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Fahrräder, Holländer, Touristen. Wer Amsterdam kennt, muss Berlin nicht fürchten.

© dpa

Sauf-Touris und Kampf-Radler: Amsterdam ist schlimmer als Berlin!

Alles voll mit Touristen und rücksichtslosen Fahrradfahrern: Das ist die Klage der Berliner über ihre Stadt. Unser niederländischer Gastautor kennt das Problem – und rät zur Gelassenheit.

Die Berliner beklagen sich oft über die vielen Touristen, die ihre Stadt besuchen. Sie würden sich das ganze Stadtzentrum aneignen, während Einheimische sich fremd fühlten. „Unter den Linden“ könnte man bald umtaufen in „Unter den Touristen“. Aber Touristen gehören zu einer attraktiven, weltoffenen Stadt. Wo bleibt die Willkommenskultur? Und: Touristen bringen Geld. In Bitterfeld oder Eisenhüttenstadt würde man sich freuen. Dort sind keine Touristen und kaum mehr junge Leute. Berlin hingegen ist ein idealer Ort für die Jugend – nicht nur die eigene, sondern die aus aller Welt.

In dieser Hinsicht gleicht Berlin meinem Wohnort. Amsterdam ist schon seit den Sechzigern hip und angesagt. Die Stadt ist freundlich zu jedermann, sie hat sich der globalisierten Welt angepasst. Dabei verlieren die Holländer fast ihre eigene Sprache. Alles ist auf Englisch. „I amsterdam“ steht in großen Plastikbuchstaben auf dem Museumplein. Die Kommerzialisierung vieler Ecken stößt manchen sauer auf. Und doch ist es ein Privileg, in einer solchen Stadt zu leben, ein Privileg, das man aber eben mit vielen teilen muss.

Das sollten Berliner bedenken, denn sie haben so viel, was Amsterdam fehlt. Zum Beispiel Platz. Auch, weil es so großzügig ist, ist das vereinte Berlin die entspannteste Stadt Europas, ein Wunder der postmodernen Weltgeschichte, geboren aus der Enge, die vor 1989 auf beiden Seiten der Mauer herrschte. Das wollen Jugendliche von überall erleben, so wie es sie früher ins „magische Zentrum“ Amsterdam zog, zur Drogenhauptstadt des freien Westens, wo man alles durfte, was sonst verboten war.

Die deutsche Hauptstadt hat vier Mal so viele Einwohner wie Amsterdam, ist aber zehn Mal so groß. In diesem Großraum verschwinden die Touristenmassen. Die Bewohner, die sich über sie beklagen, wissen nicht, wovon sie reden. Man muss sich nur die Museen ansehen: nahezu leer. Als ich an einem Samstag zur Gemäldegalerie fuhr, absolute Weltspitze, war keiner vor mir am Schalter. In Amsterdam steht man immer Schlange, vor allem beim Van Gogh Museum. Dabei ist Vincent van Gogh der am meisten überbewertete Künstler der Jetztzeit, und die Preise in allen Museen Amsterdams sind hoch.

Die Radfahrer sind in Berlin tatsächlich noch schlimmer!

Eine andere Sache haben Berlin und Amsterdam gemeinsam: Die Radfahrer – ich gehöre in beiden Städten dazu – dürfen alles. Wie alle sogenannten Gutmenschen sind sie etwas rechthaberisch und halten sich nicht an Verkehrsregeln. In Berlin ist das noch etwas ausgeprägter: Hier muss man sogar befürchten, als unschuldiger Fußgänger von links und rechts überfahren zu werden, weil die Radler wie selbstverständlich die Trottoire benutzen. In Amsterdam darf man alles, aber das nicht. Als Fußgänger ist man trotz knappen Raums wesentlich besser geschützt.

Dabei wird das Radfahren auf den überfüllten Straßen in Holland immer mehr zum Krieg. Die Hölle in Holland, das sind heutzutage die Rennradfahrer und Mopeds, die auch die schmalen Landstraßen und Deiche wie Autobahnen verwenden. Tempo 30 in Wohnorten gilt gefühlt eh schon lange nur noch für Autofahrer. Und in holländischen Städten wird es immer schwieriger, einen Parkplatz zu finden – für sein Fahrrad!

Die Berliner sollten froh sein, dass sie dank ihrer großen Fläche immer noch die Wahl haben, mit Auto, Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr zu fahren. Das Zusammenspiel funktioniert viel besser als in anderen Städten – daran ändern auch die paar Touristen und Neuzugezogenen erst einmal wenig.

Und selbst wenn es so wäre – wäre das so schlimm? In Amsterdam wird uns prophezeit, dass die Touristenzahlen sich verzehnfachen. Ein Albtraum. Aber ein schöner, denn wo es Touristen hinzieht, muss das Paradies sein. Wer daran zweifelt, sollte sich eine andere Stadt aussuchen. Oder mal Urlaub machen. Danach weiß man die eigene Heimat wieder zu schätzen.

Unser Autor lebt als Historiker und freier Journalist in Amsterdam. Er schreibt für „de Volkskrant“ und „NRC Handelsblad“. Von März bis Mai 2016 ist er als Gastredakteur beim Tagesspiegel tätig, im Rahmen der Internationalen Journalisten-Programme (IJP).

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