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Irre Kulisse. So sieht das aus, wenn man als Popstar von 17 000 Fans in der Wuhlheide bejubelt wird. Da möchte man glatt auch einer werden. Foto: Davids/Darmer

© DAVIDS

Berlin: Schall und Rausch

AUFTRITT DER WOCHE Kommendes Wochenende startet die Freiluftkonzertsaison. Die drei großen Bühnen setzen auf ein All-Star-Angebot

Fühlt sich an, als sei’s gestern gewesen. Das vorfreudige Geplapper in der Sicherheitsschleuse. Das elende Warten auf den großen Soulman. Das Staunen, als er sich mit dem bekloppten Umhängekeyboard putzmunter auf den Bühnenboden wirft. Die Mauersegler, zischend durchs Abendrot. Der Depp mit dem Bierbecher, der zu Soul trotz null Platz unbedingt Pogo tanzen muss. Die wogende, wie mit einer Lunge atmende Menschenmenge. Die Silhouette der alten Feste in der lauen Nacht. Das Glück, heiser und durchpulst von Musik zur vollen U-Bahn zu schleichen. Einen halben Meter über dem Boden schwebend, mit in den Bauch gestandenen Beinen. Nach dem Stevie-Wonder-Konzert in der Zitadelle Spandau.

Das war schon letztes Jahr im Juli, aber genau so oder so ähnlich wird es kommendes Wochenende sein. Da startet die bis Mitte September laufende Saison der großen Freiluftkonzerte in der Stadt.

Den Auftakt macht Sonnabend die Waldbühne, da schlägt Peter Maffay begleitet von Band und Orchester auf seiner Tour zum 40. Bühnenjubiläum die Klampfe. Und am Sonntag folgt die Zitadelle Spandau, wo die nur selten Konzerte gebende Marianne Faithfull zusammen mit Sophie Hunger das diesjährige Citadel Music Festival einläutet. Die Kindl-Bühne Wuhlheide zieht erst am Wochenende darauf mit zwei ausverkauften Konzerten des hippen Elektronikers Paul Kalkbrenner nach, weil eine ursprünglich für den 28. Mai geplante Rock-Comedy-Show ausfällt.

Die letzten Vorbereitungen laufen in der 1951 eröffneten, als Gartendenkmal geschützten Wuhlheide mit ihren 17 000 Plätzen genauso hektisch wie in der Waldbühne und Zitadelle. Veranstaltungsmeisterin Angelika Lessnick ist jeden Tag mit ihren Leuten draußen im Amphitheater in Oberschöneweide. Backstage die Künstlergarderoben aufmöbeln, 12 400 Sitzplätze grundreinigen, Gartenarbeit, Elektrik kontrollieren, Bühnenaufbau prüfen, alles. Zwölf Konzerte seien geplant, sensationelle sechs bereits ausverkauft. Technische Neuerung in dieser Saison? „Die neue Beschallungsanlage für Sicherheitsdurchsagen.“

Weiter westlich in der Waldbühne, der 1936 zu den Olympischen Spielen eröffneten, grünen Freiluftbühne in Westend, geht es diese Woche genauso zu. 22 000 Menschen fasst dieses monumentaler als die lauschige Wuhlheide wirkende Amphitheater in der Murellenschlucht. Thomas Gross, der die Bühne im Auftrag des Pächters CTS Eventim managt, zählt auf: Rasen schneiden, Hecken stutzen, Garderoben putzen, die asbachuralten Fensterscheiben wienern. Asbachuralt? „Na, die sind wie der ganze Backstagebereich von 1936.“ Den vom Land Berlin, dem Eigentümer, modernisiert zu bekommen, wünscht er sich. Das hat allerdings gerade für 160 000 Euro die marode Holzbühne durch eine Metallkonstruktion ersetzt, die den Künstlern in dieser Saison 50 Prozent mehr Bühnenfläche als zuvor bietet. Das ist in der bei Klassikfans beliebten Waldbühne günstig für Orchester- und Operngastspiele. Als Erstes ausverkauft haben das Riesending diese Saison allerdings die Kings of Leon mit ihrem einzigen Deutschlandkonzert am 14. Juni. 15 Mal hat Thomas Gross die Bühne in dieser Saison vermietet, in den vergangenen Jahren klappte das pro Sommer höchstens neun Mal.

Das Citadel Music Festival, das die backsteinerne Renaissance-Festung Zitadelle Spandau seit 2005 mit Freiluftkonzerten bespielt und 10 000 Menschen unterbringen kann, ist sogar komplett durchgebucht. Alle 18 Konzerte, die die drei großen Freiluftbühnen Berlins pro Saison veranstalten dürfen, sind vergeben. Wir könnten 30 Konzerte machen, seufzt Tomas Spindler, der Chef vom Veranstalter Trinity Music, aber die erlaube der Lärmschutz nicht. Spindler weiß, wovon er redet, Freitagvormittag hat er im Gericht verbracht, wo die jüngste Lärmbelästigungsklage der Spandauer Zitadellen-Nachbarn verhandelt wurde. Er hofft – wieder mal – auf eine Einigung und vor allem endlich auf eine Konzertgenehmigung, mit der sich’s verlässlich planen lässt. Es sind illustre Bands, die er auch kurzfristig wegschicken muss, so wie Element of Crime, deren Konzert vom 25. Juni auf den 20. August verschoben werden musste. Jetzt hat auch noch Prince kurzfristig für August angefragt und Spindler weiß absolut nicht, was er antworten soll.

Weiter östlich, in der Wuhlheide, ist das Lärmthema genauso ein Dauerbrenner wie in der Waldbühne oder der Zitadelle. Bei 18 möglichen Konzerten an 365 Tagen im Jahr schon ziemlich erstaunlich. Ihr größter Wunsch sei, alle Konzerte bis 23 und nicht nur bis 22 Uhr spielen lassen zu dürfen, sagt Angelika Lessnick. „Das ist in der Weltstadt Berlin doch bitter hoch zehn.“ Licht- und Pyroeffekte im Dunkeln seien wichtig für Bands wie Rammstein, die die Bühne letztes Jahr mehrfach ausverkauften.

Willkommen ist in den drei Freiluftarenen übrigens jeder, der sie füllen kann. Konzeptionelle Freiheit können sich die Veranstalter weder in der Waldbühne, der Wuhlheide noch in der Zitadelle leisten. Bei Konzerten dieser Größenordnung treten kaum experimentierfreudige Indiebands auf, sondern mit Leuten wie Paul Simon oder Joe Cocker eher ein betagteres All-Star-Aufgebot. Tomas Spindler hätte das gern anders. Doch es hilft nichts, bei den Kosten in der für das Festival dieser Tage komplett auszustattenden Zitadelle, bei der Miete, den Gagen „muss jedes Konzert eine Punktlandung sein“.

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