommer befreien der Radiomoderator und der Angestellte in ihrer freien Zeit Hauseingänge, Laternen und Ampeln von kiloweise Plakaten, die sich in fetten Schichten an die Eingänge und Masten heften. Altpapier, das von längst vergangenen Partys und Konzerten erzählt.

Ausgerechnet in der Oranienstraße versucht Jürgen Büsselberg, der Plakatierwut beizukommen, in einer Straße, die jede Nacht brummt vor Feierlaune. Hunderte Veranstaltungen werden jede Woche serienweise angekündigt, an Wänden, Laternen, Ampeln und Stromkästen. „Soul Explosion im Festsaal Kreuzberg!“, „Brazilian Movement Festival!“, „Super Party im SO36!“. Büsselberg ist überzeugt, dass das sinnlos ist – wer liest schon ein Plakat, das sich um eine Ampel wickelt? Das ist auch Voyts Antrieb: „Alle zehn Meter das gleiche Plakat, das bringt doch nichts.“

Heute haben sich Büsselberg und Voyt einen Laternenmast vor der Konzertkasse „Koka36“ vorgenommen. Der ist bis in zwei Meter Höhe zutapeziert. Die Polsterung ist eine gute Handbreit dick. Büsselberg gießt einen halben Liter Wasser von oben in die Plakatschicht. Das löst den Kleister. Wie ein Chirurg setzt er dann einen Schnitt mitten durch die Papierwand, sie platzt auf, er löst sie ab. Mit einem Spachtel hilft er nach. Büsselberg ist vorsichtig, denn an der Laterne ist ein Fahrrad angekettet.

Eine Viertelstunde später ragt der Mast wieder blitzsauber empor. Daneben liegen etwa zehn Kilo Papiermüll, gemischt mit Kleister und Wasser auf dem Boden. Die letzte Partyankündigung in der untersten Schicht war keine vier Monate alt. „In normalen Kreuzberger Nächten wird was geklebt und eine Stunde später ist es dann überklebt“, sagt Büsselberg. Das sei nicht nur sinnlos, sondern auch Umweltverschmutzung. Den Papierberg tragen die beiden freiwilligen Stadtputzer in Säcken zu ihrem Hausmüll.

Ein weißer Zettel hängt am Hauseingang zu ihren Wohnungen. Plakate sind hier nicht erwünscht – mit Bitte um Respektierung des Wunsches. „Ich dachte schon, wahrscheinlich provoziert das noch mehr“, sagt Jürgen Büsselberg. Aber seit der Zettel hängt, wurde bei ihm nicht mehr geklebt. Er hat früher einen halben Tag gebraucht, um den Eingang von Plakaten zu säubern. Danach hat er gestrichen, die Farbe stellte der benachbarte Laden „Farben Kacza“ zur Verfügung. Das Feedback von anderen Nachbarn war: „Du streichst jetzt hoffentlich nicht auch noch die Tür, sonst geht ja das ganze Kreuzberg-Flair verloren.“

Der Hauseigentümer allerdings freute sich, inzwischen hat sich Büsselberg dessen Haus auf der anderen Seite des Farbengeschäfts vorgenommen und hat fünf Laternen- und Ampelmasten befreit. In Jürgen Büsselbergs Wohnung hoch über der Oranienstraße hängt ein Poster mit Widmung von Liza Minnelli inmitten von Film- und Tourneeplakaten an der Wand. Es ist ja nicht so, dass der Mann Plakate nicht mag, nur eben keinen Wildwuchs. Seine Initiative begann im vergangenen Sommer: Am Eck zur Adalbertstraße war noch die Baustelle, die Bauzäune und Bauspanplatten waren über und über mit Plakaten beklebt.

Als der große Sommerregen kam, fielen sie auf die Straße. Autos fuhren darüber, schleiften sie ein paar Meter mit, mischten Leim und Wasser, bis sich an der Kreuzung ein Sumpf aus Pappmaché gebildet hatte. Da reichte es Büsselberg, er und Voyt kamen, sammelten und entsorgten. Er würde sich wünschen, dass Ladenbesitzer und Anwohner Patenschaften für die Masten übernähmen, um sie sauber zu halten. Was Jürgen Büsselberg hängen lässt, sind Gesuche für Wohnungen und WGs. Die landen erst im Müllsack, wenn die Abschnitte mit Telefonnummern längst abgerissen sind.

Im Rahmen der Tagesspiegel-Aktion „Saubere Sache“ lädt Jürgen Büsselberg Freiwillige ein, ihm bei der Entfernung von Plakaten in der Oranienstraße zu helfen. Büsselbergs Aktion findet allerdings schon am Donnerstag, 13. September, statt. Treffpunkt ist um 8 Uhr morgens an der Kreuzung vor der Blumenhandlung „Blumen Dilek“, Oranienstraße177. Sie wollen mitmachen, aber an anderer Stelle aktiv werden? Hier können Sie Ihre eigene "Saubere Sache"-Aktion anmelden und mit dem Tagesspiegel in Kontakt treten.

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