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Berlin: Schätze vom Speicher

Das Wiederauftauchen von zehn 1945 verschwundenen Gemälden lockt viele Besucher in die Bildergalerie von Sanssouci

Potsdam - Die Touristengruppe aus Bielefeld steht kopfschüttelnd vor der provisorischen Gemäldewand in der Bildergalerie am Schloss Sanssouci. „Dieser Rubens soll 65 Jahre in einer Kiste hinterm Sofa und dann im Wäscheschrank gelegen haben?“, fragt ein Mann ungläubig. „Der ist doch bestimmt mehrere Millionen Euro wert.“ Schon werden die Fotoapparate gezückt. Rasch entwickelt sich vor dem Gemälde der stillenden Maria eine Diskussion. Man schmückt die Geschichte über die schier unglaubliche Rückkehr von zehn Bildern nach Sanssouci noch mit eigenen Gedanken aus. Und dabei steckt doch schon die von der Schlösserstiftung verbreitete Version vom Auffinden der seit 1945 vermissten Gemälde voll spannender Details.

Nicht zuletzt sie sind es wohl, die seit Eröffnung der Sonderschau am Donnerstag weit mehr Besucher als sonst in die Bildergalerie locken. Auf einer Tafel studieren die Neugierigen die Geschichte in Kurzform. Eine Frage dreht sich immer wieder um Olga Birkemeier, Ehefrau des Rheinsberger Schlosskastellans, die die Kisten mit den 1942 nach Rheinsberg ausgelagerten Bildern vor den heranrückenden sowjetischen Truppen versteckt hatte: „Warum hat die Frau ihr Geheimnis mit ins Grab genommen?“ Sie sei erst 1996 gestorben, da hätte ihr bestimmt keine Strafe mehr gedroht und sie hätte das Versteck in der Ost-Berliner Wohnung ihrer Schwester preisgeben können.

Eine ältere Dame aus Charlottenburg nimmt die Frau des Kastellans in Schutz. „Die musste Hals über Kopf die Wohnung im Schloss verlassen, wurde von den Russen misshandelt und muss wegen einer möglichen Entdeckung ihrer Tat Todesängste ausgestanden haben.“ Dafür spreche auch die Geschichte, die sie ihrer Schwester erzählt hatte: Sie habe die Bilder von den Russen selbst erhalten, als Entschädigung für den Verlust der Wohnung.

Zwei Jugendliche aus der Bielefelder Reisegruppe finden die „Story zwar cool“, können sich für die 300 bis 400 Jahre alten Darstellungen aber nicht begeistern. „Ich hätte wohl ähnlich wie die Tochter jener Schwester in Ost-Berlin reagiert, die die Bilder mit den nackten Leuten ziemlich hässlich fand und sie deshalb im Wäscheschrank ließ.“ Erst beim Umzug der Familie nach Mühlenbeck am nördlichen Stadtrand kamen die Gemälde wieder zum Vorschein und gelangten mehr zufällig zu einem Auktionator, der die Schlösserstiftung informierte.

Die Besucher der Galerie diskutieren auch über mögliche Folgen des Falls. „Auf so manchem Dachboden findet sich bestimmt noch die eine oder andere Kostbarkeit“, vermutet Heinz Schindel aus Potsdam. „Die Schlösserstiftung vermisst ja noch 3000 Gemälde. Nicht alle sind damals im Sowjetreich verschwunden. Da ist bei Kriegsende reihenweise geplündert worden.“ Auf Zustimmung stößt jedenfalls die Klarstellung vom Generaldirektor der Stiftung, Hartmut Dorgerloh. „Niemand muss bei der Rückgabe unseres Eigentums rechtliche Konsequenzen befürchten“, sagte er. „Alle Delikte sind verjährt, und wir zahlen sogar einen angemessenen Finderlohn.“

Im konkreten Fall lag er bei zehn Prozent einer „höheren sechsstelligen Summe“, wie der Stiftungsdirektor für die Schlösser und Sammlung, Samuel Wittwer, sagte. Allerdings wird erst eine genauere Untersuchung des Rubens-Gemäldes zeigen, ob der große Meister selbst die stillende Maria gemalt hat oder sie nur aus seiner Werkstatt stammt. Ein echter Rubens wäre unbezahlbar.

Bildergalerie im Park Sanssouci, dienstags bis sonntags 10–18 Uhr. Die Bilder werden dort bis Oktober gezeigt, bevor sie restauriert werden. Infos: www.spsg.de

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